„Anders als vor vierzig Jahren wird Gewalttätigkeit in Partnerschaften und Familien heutzutage als ein Problem von großer gesellschaftlicher Tragweite anerkannt. Den Anstoß dazu hat im Wesentlichen die Frauenbewegung gegeben. Seit mehr als zwei Jahrzehnten wird deshalb nach Mitteln und Wegen gesucht Gewalthandlungen einzudämmen. Sie gänzlich beseitigen zu wollen, ist hingegen unrealistisch. Aber nur gründliche Kenntnisse über die Bedingungen, die sich in Familien zu gewalttätigen Handlungen verdichten können, tragen dazu bei, Gewaltepisoden zu verhindern und den Weg zu einer sprachvermittelten Klärung zu finden“.
Mit dieser Einleitung beginnt Professor Gerhard Amendt sein Vorwort zu der deutschen Fassung des revolutionären Standardwerks aus den USA. Der deutsche Titel lautet:
Familiäre Gewalt im Fokus. Fakten – Behandlungsmodelle – Prävention
Die amerikanische Fassung wurde herausgegeben von dem renommierten Gewalt-Experten John Hamel und der Psychologie-Professorin Tonia L. Nicholls – ohne Frage ein Meilenstein in der Fachliteratur zur Gewaltliteratur. Hier zum Inhaltsverzeichnis: /1/. Das Handbuch ist 744 Seiten stark (€ 39.90). Es umfasst 28 Beiträge von Experten aus allen Bereichen häuslicher und partnerschaftlicher Gewalt, vor allem auch über Gewaltauswirkungen auf Kinder, die Zeuge elterlicher Gewalt werden. Eine Ebook-Version ist ebenfalls verfügbar (€19.90).
Wandel der Gewaltdebatte
Unbemerkt von einem Großteil der Öffentlichkeit, sei die bisherige Gewaltdebatte, so Amendt „ von Schuldzuweisung und nicht um das Verstehen von Ursachen bemüht, mit dem der Wiederholung entgegengewirkt werden kann. (…) Das Buch ist ein Beitrag zu einer Wende in der Gewaltdebatte, nämlich einer Wende von der politisch-ideologisch motivierten Parteilichkeit hin zu einer wissenschaftlich begründeten Hilfe.“
Arne Hoffmann schreibt in seiner Rezension /2/: „Eine wachsende Zahl von Forschungsergebnissen stellt in aller Ruhe und ohne großes Aufsehen einige der meistgeschätzten und am längsten bestehenden Annahmen in Frage, die die Voraussetzung für Gesetzgebung und Intervention zu familiärer Gewalt bilden (…). Traditionellerweise wurde Gewalt in der Partnerschaft in den Informationsbroschüren, die in Aufnahmezentren für missbrauchte Frauen und Opferschutzorganisationen ausliegen, und ebenso in den Artikeln des Großteils der anerkannten akademischen Forschung als Geschlechterfrage dargestellt; es wurde versichert, dass Männer die große Mehrheit der Täter und Frauen die große Mehrheit der Opfer bildeten. Jahrelang wurde behauptet, die von Männern verübte häusliche Gewalt mache 95% des Missbrauchs in Partnerschaften aus (…). Dort, wo ein ausgewogeneres Geschlechterverhältnis eingeräumt wurde, minimierte man die Bedeutung und Wirkung von Missbrauch durch Frauen und verstand sie als entweder defensiv oder situationsbedingt, als einmaligen Ausdruck der Frustration über die Kommunikation mit einem uneinsichtigen Partner und im Gegensatz zum unterstellten mutwilligen, allgegenwärtigen und allgemein kontrollierenden männlichen Verhalten stehend“.
Männliche Opfer
Hoffmann zitiert weiter aus dem deutschen Buch: „Mit Blick auf die Anliegen der Männerrechtsbewegung ist insbesondere das Kapitel „Männliche Opfer“ hervorzuheben, in dem David L. Fontes die psychologischen und kulturellen Motive darlegt, die dazu führen, dass Männer seltener als Opfer wahrgenommen werden, wobei er Methoden vorschlägt, mit denen Dienstleiter, Gesetzgeber und die Opfer selbst dieser Tendenz besser entgegenwirken können. Als eine der Hürden macht Fontes die von Täterinnen wenig hinterfragte Alltagskultur aus, die Gewalt gegen Männer beständig verharmlose. So habe ihm die Leiterin eines Wutbewältigungs-Programms für weibliche und männliche Gewalttäter berichtet, dass viele weibliche Gewalttäter, mit denen sie arbeitete, ihre männlichen Partner ohrfeigen, wenn sie sich schlecht benehmen, und dass diese Frauen solche Übergriffe als „Seifenoper“-Klatschen abtun“.
Feministische Reaktionen
„Seit etwa 35 Jahren zeichnet sich in der kriminologischen und soziologischen Forschung ein ganz anderes Bild ab, das eine annähernde Gleichverteilung der Täterschaft zwischen den Geschlechtern sowie ein systemisches, wechselseitiges Hochschaukeln von häuslicher Gewalt zeigt. Wie Hamel und Nicholls weiter berichten, wurden Forschern, die diese Fakten offenlegten, mit „Zweifel, Furcht und Geringschätzung“ begegnet: Mehrere prominente Figuren auf dem Gebiet, die ihre kontroversen Erkenntnisse veröffentlichten, wurden mit Drohungen gegen ihre persönliche Sicherheit konfrontiert (…)“ oder, das ist hinzuzufügen, ihre Karrieren zerstört.
Das Handbuch bestätigt nachdrücklich, dass es wichtiger ist, wirksame Methoden zur Verminderung von häuslicher Gewalt zu finden, als der politischen Korrektheit zu genügen, die blind dafür ist, warum in Partnerschaften Gewalt entstehen kann. Dass es überhaupt nötig wurde, sich zu entscheiden, ob man Gewaltopfern helfen oder der politischen Korrektheit genügen will, ist ein Webfehler der radikalfeministischen Ideologie, deren verheerenden Auswirkungen zahlreiche Autoren empirisch nachweisen konnten. Das Plädoyer Familienhäuser auch in Deutschland einzuführen, war vor 8 Jahren noch Anlass für heftige Anfeindungen. Mittlerweile vertreten genau das die meisten Autoren des Handbuchs, weil die gängigen von feministischer Kurzschlüssigkeit geprägten Methoden um eine vielfaches weniger effizient sind, als die Methoden, die Beziehungen als den Ausgangspunkt für Hilfen definieren und eben nicht den mann vorab als Schuldigen definierten Schuldigen.
Frauen als Täterinnen
In seiner Rezension „Mythen vom friedfertigem Geschlecht beginnt zu bröckeln“/3/ schreibt Professor Dr. Walter Hollstein: „……Neuere Studien bestätigen seit langem und unisono, dass Frauen ebenso gewalttätig sind wie Männer. Gewalt hat also kein Geschlecht. In unseren Breitengraden üben etwa ein Drittel der Männer Gewalt aus, aber eben auch ein Drittel der Frauen. Bei schwerer körperlicher Gewalt dominieren Männer aufgrund ihrer größeren Körperkraft, bei psychischer Gewalt und Gewalttaten, um den Partner zu kontrollieren, Frauen. Die weit verbreitete Meinung, dass von Frauen keine körperliche Gewalt ausgeht, ist falsch. Frauen treten, beißen, ohrfeigen, stoßen, schlagen und werfen vor allem mit Gegenständen. Kinder – vor allem Buben – sind signifikant häufiger Opfer von Züchtigungen ihrer Mütter als ihrer Väter. Gesamthaft sind Männer zu 75 Prozent Opfer von Gewalt, Frauen nur zu knapp 25 Prozent, andere Studien weisen Männern sogar einen Opferanteil von 85 Prozent zu. Schon vor rund vierzig Jahren hatten in den USA Forscher wie Murray A. Strauß oder Suzanne K. Steinmetz aufgezeigt, dass Gewalt zwischen den Geschlechtern annähernd gleich verteilt ist, etwa ……..“ Angesichts von mehr als 230 Studien wird das heute nicht mehr bezweifelt, allenfalls wird versucht, diese Tatsache der Öffentlichkeit vorzuenthalten.
Therapie – Aspekte
Auf der Pressekonferenz in Wien stellte kürzlich Prof. Dr. Gerhard Amendt und der Kinderpsychiater Dr. Bernhard Kluger das Buch vor. In der Diskussion ging es um den familiären Aspekt als Ausgangspunkt für mögliche Therapien. Es folgen Zitate aus /4/:
Amendt: „Gewalt kommt nicht aus freiem Himmel. Sie ist immer an äußere Alltagssituationen oder innere Verwerfungen in der Paarbeziehung und Familie gebunden“. So führen etwa 30 Prozent aller Scheidungsfälle zu Handgreiflichkeiten. Auch Arbeitslosigkeit oder die Angst vor dem Verlust des sozialen Status können eine Rolle spielen. Auslösende Emotionen sind häufig Stress, Angst, Frustration und die mangelnde Fähigkeit, Ärger zu verbalisieren.
Gewalt werde oft eingesetzt, wenn Eltern oder Paare nicht in der Lage sind, Probleme mit Worten zu lösen. Schwierige Situationen und Überforderungen werden mit Fäusten ausgetragen. „Dem Kind gegenüber zu schweigen, es vor Geschwistern zu demütigen oder zu isolieren, indem es beispielsweise ins Zimmer geschickt wird, ist ebenfalls Gewalt. Die psychische Gewalt hat genauso Konsequenzen wie die körperliche“, betonte Kluger.
So zeigen Untersuchungen, dass frühkindliche Misshandlung oder Vernachlässigung durch die engen Bezugspersonen dauerhafte Schäden im Gehirn verursachen können. Diese reduzieren die Fähigkeit, mit negativen Gefühlen wie Zorn, Angst und Scham umzugehen. Insbesondere, wenn Kinder nicht über Erlebtes sprechen können, geben sie Gewalt an die nächste Generation weiter. „Viele Geschlagen sagen sich selbst, ich werde meine Kinder nicht schlagen. Wenn es aber soweit ist, wiederholt sich die Gewalt oft. Diese Weitergabe muss durch Therapie und Beratung unterbunden werden“, betont Amendt. Wichtig sei, die Welt nicht in Täter und Opfer einzuteilen, sondern herauszufinden, wie in Familien und Partnerschaften Gewalt entsteht.
Gewalt zu verbieten, reicht nicht aus, damit Menschen der Gewalt entsagen (…). „Die Aufforderung alleine ist zu wenig. Eltern müssen verstehen, was die Gewalt ihren Kindern antut“, sagt Experte Amendt. In der Beratung und Therapie gehe es daher darum, die Familie an einen Tisch zu bringen und unterstützende Netzwerke inklusive professioneller Hilfe wie Therapeuten zu identifizieren. Amendt: „Gewalt wird sich nie beseitigen lassen. Man kann aber ihre Wiederholung und Ausbreitung eindämmen.
Amendt schließt sein Vorwort: „Das Buch ist ein Beitrag zu einer Wende in der Gewaltdebatte, nämlich einer Wende von der politisch-ideologisch motivierten Parteilichkeit hin zu einer wissenschaftlich begründeten Hilfe. Damit werden die Grundlagen für eine effiziente Auseinandersetzung mit Gewaltsymptomatiken in Partnerschaften und Familien gelegt.“
Quellen:
/1/http://ikaruverlag.com/Familiaere_Gewalt_im_Fokus
/2/http://genderama.blogspot.de/2014/11/rezension-neues-buch-meilenstein-bei.html
/3/Rezension Hollstein in NZZ vom 25.1.2015
/4/ http://kurier.at/lebensart/gesundheit/familiaere-gewalt-im-fokus-in-der-gewaltspirale/100.924.977