Von der Dynamik der Sprachzerstörung

Von Alexander Wiechec, Gastautor

Nach  meiner Wahrnehmung hatte die Rechtschreibreform wie eine offizielle Legitimation gewirkt, auch von anderen Seiten her die Sprache kaputtzumachen. Wie ein Startschuss, sozusagen. In deren Folge haben es  auch andere Kräfte leichter gehabt, sich ihrer zu bemächtigen, zum Beispiel solche, die die Sprache maschinen-kompatibel machen wollen. Ganz zu schweigen von der „politischen Korrektness“, die sich, ähnlich wie die Politik, anmaßt, den Sprachorganismus unter ihre Herrschaft zu bringen und „Neusprach-Wörter“ und andere unsprachliche Setzungen zu verfügen. (Mit welchem Recht?) So wie die Rechtschreibreform  kalt und formalistisch war, so ist dieses hitzig und ideologisch. Und dieses Ideologische daran ist es, was mich vor allem  so stört.  (Das ist wieder die klassische Spaltung zwischen zu kalt und zu heiß. Was fehlt, ist die Mitte, ist die Verbindung zum Leben und einem aus ihm hervorgehenden Gestalten – welches ein Sich-Entwickeln wäre.
Der Geist des Machens

Man gewinnt Anteil an diesem ideologischen Impetus, wenn man bei der zwanghaften Durchgenderisierung aller Worte mitmacht, wie ich das als besonders peinlich bei Dozenten der Universität manchmal erlebt habe. Man lässt sich insgeheim vor den Karren der Sprachideologie spannen.

Dieser ideologische Zugriff auf die Sprache hat mit dem Geiste des „ Machens“ zu tun. Und dieser hat eindeutig eine männliche Konnotation. Auch wenn er sich das Weibliche auf die Fahnen geschrieben hat. Die Fahnen lügen. Es ist ein Sprach-Gemächte, was da zum Beispiel im Feminismus teilweise propagiert wird. Ist mir zu männlich. Da mag ich nicht mitmachen.

Das weibliche Prinzip hat mit dem Lassen und Sich-Entwickeln zu tun, mit dem Raum-geben und Wahrnehmen dessen was ist und dem Achtung haben davor. Und eine solche Dynamik halte ich für anstrebenswert. Nicht aber das Vorgehen mit der Brechstange und künstlichen Eingriffen in die Umwelt (auch die Sprache ist eine Umwelt, in der wir geistig leben). Diese Brechstange des Machens ist ein Zeichen des „Sie wissen schon, was ich meine“ – eher ein „gentechnischer“ Eingriff

Mancher wird sagen: die Sprache entwickelt sich halt. Aber was da stattfindet, ist keine Entwicklung. Wir benutzen heute so viele ungenaue Begriffe! Und weil man einen Begriff verwendet, bei dem man nicht genau hin gespürt hat, was er meint, hält man dann alle möglichen Verirrungen, auf die man ihn anwendet, für berechtigt. Dieses hier ist eher vergleichbar mit einem Virusbefall, oder mit einem gentechnischen Eingriff. Entwicklung ist anders. Sie folgt einer anderen, mehr inneren Dynamik. Wenn man die willkürliche, gentechnische Manipulation von Lebewesen, zum Beispiel die Erzeugung von Genschaf Dolly, als „Entwicklung der Natur“ auffasst, dann kann man das auch bezüglich der gegenwärtigen Sprachzerstörung und Sprachgleichschaltung. Aber sonst nicht.

Die gleiche Dynamik ist auch zum Beispiel bei der gegenwärtigen „Entwicklung“ Europas zu beobachten. Was da im Moment stattfindet, ist ebenfalls eher mit einem künstlich von außen kommenden gentechnischen Eingriff zu vergleichen, als mit einer Entwicklung. Es ließen sich viele Beispiele finden, wo das so ist. Das Eingreifen, Übergreifen und gewaltsame Machen ist die allesbeherrschende Dynamik unserer westlichen Welt. Bei Heidegger heißt das „das Ge-stell“, mit welchem Wort es das „herausfordernde“, technoide Prinzip der Moderne beschreibt. Wir machen aus der Sprache ein „Ge-stell“. Entwicklung heißt, dass es ein kultureller Prozess ist und kein Gemächte, ein Prozess, der aus dem Gesamten der Kultur, aus dem Gesamten der Gesellschaft kommt.

Der Begriff der Entwicklung hat was Organisches, hat einen Charakter, der das Erdprinzip mit beinhaltet. Ich kann nicht, wenn ich zum Beispiel als despotisches Familienoberhaupt meiner Familie den Mund verbiete, durch einseitige Machtausübung bestimmte Regeln aufoktroyiere, dazu dann sagen: meine Familie hat sich eben entwickelt. Das wäre Zynismus.
Wenn durch eine neue Maßnahme etwas geschädigt wird, wenn Krankheits- und Verfallserscheinungen auftreten, heißt das für mich, dass mit dieser neuen Maßnahme etwas nicht in Ordnung ist und nicht, dass man sie wie selbstverständlich als das „neue Gesetz“ auffasst und das Krankwerden des Systems akzeptiert. Da fehlt das Rückmeldungsbewusstsein. Das Bewusstsein des Lernens aus den Wirkungen, die man setzt.

Das Hoheitsrecht dieses Landes wird von all den „Besatzungsmächten“ jedenfalls ignoriert: des Landes der Sprache. Von den Politikern, den Kulturmaschinisten und den Pseudomoralisten. Diesen allen möchte ich sagen, daß sie an meiner Fluchttendenz aus dem hiesigen Sprachraum mitarbeiten. Ich fühle mich allmählich wie ein Heimatvertriebener. Nur daß mir diese Heimat in der Sprache gewissermaßen bei Anwesenheit unter dem Hintern weggezogen wird. Ich schreie das alles ja nicht, weil ich als Oberlehrer und Besserwisser in Erscheinung treten möchte, sondern weil ich die Sprache liebe und in ihr wohne. Und das in gewisser Hinsicht mehr als an bestimmten Orten. Also weiter: Sie tun dem Ort, an dem ich wohne, Gewalt an, zerschlagen das Mobiliar, bohren Löcher in die Wand. Lassen Sie das bitte! Sprachumweltzerstörung verboten!

Schutz des Weiblichen….Vergewaltigung der Sprache

Und sagen Sie nicht: du kannst doch sprechen, wie du willst. Nein, das kann ich nicht. Ich rede ja nicht nur mit mir allein. Sprache ist ein Netz, das zwischen vielen Individuen ausgespannt ist. Ich kann mich nicht von den Dynamiken dieses Netzes ausschließen.
Unter dem Vorwand ein Wesen zu „schützen“, das Weibliche, wird zum Beispiel von den politisch Korrekten ein anderes missachtet, ja geradezu vergewaltigt, das Wesen der Sprache. Wie ein Fußabtreter wird sie benutzt, mit dem mal alles und jedes machen kann. Wie mit der Natur. Das ist die gleiche neuzeitliche Geste des Vernutzens. Es ist auch dasselbe Prinzip, das in den Eroberungen lag, oder schon vorher bei den Missionaren: da gibt es welche, die sich im Besitz der Wahrheit dünken und sie leiten daraus das Recht ab, sich einen anderen Kontinent anzueignen und zu zerstören. Und wehe, es sagt jemand was dagegen. Der wird ausgebuht und in die Ecke gestellt, als reaktionär verschrieen, oder anderes.

Die früheren Eroberer waren wenigstens als Kriegsführende zu erkennen. Die heutigen – wollen alle nur unser Bestes!
So dass in diesem Fall die Zerstörung des Kontinentes der Sprache überhaupt niemandem aufzufallen scheint. Ja er wird sogar begrüßt. Das hat man heute so. Was macht da schon ein in der Sprache nicht vorgesehener Großbuchstabe mitten im Wort, oder andere noch unsprachlichere Zeichen, die ich als Sprachumweltverschmutzung empfinde? Dient doch nur der Gleichberechtigung! Was hat der eigentlich? Was regt der sich so auf? Keep cool, Alter!

Am Rande sei hier nur erwähnt, dass auf der psychologischen Ebene das Gegenteil von Gleichberechtigung geschieht. Wenn da laut Gedankenpolizei nur noch von Studentinnen oder Bürgerinnen geredet werden darf, schwingt dabei immer mit, vor allem, wenn das Männer sagen, in gönnerhaftem Ton, dass man den Frauen nicht zutraut, sich auch von den Worten Bürger und Student angesprochen zu fühlen. Als wäre das nicht vorher auch so gewesen, ohne dass sich da irgendwer zurückgesetzt gefühlt hätte! Aber wenn man sich daran gewöhnt hat, meint man, es ginge nicht mehr ohne. Dann ist man abhängig geworden von diesen Sprachverrenkungen, mithin geschwächt. Vorher stand man drüber, oder hat es gar nicht als Problem bemerkt. Mich stört ja, wie gesagt , nur die Dynamik, aus der das kommt, eine Dynamik des Zwanges und der Unfreiheit, die Sprachideologie. Und nicht, dass man dem Weiblichen mehr zu seinem Recht verhelfen will. Das ist eine Dynamik des Machens und Befehlens und keine Entwicklung. Das Wie und das Woher ist das Entscheidende, nicht das Was.
Ja, wir verkaufen uns gegenseitig für dumm und machen uns schwach und nennen das Fortschritt. Und wir beschäftigen uns immer mehr mit Problemen, die eigentlich gar keine sind. Während die, die wirklich vorhanden sind und die uns bald das Leben auf der Erde unmöglich machen, immer noch zu wenig beachtet werden.
Und warum machen da alle mit!?!? Das regt mich auch so auf. Sogar die Dozenten an der Uni. Alle ziehen den Schwanz ein und fügen sich in eine von außen aufoktroyierte Vorgabe der Gedankenpolizei. Orwell nannte das „Neusprache“  in seinem Buch „1984“. Dem sind wir sehr auf den Fersen, was er da entworfen hat.  Merken die denn nicht, dass sie sich dadurch teilweise lächerlich machen? Weil sie nicht mehr als selbstbestimmte Persönlichkeiten auftreten. Das aber sollten sie. Gerade vor Schülern und Studenten. Ein Vor-Bild der Freiheit abgeben, das heißt der Selbstbestimmung.
Warum kann denn hierzulande irgendjemand irgendeinen Quark erlassen oder sonst wie in Umlauf bringen und alle machen mit? Das ist doch verrückt. Ist die seelische Kastration den Deutschen so normal geworden, dass sie sie gar nicht mehr bemerken? Wie soll man da Achtung empfinden vor seinen Mitmenschen?
Man wird sagen: was hängt der sich an solchen Kleinigkeiten auf? Ist doch nicht so wichtig, ob ich daß mit „ß“ schreibe. Na ja, man wird noch Ärgeres sagen an dieser Stelle, ist mir schon klar.
Für mich ist dieser Prozess eine Signatur für ein Prinzip, das unsere Kultur prägt. Ich finde, es kommt nicht so sehr auf den Umfang eines Schrittes an, sondern darauf, was sich darin ausdrückt. Das Woher ist entscheidend, nicht das Was. Und das, was hier dahintersteht, hinter der Gleichschaltung, Enteignung und Zerstückelung des Sprachkontinentes, halte ich für einen deutlichen Schritt in die verkehrte Richtung. Einen von vielen. Und die Sprache ist auch keine Kleinigkeit, sie ist das, was uns geistig mit der Welt verbindet. Die Sprache ist das Gerüst des Menschseins.
In der Glattbügelung der Sprache, die mich manchmal an die Enthornung der Kühe denken läßt: einem lebendigen Organismus wird der Ausdruck seines Eigenseins genommen, bildet sich natürlich die Selbstbeschneidung, die „Selbstenthornung“, der Menschen ab, die sie vornehmen. Das ist der erste Schritt, der im Inneren vorausging: der Angriff auf ihre Kraft, ihre Individualität, ihr Erdreich.