Der ritterliche Justizminister als galanter Retter schwacher Frauen

Prof. Dr. Gerhard Amendt

Auf einer Konferenz über Männergewalt hat in den 80er Jahren in Frankfurt am Main eine Psychoanalytikerin die strafrechtliche Utopie entworfen, der zufolge Frauen allein darüber entscheiden sollten, ob ihnen Gewalt angetan wurde oder nicht. Schließlich seien sie dafür Spezialisten – und niemand sonst. Irgendwo am Rande sollte ein Richter, vorzugsweise eine Richterin, das bestätigen. Rechtsförmigkeit wäre damit mehr oder weniger abgeschafft und durchs Rechthabenwollen von Frauen ersetzt. Auch Falschbeschuldigungen, etwa um Vorteile zu erlangen oder Demütigung auszuteilen, wären damit kein Delikt mehr: Letztlich würden alle Dinge und Ereignisse ausschließlich ins Ermessen der Frau gestellt.

Ganz so viel Freiheit auf Kosten der Demokratie hat der Bundesjustizminister Heiko Maas den Frauen mit dem unlängst geänderten §179 des Strafgesetzbuchs zum sexuellen Missbrauch nun aber doch nicht eingeräumt, obwohl er der Frankfurter Utopie weit entgegengekommen ist. Immerhin wird Frauen zugestanden, dass sie sich von ihrem Empfinden auch nach dem Sexualverkehr noch leiten lassen dürfen, um zu beurteilen, ob das nun Gewalt gewesen ist oder ob das Einverständliche im Rückblick doch nicht einvernehmlich war.

Ohne Zweifel ist es nun jeder Frau freigestellt, eine einverständliche Annäherung und eine gemeinsame Nacht rückwirkend zu einem Akt gewaltsamer Sexualität umzuwerten. Dann nämlich, so die Logik, wenn das, was vorgefallen ist, ihr weniger Befriedigung als erwartet beschert hat, und wozu sie nie ihre Zustimmung gegeben hätte, wenn sie geahnt hätte, was da auf sie zukommt und das Wesentliche nicht eintreten würde – eben der Orgasmus. Damit wäre dann die Zustimmung nachträglich entzogen, was dem novellierten Strafgesetz entsprechend als Gewalttätigkeit einzustufen wäre. Große wie kleine Enttäuschungen lassen sich damit am Morgen danach oder in den folgenden Tagen zur Vergewaltigung umdeuten. Vor allem müssen Frauen nicht in selbstkritischer Manier ihre eigene Dummheit ertragen, welche sie dazu veranlasst hat, sich selbst den Risiken von fahrlässigem Sex durch eine schlechte Wahl – oder was immer – ausgesetzt zu haben.

Zur Zeit der 68er-Bewegung, also der Zeit, die als sexuelle Revolution ausgerufen wurde, kursierte eine Anekdote in Genossenkreisen, die heute demonstriert, wie sehr frauenbewegte Forderungen während der letzten 50 Jahre in feministisch infantilisierende Politik verwandelt wurden:

Eine Genossin, deren Wunsch nach Erregung abführendem Sexualverkehr nach einer gewalttätigen Demonstration im Frankfurter Häuserkampf nicht erfüllt wurden, weil sie zu langsam oder zu sehr erregt und deshalb in der Vereinigung auf den Orgasmus verzichten musste, verpasste dem Genossen, sehr zu dessen Verwunderung, eine schallende Ohrfeige.

Heute würde man diese Spontaneität als Gewalttat klassifizieren und nicht etwa als eine überschießende Gefühlsreaktion, die den diffusen Ängsten zuzuschreiben war, die durch die gewaltsame Auseinandersetzung mit der Polizei entstanden waren. Aber was damals wie heute nicht diskutiert wird, dass nämlich die Genossin zu langsam gewesen sein könnte, erinnert uns unmissverständlich daran, dass der Mann als der große regulierende Zeitkoordinator damals wie heute, sozial konstruiert versteht sich, mitgedacht war. In Abwandlung von Simone de Beauvoir kann man sagen: Man wird nicht als Mann geboren, sondern durch jeden Sexualverkehr – wie auch durch unendlich viele andere Einflüsse – dazu gemacht.

Was die Bewertung eines Geschlechtsaktes am Morgen danach in jedem einzelnen Fall motiviert, bleibt ungeklärt. Klar ist allerdings, dass der Gesetzgeber in seinem Beschützerwillen vom „allseits schwachen Weibe“ ausgeht, dem es schwerfällt, autonom zu handeln. In der Assange-Affäre hat sich z. B. gezeigt, dass sich einvernehmlicher Sexualverkehr nachträglich als Gewaltakt ausgeben lässt. Eine Frau wähnte sich als die Einzige, die mit ihm Sex hatte. Bis sie erfuhr, dass in Wirklichkeit eine andere ebenfalls den Big Shot ihr Eigen nannte. Aus der narzisstischen Kränkung darüber, hier der Eifersucht, ist dann eine Staatsaffäre geworden, die Assange bis heute ins Botschaftsasyl in London zwingt.

Man kann dem Unsinn der besonderen Eignung von Frauen beim Definieren von Gewalt aus heutigem Stand mit der empirischen Forschung ein Stück weit zur Seite treten. Demnach zeigen sich Frauen tatsächlich ängstlicher als Männer wie sich in standardisierten psychologischen Experimenten zeigt. Eigentlich ist das nicht sonderlich überraschend. Der Alltag liefert dazu zahllose Beispiele. Ebenso entwickeln Soldatinnen, obwohl von Kampfeinsätzen ausgeschlossen, um ein mehrfaches häufiger Posttraumatische Belastungsstörungen als Männer mit direkter Kampferfahrung.

Zum anderen werden Männer nicht nur dazu ermutigt, Gewalt zu übersehen oder zu verharmlosen, nein, sie sind gesellschaftlich dazu erzogen, sich ihr auszusetzten und empfinden Gewalt deshalb auch weniger bedrohlich. Sie spalten sie ab und empfinden sie nicht im Zustand der Bedrohung. Sie erleben die Bedrohung meist erst viel später. Würden sie wie Frauen zusammenzucken und Angst haben, würden sie als Helfer, Retter und Heroen nicht in Frage kommen. Deshalb begeben Männer sich in Gewaltsituationen, vom Krieg über das Erdbeben bis zur Umweltkatastrophe mit Angst- und letztlich sogar Todesverleugnung, damit Frauen von den Folgen der Gewalt verschont bleiben und ängstlicher als sie selber sein dürfen. Deshalb werden weibliche Todesopfer wohl auch immer separat ausgewiesen. Das soll Männer daran erinnern, dass sie in ihrer Beschützerrolle versagt haben.

Die Bedeutung der Frau zu schmälern will sich der Justizminister natürlich nicht nachsagen lassen! Frauen deshalb aber ein Definitionsmonopol zuzusprechen, dem Bestrafung folgen soll, fordert noch mehr Schutz von den Männern und bestätigt die Ängstlichkeit der Frauen. Zugleich kommt darin aber auch der Wunsch zum Ausdruck, mehr Macht über Männer auszuüben, indem sie nur als Beschützer Anerkennung finden. Die Kölner Ereignisse vom 1. Januar 2016 bestätigen das, weil aus der Sicht der Männer aus archaisch-islamischen Milieus die Belästigung der Frauen als höhnischer Beweis dafür galt, dass die hiesigen Männer unfähig seien ihre Frauen zu schützen und deshalb keine Ehre haben.

Nun hat der Justizminister diesen Frauenschutz gesetzgeberisch in die Welt gesetzt, um sich bei weiblichen Politikern beliebt zu machen. Obamas Rede hingegen zur Stützung von Hillary Clinton war da weit anspruchsvoller, aber wie die Maas’sche ein brennendes Bekenntnis zum erkalteten Feminismus.

Mit jedem zusätzlichen Schutz für Frauen treibt die Linke, die beansprucht, die Sachwalterin von weiblicher Autonomie zu sein, sie immer weiter in die beschützenden Arme des Staates. Selbst im Intimsten, dem erotischen Erlebnis bis hin zum Orgasmus, wird der Staat, vertreten durch den ritterlich-hilfreichen Justizminister, als Beobachter und Beschwerdeempfänger beigestellt. Statt des Kampfes für den Orgasmus – wie weiland in der Frauenbewegung – kommt es zur Rache an dem, der ihn nicht „besorgt“. Und der Rächer ist der Staat, womit die Passivität der Frau abermals zum Programm erhoben wird.

Aber zugleich wird der sexuelle Übergriff zum Jedermannsdelikt – also auch für Frauen –, obwohl das reformierte Strafgesetz tief im Klischee verwurzelt ist, wonach Gewalt nur von Männern ausginge und Frauen allenfalls zur Selbstverteidigung handgreiflich würden. Mit dem Hinzutreten des Staates in den Sexualakt und seine narzisstisch riskanten Vorspiele – einer muss den Anfang machen und die Grenzen des Zulässigen risikofreudig überschreiten ohne den anderen zu verletzen – riskiert auch die aktive Frau, dass ihr sexuelles Begehren als zudringlich, d.h. gewalttätig erlebt wird. Denn bedeutsam ist nur, was der andere, diesmal der Mann, davon hält. Nicht was eine Frau gemeint haben könnte. Somit begünstigt das Gesetz nicht das Äußern von weiblichem Sexualbegehren, auf die Gefahr hin zurückgewiesen zu werden. Straffrei bleibt sie hingegen nur, wenn sie sich passiv gibt. So wird der Rückgriff aufs eher Althergebrachte – nämlich abzuwarten, was da auf sie zukommt – Frauen vor den Fallgruben des „geschlechtersensibilisierten Sexualstrafrechts“ beschützen.