Interview mit Matthias Stiehler

Dr. Matthias Stiehler arbeitet als Psychologischer Berater im Gesundheitsamt Dresden und leitet das Dresdner Institut für Erwachsenenbildung und Gesundheitswissenschaft e.V. Hier führt er gemeinsam mit seiner Frau seit etwa achtzehn Jahren Paarberatungen durch. Er hat u.a. das Buch „Partnerschaft ist einfach“ verfasst, Wir wollen uns mit ihm über das AGENS Thema „Für ein neues MITeinander zwischen Mann und Frau“ unterhalten.

Die Fragen stellte Eckhard Kuhla (1. Vors. AGENS eV)

Bücher von Matthias Stiehler sehen Sie hier.

1. Frage:

Herr Stiehler, Ihr Buch hat den vielversprechenden Titel „Partnerschaft ist einfach“. Weswegen liegt die Zahl der Scheidungen noch immer auf einem hohen Niveau?

Zugegeben, der Titel ist gerade angesichts der Realität vieler Partnerschaften und an Partnerschaft Verzweifelten eine Provokation. Die meisten Menschen werden die Gestaltung einer Partnerschaft ganz und gar nicht als einfach empfinden.

Bei genauer Betrachtung aber ist der Titel nicht provokant. Das Wesen einer Partnerschaft, also die liebevolle Begegnung zweier erwachsener Menschen ist wirklich einfach. Ich beschreibe in meinem Buch vier Punkte, die den Sinn und die Qualität einer Partnerschaft ausmachen: sich das Leben erleichtern, guten Sex zu haben, in der Not auch mal füreinander da sein und innige Momente erleben. Das alles ist viel nüchterner als die übergroßen Erwartungen, die die Partner sehr oft aneinander haben. Diese Erwartungen aber sind es, die eine Partnerschaft erst schwierig machen.

Ich spreche gern davon, dass die in unserer Kultur vorherrschenden Vorstellungen von „Liebe“ ein zerstörerisches Potenzial in sich tragen. Es wird erwartet, dass Liebe „einfach so passiert“, quasi vom Himmel fällt, dass der Partner einzigartig ist, dass er der oder die Richtige ist, dass sich Sehnsüchte erfüllen. Bei genauer Betrachtung sind das kindliche Vorstellungen, die eher einer Liebe zwischen Mutter und Kind entsprechen. Eine solche Liebe hat mit einem erwachsenen, selbstbestimmten Leben nichts zu tun. Eine Partnerschaft kann nicht die eigenen Selbstzweifel beseitigen, sie kann nicht die eigenen seelischen Wunden heilen (was der Sinn der meisten Sehnsüchte ist). Eine Partnerschaft kann nicht glücklich machen, wenn ich allein mit mir unglücklich bin.

Die übergroßen Erwartungen aber führen fast zwangsläufig in Enttäuschungen. Und so lange ich für diese Enttäuschungen nicht selbst die Verantwortung übernehme, sondern immer dem anderen die Schuld gebe, führt dies nicht zu einer guten Partnerschaft. Die Scheidung bzw. die Trennung ist dann oft die Konsequenz. Im Grund aber heißt das: „Ich bin immer noch nicht bereit, selbst die Verantwortung für das Miteinander zu übernehmen.“

  1. Frage:

Sie bieten gemeinsam mit Ihrer Frau seit vielen Jahren Paarberatung an. Können Sie einige – in Ihrer Praxis häufig wiederkehrende – Phänomene nennen, die zu Störungen im Paarleben führen können?

Es ist eigentlich immer das gleiche Muster: Es wird der jeweils andere für die Probleme der Partnerschaft verantwortlich gemacht. Sicher sagt jede Frau und jeder Mann zu Beginn einer Paarberatung: „Ich habe sicher einen Anteil an den Schwierigkeiten.“ Aber in der konkreten Arbeit wird dann schnell klar, dass die Fehler des jeweils anderen sehr genau gesehen, die eigenen aber nicht so recht wahr- und ernstgenommen werden. Da steckt natürlich auch eine gewisse Logik drin. Jeder hat ja seine Gründe für das eigene Tun und die sind selten per se bösartig. Das Verhalten des Gegenübers aber wird nur aus der eigenen Perspektive gesehen und daher als „gegen mich“ empfunden.

Zentrale Aufgabe einer gelingenden Partnerschaft ist daher immer, selbst einhundert Prozent Verantwortung zu übernehmen. Wir sagen immer gern: „An dem Elend der Partnerschaft sind beide zumeist gleichermaßen beteiligt. Um aus dem Elend herauszukommen hat jeder die volle Möglichkeit.“ Ich nenne es das „50 zu 50 und 100 zu 100 Paradox“.

Die zentrale Aufgabe einer Paarberatung ist daher, die beiden Partner zu bewegen, den Blick vom anderen weg auf sich selbst zu lenken. Den ersten Schritt nennen wir daher Differenzierung. Erst auf dieser Grundlage kann eine wirklich gelingende und letztlich auch liebevolle Partnerschaft aufgebaut werden. Und das ist dann gar nicht so schwer.

  1. Frage:

a) Wie hoch schätzen Sie die Fremdbestimmung in der Paarbeziehung ein?

b) Gibt es da geschlechterspezifische Unterschiede?

c) Welche Art von externen Einflüssen überwiegt dabei?

a) und c) Die Fremdbestimmung in einer Partnerschaft in unserer westlichen Kultur ist vergleichsweise gering. Die Freiheit, Partnerschaften einzugehen und auch wieder zu lösen ist recht groß. Ökonomische Abhängigkeiten sind vergleichsweise gering. Die moderne „Fremdbestimmung“ in einer Partnerschaft besteht vor allem in einer inneren Abhängigkeit in dem bereits beschriebenen Sinn: zu große Orientierung am anderen, Abhängigkeiten im Sinne einer Vater- bzw. Mutterübertragung usw. Das bedeutet, dass die vermeintliche Bestimmung durch den anderen vor allem auf Prägungen der eigenen Persönlichkeit beruht, die in der Sozialisation ihren Ursprung hat. In der Partnerschaft wiederholen sich dann in der Kindheit erfahrene Muster. Das fühlt sich dann subjektiv als Fremdbestimmung an. Aber in der Realität ist das sehr sehr selten so ausweglos, wie es empfunden wird.

b) Das gilt nach meiner Einschätzung für Frauen wie für Männer gleichermaßen. Ein geschlechtsspezifischer Unterschied liegt eher in der Art des Ausagierens dieser empfundenen Abhängigkeit. Hier habe ich den Eindruck, dass mehr Frauen offensiver an ihrem Partner herummeckern, ihn ändern wollen. Sie spüren ihre Unzufriedenheit oft schneller und wollen sich mit ihren Ansichten durchsetzen. Männer halten länger still. Sie sind, wie ich es in meinem Buch „Der Männerversteher“ einmal ausdrückte, zufrieden, wenn alle zufrieden sind oder zumindest scheinen. Daher sagten viele Männer selbst wenn sich die Partnerin schon trennen möchte, dass doch alles recht gut läuft. – Allerdings gewinne ich in den letzten Jahren den Eindruck, dass auch mehr und mehr Männer unzufrieden mit ihrer Partnerschaft sind und dies offensiv vertreten. Es findet hier also vielleicht so etwas wie ein Erwachen der Männer statt. Das ist einerseits gut. Denn offensichtlich lernen Männer, deutlicher für die eigenen Bedürfnisse in der Partnerschaft einzutreten. Der Haken ist, dass Männer dabei aber auch den Fehler vieler unzufriedener Frauen begehen: Sie machen dabei immer noch zu sehr den jeweils anderen für das eigene Glück verantwortlich. Und dadurch führt das eigentlich gute Eintreten für die eigenen Bedürfnisse letztlich in den Krieg.

Eine Zusatzfrage: Wenn Sie die ökonomischen Abhängigkeiten als „vergleichsweise gering“ einschätzen, wie erklären Sie sich dann das häufig gehörte Argument der Frauen, dass sie mitverdienen müssen, „weil es sonst nicht reicht“?

Es ist hier zu unterscheiden: Eine ökonomische Abhängigkeit in dem Sinne, dass der eine Partner ohne den anderen finanziell nicht leben könnte, gibt es in unserem Sozialstaat nicht. Eine Mindestabsicherung ist für jeden gegeben. Das meine ich, wenn ich sage, dass die ökonomische Abhängigkeit des einen Partners vom anderen vergleichsweise gering ist. Eine andere Sache ist es, dass sich die Einkommens-Kosten-Struktur grundsätzlich so verändert hat, dass eine Familie, bei der nur einer der Partner arbeitet, finanziell deutlich schlechter gestellt ist. Das betrifft vor allem auch die realen Kosten, die Kinder bedeuten. Das Doppelverdiener-Modell wird damit immer mehr zur Regel.

  1. Frage

Früher gab es gesellschaftliche Verhaltensmuster ( „Man macht das so…“) beeinflusst durch Eltern, Peer-Groups usw. Hat sich das geändert und wenn ja, welchen Einfluss auf das Verhalten von Mann und Frau hat diese Art von Fremdbestimmung heute?

Wir müssen hier unterscheiden: Früher gab es mehr Zwänge, ökonomisch, sozial, gesellschaftlich. Vieles war stärker vorgeschrieben. Beispielsweise ist die Liebesheirat eher eine moderne Erfindung. Heute werden Hochzeiten zumindest in der westlichen Kultur nicht mehr durch die Eltern arrangiert. Doch diese Freiheit hat seine Schattenseite. Es werden nun hohe Erwartungen an eine Beziehung gestellt. Es soll die oder der Richtige sein, es soll alles passen, die Liebe soll quasi vom Himmel fallen. Dieses romantische Liebesideal, das heutzutage die Grundlage der verbreiteten Partnerschaftsvorstellungen ist, verwechselt aber Liebe mit Verliebtsein.

Verlieben hat aber wiederum nichts mit erwachsener Partnerschaft zu tun. Es ist vielmehr die kindliche Hoffnung, da sei ein anderer Mensch ganz für einen da. Das ist eine neurotische, im Grunde partnerschaftsfeindliche Haltung, die – Gott sei’s gedankt – nur kurz anhält. Eine Partnerschaft kann erst dann wirklich beginnen, wenn die Phase des Verliebtseins vorbei ist und man anfängt, den anderen realistisch, also mit Stärken und Schwächen zu sehen. Wer dann nicht gleich auseinanderläuft, hat die Chance, wirkliche, also erwachsene Liebe in einer Partnerschaft gemeinsam zu entwickeln. Aber das ist nichts, was einfach so passiert, und es ist auch nichts Perfektes. Partnerschaft muss immer mit auch mit den Fehlern des anderen – vor allem aber den eigenen (!) leben.

  1. Frage

a) Welche Verhaltensmuster kann man in der Paarbeeinflussung als geschlechtertypisch beschreiben?

b) Inwiefern gehören diese Einflüsse auch zu den Motiven, mit denen Männer oder Frauen zu Ihnen in die Beratung kommen?

a) Meine Erfahrung ist, dass die grundlegenden Hoffnungen und Wünsche an eine Partnerschaft bei Frauen und Männern identisch sind – und zwar sowohl im Guten als auch im beschriebenen Problematischen. Die Geschlechtsunterschiede treten vor allem im Ausagieren dieser Hoffnungen und Wünsche zutage. Wie ich bereits sagte: Frauen sind hier oft offensiver, Männer agieren lieber im Stillen. Aber da erlebe ich natürlich auch immer wieder die umgekehrte Konstellation.

b) Das führt auch dazu, dass sich Frauen schneller über die Partnerschaft beschweren. Männer halten hier länger aus. Sie sind eher bereit, ihre Unzufriedenheit herunterzuschlucken. Oft drängen also Frauen eher zu einer Paarberatung, während Männer zumindest nach außen der Meinung sind, dass es „doch noch ganz gut läuft“. Allerdings fällt mir in den letzten Jahren auf, dass auch immer mehr Männer sich ihre Unzufriedenheit eingestehen. Zumindest nimmt der Anteil der Paare zu, bei denen sich die Männer an uns wenden und um einen Termin für eine Paarberatung bitten.

  1. Frage

Früher gab es die fast statischen Vorbilder für eine gute Ehe. Heute werden diese Vorbilder als
„hetero-normativ“ hinterfragt, ja sogar entwertet. Inwiefern sind manche Trennungen mit
dem Verlust von „klassischen“ Vorbildern zu erklären?

Der Begriff „Heteronormativität“ wird derzeit fast ausschließlich als Schimpfwort verwendet. Das ist in einer gewissen Weise zu verstehen, nämlich dort, wo andere sexuelle Orientierungen (die sich kaum jemand wirklich heraussucht) herabgewürdigt, diffamiert und ausgegrenzt werden. Dennoch schießt das Schimpfwort „Heteronormativität“ weit über das Ziel hinaus. Eine Gesellschaft, die Heterosexualität nicht als zentrale sexuelle Orientierung versteht, verleugnet die notwendige eigene generative Fähigkeit. So sehr sich Sexualität auch vom Thema der Fortpflanzung zu trennen scheint, bleibt sie dennoch damit verbunden. Es ist die Biologie der Menschen. Und mir selbst graut vor einer Gesellschaft, in der diese Unmittelbarkeit der Fortpflanzung durch eine unmittelbare sexuelle Begegnung nicht mehr normativ ist. Es ist eine technisierte, auf Alles-ist-machbar getrimmte Welt.

Wenn wir uns die sexuelle Orientierung der übergroßen Mehrzahl der Menschen anschauen, dann sind sie heterosexuell. Und das macht halt auch Sinn. Zugleich aber gibt es zu allen Zeiten auch diejenigen, die eine andere sexuelle Orientierung haben. Und auch das lässt sich nicht bewerten, denn es gab und gibt sie immer. Das bedeutet, dass es einerseits keine Diskriminierung geben darf. Kein Mensch ist aufgrund seiner sexuellen Orientierung besser oder schlechter als ein anderer. Niemand sollte angefeindet werden, nur weil er aus der Heteronormativität herausfällt. Andererseits aber sollten die Relationen gewahrt bleiben. Das ist, was mit dem Begriff Heteronormativität positiv ausgedrückt wird und das sollten wir nicht aufgeben. Ein sexualwissenschaftlicher, ein politischer, ein gesellschaftlicher Blick, der sich vor allem mit dem Nichtheterosexuellen befasst, verliert schnell die Relation der Realität.

Das alles hat aber wenig mit der Frage von Partnerschaft und Trennungen zu tun. Nach meinen Erfahrungen verlaufen Partnerschaften – egal ob hetero- oder homosexuell – ähnlich. Ich habe schon öfter Paarberatungen mit schwulen Paaren durchgeführt. Für sie gilt all das ebenso, was ich anfangs über die zu großen Erwartungen an eine Partnerschaft geschrieben erwähnt habe. Es gibt nach meiner Erfahrung nur einen Unterschied: Wenn es in einer heterosexuellen Partnerschaft knirscht, dann gibt es eine beruhigende Erklärungsfolie. Die Frau kann sagen, dass ihr Partner eben ein Mann sei und daher anders tickt als sie selbst. Der Mann kann das gleiche über seine Frau sagen. In homosexuellen Partnerschaften gilt diese Erklärung nicht. Daher wird manches Mal intensiver gestritten, weil der andere sich nicht so verhält, wie man es erwartet. Aber im Grunde geht es eben immer – egal ob Frau oder Mann – darum, den jeweils anderen immer auch als ein fremdes, unbekanntes Wesen zu sehen.

Einen anderen Punkt berührt die von Ihnen gestellte Frage, ob die tradierten Bilder einer guten Ehe weggebrochen sind. Das ist meines Erachtens noch einmal eine ganz andere Ebene. In meiner Elterngeneration gab es sehr wenige Scheidungen. Gleichzeitig war es die Generation, bei der durch den Krieg sehr viel an gesellschaftlicher Selbstverständlichkeit weggebrochen war. Wir als die Kinder der Kriegs- und Nachkriegsgeneration haben uns oft gefragt, warum sich die Eltern trotz empfundener Lieblosigkeit nicht getrennt haben. Und genauso haben wir es dann getan. Bei uns (ich habe meine Jugend und mein junges Erwachsenenleben in den Siebziger- und Achtzigerjahren in der DDR verlebt) waren Trennungen mit und ohne Kind fast selbstverständlich. Glücklicher waren wir deswegen nicht. Heute schätze ich das so ein, dass weder unsere Eltern noch wir wirklich wussten, wie man eine glückliche Partnerschaft gestaltet. Ob das jemals anders gewesen ist, weiß ich nicht. Ich möchte es gern glauben. Aber zumindest gibt es heutzutage Menschen, die wissen wollen, wie eine gute Partnerschaft gestaltet werden kann. Ich rechne meine Frau und mich zumindest dazu.

  1. Frage

Die Politik und die Medien propagieren neue Rollenbilder von Mann („will mehr in Familie und Haushalt machen“) und Frau („will mehr in Vollzeit arbeiten“).

a) Inwiefern verarbeiten Sie solcherlei Rollenbilder in Ihrer Beratung ?

b) Beeinflussen diese Rollenbilder die Autonomie des Einzelnen und des Miteinanders?

Ich bin skeptisch, wenn etwas „propagiert“ wird.

Was mir aber auffällt ist, dass mehr Väter mehr für ihre Kinder da sein wollen. Und das begrüße ich durchaus. Denn die Familienferne vieler Väter ist ein Unglück für ihre Kinder. Ich gehe davon aus, dass die Anforderungen an Mütter und Väter gegenüber ihren Kindern in vielen Punkten gleich sind. Kinder wollen von ihren Eltern verstanden, gewürdigt und respektiert werden. Allerdings gibt es zwischen Müttern und Vätern auch biologisch bedingte Unterschiede, die ebenso Beachtung finden müssen. Ich habe das in meinem Buch „Väterlos“ ausführlich beschrieben. Aber gerade auch in und durch ihre Unterschiedlichkeit sind beide Eltern im Sinne ihrer Kinder darauf angewiesen, sich gegenseitig zu unterstützen und zu korrigieren. Das aber setzt voraus, dass Mutter und Vater für ihre Kinder emotional erreichbar sind. Hieran aber mangelt es oft. Und wenn sich das etwas ändert, also Väter offen für ihre Töchter und Söhne sind, ist das gut.

a) Was mir in der Beratung auffällt, ist zweierlei. Zum einen herrscht bei vielen Paaren Ratlosigkeit. Wie soll eigentlich Partnerschaft gestaltet werden? Es wird dann viel Hoffnung darauf gesetzt, dass die anfängliche Liebe einfach so halten wird. Aber das wird meist enttäuscht.

Der zweite Punkt ist die Erwartung, dass alle Anforderungen und Wünsche umsetzbar sind. Beruf, Familie, Freunde. Das ist in der Realität jedoch oft nur schwer zu händeln, zumal es wirklich einen ökonomischen Druck gibt, dass beide arbeiten. Hier würde ich mir vom Staat eine andere Politik wünschen als die Ausrichtung auf eine möglichst frühe Fremdbetreuung, die ja real keinesfalls die erhoffte Entlastung bringt. Der Druck führt dann schnell dazu, dass sich die Partner gegenseitig streiten und missgünstig begegnen. Wer unterstützt wen nicht richtig, ist sehr schnell die Frage. Es fühlt sich für viele Frauen und Männer nach Gewinnen oder Verlieren an. Das kann nicht gut sein, wo es doch nur einen gemeinsamen Sieg oder eine gemeinsame Niederlage geben kann.

b) Die dritte interessante Beobachtung ist aber auch, dass vieles, was gesellschaftlich oder politisch bewegt wird, an den Paaren auch ein wenig vorbei geht. Diese ganzen Debatten über Geschlechtergerechtigkeit berühren das reale Leben vieler Paare nicht. Und das sage gerade ich, der ich mich seit Jahren für die Männerseite einsetze und beispielsweise im sächsischen Gleichstellungsbeirat mitarbeite. Diese Beobachtung gibt mir ein wenig Gelassenheit, wenn die ganze Geschlechterdebatte mal wieder übertrieben wird.

  1. Frage

Heutige Familienaufgaben erfordern eine fast tägliche Abstimmung von Mann und Frau auf Augenhöhe, das gilt besonders für Doppelverdienern mit Kindern. Sie nennen das in Ihrem Buch „horizontale Differenzierung“.

a) Inwiefern wirkt sich diese notwendige, familieninterne Abstimmung auf Augenhöhe auf die Partnerbeziehung aus?

b) Ist eine solche Abstimmung ohne „Unterordnung“ eines Partners in der alltäglichen Praxis
durchführbar? Ist das, was Sie unter „vertikaler Differenzierung“ verstehen?

Jeder ist für seinen Teil am Gelingen der Partnerschaft verantwortlich. Es geht also stärker um einen innerseelischen Prozess, der die vollständige Verantwortung für das eigene Leben, also das Erwachsensein, zum Ziel hat.

a) Was Sie hier ansprechen, ist eine andere Frage: Es sind die Anforderungen, die von außen an Paare und vor allem Familien in der heutigen Zeit herangetragen werden. Und hier ist jedes Paar auf seine Weise gefragt, damit klarzukommen. Das ist – wie gesagt – in unserer heutigen Zeit (und vermutlich schon immer) nicht immer einfach.

b) Ich selbst bin schon der Meinung, dass sich Paare bei dieser Frage auf Augenhöhe begegnen sollten. Aber natürlich gibt es manchmal Paare, die zumindest nach außen den Eindruck vermitteln, als würde sich der eine dem anderen unterordnen. Das sehe ich jedoch in den meisten Fällen nur als eine äußere Wahrnehmung an. Jeder, der sich unterordnet, möchte davon einen Gewinn für sich erzielen. Und jeder, der vermeintlich das Sagen hat, zahlt dafür einen Preis. Daher sehe ich solche ungleichen Paararrangements meist skeptisch. Aber wenn beide damit einverstanden und zufrieden sind, sollen sie natürlich so leben.

Mit „vertikaler Differenzierung“ hat das alles gar nichts zu tun. Das meint vielmehr einen Erkenntnisprozess in sich selbst. Jeder Mensch ist gefordert, die eigenen kindlichen Anteile zu erkennen, die er in der Partnerschaft auslebt. Denn die machen sehr oft die Partnerschaft schwierig.

  1. Frage

Das Gefühl und der Wunsch nach Sicherheit in der Paarbeziehung hat sich für den Mann und die Frau verändert. Welche Beispiele gibt es dennoch für eine gelungene Ehe?

 Sie haben recht, das Gefühl der Sicherheit ist für viele Paare verloren gegangen. Und das ist einerseits gut. Denn natürlich sollte sich niemand eines anderen Menschen zu sicher sein. Das tötet die Liebe und die Leidenschaft füreinander. Meine Beobachtung aus unzähligen Beratungen ist, dass eine zu große Selbstverständlichkeit ein Partnerschaftskiller ist.

Auf der anderen Seite aber rennen die Paare nach meiner Einschätzung oft zu schnell auseinander. Wenn sich die hoch gesteckten Erwartungen nicht erfüllen – und das passiert zwangsläufig (!) – wird sich zu schnell getrennt.

Doch natürlich gibt es auch in unserer Zeit viele gelingende Ehen und Partnerschaften. Die wesentlichen Bedingungen dafür habe ich hier schon beschrieben. Wichtige Punkte, die zu beherzigen sind, habe ich in meinem Buch „Partnerschaft ist einfach“ beschrieben. Und dass dieses Buch gerade einmal einhundert Seiten hat, zeigt, dass es wirklich nicht so viel ist, was beachtet werden muss. Aber man muss es eben tun.

  1. Frage

Die Entscheidung für Kinder wird heute mehr ein Thema für persönliche „Kosten-Nutzen-Analysen“. Warum lassen sich Paare nicht einfach von dem Wunsch nach Kindern tragen?

 Ja, das finde ich auch unheilvoll. Wobei nach meinen eigenen Erfahrungen eine wirkliche Kosten-Nutzen-Rechnung fast immer zugunsten der Kinder ausfallen müsste. Denn trotz hoher finanzieller Kosten eines Kindes (wir waren in den Jahren, als unsere Kinder noch bei uns lebten, fast immer im Dispo) und zeitlichen Aufwands, sind die emotionalen Gewinne nicht zu überschätzen. Ich bin glücklich, Vater gewesen zu sein, ich war auch immer das, was heute als „aktiver Vater“ bezeichnet wird. Meine Kinder berühren noch heute mein Herz, auch wenn sie längst ihre eigenen Wege gehen. Sie machen zu einem guten Teil den Reichtum meines Lebens aus.

Warum also scheuen sich viele Frauen und Männer, Eltern zu werden? Ich denke, dass mehr noch als die finanzielle Seite die emotionale Beanspruchung ängstigt. Kinder fordern die unbedingte Aufmerksamkeit und Verantwortung. Das wird von vielen Frauen und Männern als eine zu große Anforderung empfunden.

Individuell glaube ich, dass viele Menschen die Familien ihrer Kindheit als nicht so liebevoll empfunden haben und daher zu wenig „Familiensinn“ mitbekommen haben. Gesellschaftlich schlägt nach meiner Einschätzung gerade hier die „Fratze des Kapitalismus“ zu. Es geht bei der Diskussion um die frühkindliche Betreuung eigentlich nicht um die Bedürfnisse der Kinder, sondern mehr um die Freisetzung von Frauen für den Arbeitsmarkt. Und das führt gemeinsam mit manchen feministischen Ansichten zu der Auffassung, Familienarbeit wäre weniger wert als Erwerbsarbeit. Hier müsste wirklich auch gesetzlich entgegengewirkt werden. Aber dafür bräuchte es erst einmal eines gesellschaftlichen Umdenkprozesses. Lassen Sie sich einfach mal den Begriff der „Herdprämie“ auf der Zunge zergehen. Wer so redet, wertet Familienarbeit schon jenseits aller finanziellen Fragen ab.

  1. Frage

Kommen wir zu den Paartrennungen.

a) Welche Faktoren können Sie aus Ihrer Praxis ableiten, die eine Scheidung „notwendig“ machen?

b) Welche Faktoren beeinflussen durch Resilienz, eine Partnerschaft zu erhalten?

 a) Es gibt einen Punkt, der in der Praxis eine Scheidung bzw. Trennung unumgänglich macht: Wenn sich einer von beiden emotional aus der Partnerschaft verabschiedet hat. Nach unseren Erfahrungen kann es einen Punkt in Partnerschaften geben, an dem sich zumindest bei einem von beiden so viel an Ärger und Kränkung angesammelt hat, dass dieser Berg kaum noch wegzuräumen ist. Das ist dann auch deswegen tragisch, weil es kaum so weit hätte kommen müssen. An dieser Situation trägt oft derjenige die Verantwortung, der den Ärger und die Kränkungen in sich trägt. Sie wurden einfach nicht rechtzeitig angesprochen und ausgeräumt. Manchmal wird regelrecht daran festgehalten. In den Beratungen wird dann schnell deutlich, dass die bereits in der Kindheit gekränkte Seele das Gekränktsein auch in der Partnerschaft sucht. Davon müsste rechtzeitig gelassen werden. (Das meine ich übrigens mit „vertikaler Differenzierung“.) Es ist also für eine Partnerschaft wichtig, die empfundenen Kränkungen anzusprechen. Und überhaupt sollte das Paar jenseits aller Streitigkeiten kontinuierlich im Gespräch bleiben. Das ist die beste Prophylaxe.

Natürlich gibt es noch einen zweiten Grund, der zu einer Scheidung bzw. Trennung führen muss: Wenn sich einer der beiden Partner so schlimm verhält, dass ein gemeinsames Zusammensein nicht mehr gut ist und vielleicht sogar Gesundheit und Leben bedroht. Aber solche Situationen sind eher selten. Die meisten Trennungen geschehen deswegen, weil die jeweiligen Erwartungen an Partnerschaft zu hoch waren und sich über Jahre kleine Kränkungen angesammelt haben, die irgendwann nicht mehr wegzuräumen sind.

b) Was Trennung vorbeugt, hatte ich schon angesprochen: Die volle Verantwortung für sich zu übernehmen („horizontale und vertikale Differenzierung“), keine überzogenen Erwartungen zu haben und immer im Gespräch über die eigenen Bedürfnisse, Möglichkeiten und Begrenzungen zu sein.

Eine Zusatzfrage: Kann man durch Willen und rationalen Überlegungen, wie zum Beispiel durch gemeinsame Einsicht in falsche Erwartungen, eine Partnerschaft retten?

Rationale Überlegungen helfen natürlich, die eigene Situation zu verstehen und bewusst Schritte zu gehen, die die Partnerschaft verbessern. Allerdings gehört in diesen Prozess auch immer die Auseinandersetzung mit den eigenen Emotionen. Und hier gibt es ein zentrales Problem. Wenn einer oder beide Partner das Empfinden haben, dass die Gefühle von Enttäuschung allein im Verhalten des jeweils anderen ihren Ursprung haben, dann kann die Einsicht, dass vielleicht die eigenen Erwartungen zu hoch sind, nicht greifen. Es braucht also immer die Auseinandersetzung mit den eigenen Empfindungen und Erwartungen, die ja zumeist emotional fundiert sind. Wir arbeiten daher auch immer mit den Ursprüngen dieser Gefühle. Und die liegen zumeist in den Erfahrungen mit den frühen Bezugspersonen in der Kindheit. Und diese Arbeit ist dann oft auch von Gefühlsausbrüchen begleitet. Und die sind für eine gute Entwicklung auch wichtig.

  1. Frage

Scheidungen haben hohe volkswirtschaftliche Kosten zur Folge. Sind staatliche Maßnahmen denkbar, die, ohne Verletzung der Privatsphäre, das Scheidungsrisiko reduzieren?

 Ein Schulfach „Partnerschaftskunde/Familienkunde“ sowie finanzielle Sicherstellung der Familienarbeit.

  1. Frage

Das Kindeswohl spielt im Falle der Trennung fast nur eine Rolle in den Sorgerechtsverhandlungen, mit der Folge, dass die Partner sich weniger um die potentiellen, psycho-sozialen Langzeitfolgen bei ihren Kindern kümmern. Welche möglichen Präventivmaßnahmen seitens der Eltern könnten Sie sich vorstellen, diese Negativfolgen bereits vor der Trennung bzw. schon bei der Eheschließung zu vermindern?

 Es gibt hier ein grundsätzliches Problem. Ein Paar, dass sich für eine Ehe und für Kinder entscheidet, tut dies immer mit einer positiven Erwartung. Da fällt es schwer, schon von Vornherein daran zu denken, wie man sich bei einer Trennung verhält. Umgekehrt ist es schwer, bei all den Kränkungen, die eine Scheidung mit sich bringt, die gemeinsame Verantwortung für die Kinder im Blick zu behalten. Die beste Prävention ist daher, eine Partnerschaft zu gestalten, in der das Miteinander erarbeitet und gepflegt wird.

Im Falle einer Trennung helfen eigentlich nur moralische Appelle, Kinder aus dem Streit herauszulassen. Hier kann Mediation hilfreich sein. Vielleicht sollte die verpflichtend sein, wenn das Paar gemeinsame Kinder hat. Ich habe jedoch auch den Eindruck, dass hier eine Veränderung in der Gesellschaft geschieht. Immer mehr Frauen und Männer sind sich auch nach einer Scheidung ihrer gemeinsamen Verantwortung für die Kinder bewusst.

Zugleich sollte man sich aber auch klar sein, dass keine Trennung der Eltern spurlos an einem Kind vorübergeht. Aber zugleich gilt auch, dass eine Fortsetzung der Ehe allein um der Kinder willen auch eine große Belastung für die Kinder darstellt. Also: Arbeiten Sie an Ihrer Partnerschaft, sprechen Sie miteinander, verlieren Sie sich nicht aus den Augen und gestalten Sie das Miteinander.

Also würden Sie dem Spruch zustimmen: „Lieber ein Ende mit Schrecken als umgekehrt?“

Ich denke, Frauen und Männer sollten alles tun, um die Ehe bzw. Partnerschaft nicht zu schnell zu beenden. Trennungen resultieren manches Mal nur aus der Scheu, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Und wenn das Paar gemeinsame Kinder hat, dann steht für mich die Verantwortung noch höher. Aber dennoch kann eine Partnerschaft so zerrüttet sein, dass dann der von Ihnen genannte Spruch wirklich gilt, auch wenn dies eine schmerzhafte Einsicht ist.

  1. Frage

Es ist in letzter Zeit ein Trend (MGTOW Bewegung) zu beobachten, der Männer davon abhält, Bindungen ein zu gehen, geschweige denn, Kinder zu zeugen. Wie beurteilen Sie dieses Phänomen?

 Überlegen Sie sich einmal, was damit ausgesagt wird: Männer verzichten auf Partnerschaft und Elternschaft, weil sie Angst haben, verletzt zu werden. Das heißt, dass vielleicht einzelne schlechte Erfahrungen verallgemeinert werden. Männer machen Frauen für ihr Unglück verantwortlich, so wie es auch Frauen gibt, die Männer für ihr Unglück verantwortlich machen. Wie bescheuert ist solch eine Sichtweise!

Nach meiner Einschätzung stoßen wir auch hier wieder auf das Phänomen, dass die eigene Verantwortung für das eigene Erleben negiert wird. Es ist also auch wieder ein im Grunde kindliches Verhalten. Vor allem aber beschneiden sich diese Männer selbst einer wichtigen menschlichen Möglichkeit: einer erfüllenden Partnerschaft und Elternschaft.

Vielen Dank für das Gespräch!