Neid und Missgunst – der schwankende Unterbau der Gender Studies

von Gerhard Amendt

Was ist unerfreulicher? Beneidet zu werden oder selber ein Neider zu sein? Da Neid ein heftiges Gefühl ist, kann es die Seele des Neiders auffressen und dem Beneideten den Spaß am Gegenstand des Neids vergällen. Aber Neid gehört zum Leben dazu und es lohnt sich, diesen nicht nur zu benennen, sondern auch zu fragen, welche Bedeutung er in Gesellschaften annehmen kann.Und zwar auch im guten Sinne, sodass aus dem Neid eine vorwärtstreibende Kraft wird. An einem Ereignis soll skizziert werden, wie Neid förderlich sein kann, wenn er in Strebsamkeit, Phantasie und Durchhaltevermögen verwandelt wird. Am Beispiel der Gender Studies hingegen soll das lähmende Potential von Neid untersucht werden. Es breitet sich dann aus, wenn es Personen oder ganze Gruppen befällt und diese in eine isolierende Neidfixierung abdrängt. Dann führt nagender Neid zu feindseliger Selbstbezogenheit, die sowohl den einzelnen als auch die kollektiven Neider erfasst und sie der Gesellschaft entfremdet.

Vorwärtsweisender Neid

Mein persönliches Bespiel eines produktiven Neids reicht in die 50er Jahre des vergangenen Jahrhunderts zurück. Wir waren mehrere Jungen in der Nachbarschaft und 10 Jahre alt. Die Entscheidung stand an, ob wir als reine Jungenklasse weiterhin die Volksschule besuchen oder ob wir an eine Mittelschule wechseln sollten. In einem Frankfurter Vorort mit nicht wenigen Analphabeten stellte ein solcher Wechsel bereits einen Abschied vom Herkunftsmilieu dar und so blieben die meisten an der Volksschule, während nur eine Handvoll an die Mittelschule wechselten. Wir Jungen, von denen viele im Krieg den Vater verloren hatten, waren immer neidisch auf den einzigen Jungen in der Nachbarschaft, der nicht nur einen Vater hatte (der obendrein Lehrer war), sondern der darüber hinaus ein Gymnasium besuchte. Über all die Jahre haben wir ihn neidvoll bewundert. Niemand von uns konnte aber so recht sagen, was wir ihm neideten. Keiner wusste, was es am Gymnasium zu lernen gab. Vielleicht war es Latein, für uns damals Inbegriff von Anforderung und zugleich des Unbekannten. Jedenfalls verkörperte es Denken und Wissen, von denen wir uns erhofften, dass sie auch uns einst die Möglichkeit böten, unsere Herkunft und unsere Welt zu verstehen und zum Besseren zu verändern. Unser Neid hat sich in Antrieb zur Weiterbildung verwandelt. Unsere späteren Arbeitgeber erlebten dies als störend für den Betriebsfrieden, weil von allzu viel Strebsamkeit Unruhe ausgehen würde. Das hat uns nicht abgeschreckt. Auch die Hoffnung auf das Studium gab keiner auf, obwohl die Möglichkeit dazu ungreifbar fern lag. Doch als Anfang dann der 60er Jahre allmählich das Abschöpfen der Bildungsreserven begann, kam das unserer Bildungswut nur allzu sehr entgegen. Jungen Männern und Frauen aus bildungsfernen Milieus mit ähnlichem Elan wurde erstmals der schwierige und kühne Weg zum Abitur geebnet. Der zweite Bildungsweg wurde zum Vehikel, das unseren Neid auf privilegierte Bildung zum Erlöschen brachte und denen „da unten“, das waren wir, das Vordringen bis in die Universitäten ermöglichte. Das verdankten wir der Sozialdemokratie, die damals noch Politik für Unterprivilegierte machte. Dies ist ein Beispiel von staatlicher Intervention, die – gepaart mit der hohen Leistungsmotivation des Einzelnen – positiven gesellschaftlichen Wandel ermöglichte.

Neid als Konfliktanlass

Ganz anders die Verfechter der Gender Studies. Bei aller Differenzierung unter deren einzelnen Ansätzen liegt ihnen doch ein gemeinsamer Tenor zugrunde: Sie frönen nicht der Vorstellung, dass Leistung nach oben führen muss, sondern dass Frauen „jetzt an der Reihe seien“, so als hätten Männer bislang ganz ohne Anstrengung und auf Kosten der Frauen sich nur genommen, was an reifen Früchten gerade am Wege lag. Anhänger der Gender Studies suchen nach Nischen, von denen sie meinen, dass Frauen böswillig ausgeschlossen würden und ihnen nicht freiwillig fernblieben. Sie finden stets, was sie suchen. Und auch wenn sie zumeist nichts finden, weil sie nur auf erfolgreiche Frauen stoßen, dann können sie sich über deren Erfolge nicht einmal freuen. Denn die Freude würde nahelegen, Neid als Lebenselixier aufzugeben und sich leistungsorientiert wie alle anderen um Erfolge selber zu bemühen und damit den Ideologien der Gender Studies zu entsagen.

Da Genderideologen nicht selber handeln wollen, sondern sich stattdessen aufs Beschwerdeführen konzentrieren, setzen sie all ihre Hoffnung darauf, dass andere sie zu den lichten Höhen ihrer Wunschwelt führen. Die Gender Studies haben keine Konzepte vergleichbar sozialer Bewegungen entwickelt, mit Hilfe derer man sich selber oder als Gruppe befreien kann. Einen Beitrag zu irgendeiner Form von Professionalität leisten sie ebenso wenig. Ein gewisses Festharren am Unglücklichsein scheint ihnen nicht fremd wie auch die traditionelle Suche nach ritterlichen Männern, die Frauen aus eingebildeten Nöten nur allzu gerne retten würden. Ich habe diese Mentalität vor vielen Jahren bereits als „Opferverliebtheit“[1] beschrieben. Aus der Sicht der psychologischen Diagnostik kann man darin durchaus auch Symptome von Masochismus erkennen, die sich durch Lust sowohl am Leiden als auch am Bestraftwerden auszeichnen. Politisch sind diese Verfechter gegen grobe Gewalt, jedoch für verfeinerte im persönlichen Alltag sind sie durchaus offen.

Anhänger der Gender Studies suchen noch in den geheimsten Ecken der Gesellschaft beharrlich nach Indizien, die für den Opferstatus von Frauen sprechen, um ein abgerundetes Bild vom leidenden Frauenkollektiv präsentieren zu können. Das wird mit einer Leidenschaft betrieben, die religiöser Gläubigkeit ähnelt. Wobei Gottesgläubigkeit durch Opfergläubigkeit ersetzt wird. Die Männer als die Feinde werden hingegen ungefragt zur gottgleichen Übermacht stilisiert.

Obwohl es stets eine persönliche Entscheidung ist, sich dieser Opfermentalität anzuschließen, so stärken linke Varianten vom Wohlfahrtsstaat diese Hingabe, weil sie jeden Einzelnen immer mehr von den Mühen autonomer Lebensgestaltung glauben entlasten zu müssen. Über die Förderung von Opferstudien an Fachhochschulen und Universitäten bis hin zur Opfersuche in der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) wird dieser Trend befeuert. Wenn wundert es dann, dass Opfersein schick bis zum heutigen Tage ist. Niemand soll sich über sein Scheitern weder schämen noch ärgern müssen, niemand sich gedrängt fühlen, sein Leben selber zu verantworten. Denn mit dem Gefühl ein Opfer zu sein wird der Schuldige zumeist frei Haus schon mitgeliefert. Jedem Opfer wird ein erkennbarer Täter gegenüber gestellt. So schleicht sich eine allmähliche Umkehr der Lebensgestaltung ein. An die Stelle eigener Gestaltung treten immer häufiger wohlmeinende Direktiven von außen, die Fremdes an die Stelle von Eigenem setzen. Die Konsequenzen daraus sind tiefgreifend, denn wir werden zunehmend von externen Institutionen zu einer neuen Normalität gedrängt.[2] Wir kennen das seit gut drei Jahrzenten von den Zielsetzungen der Gender Studies und der Political Correctness. Und in extremerer Form aus totalitären Systemen, wie es z. B. in George Orwells Animal Farm literarisch vorweggenommen wurde, oder den Praktiken der ehemaligen sozialistischen Staaten.

Neid als Lebenselixier

Wenn wir durch unserer Hände Arbeit uns nicht mehr das beschaffen müssen, was andere bereits besitzen, dann können wir nicht nur unserem Neid bedenkenlos freien Lauf lassen, sondern uns letztlich auch dem garstigen Gefühl der Missgunst hingeben. Beides wird gesellschaftsfähig, denn Schuld am Neid und auch der Missgunst sind immer die anderen. Die Maxime heißt dann: „Was ich anderen neide, besorgt es mir, wenn ihr gute Menschen sein und Unrecht an mir wiedergutmachen wollt! Andernfalls werde ich aggressiv und missgünstig. Anerkanntes Opfer bin ich bereits!“ Wer darauf setzt, wird in Untätigkeit erstarren. Damit wandelt Neid sich zur Anspruchshaltung. Und Abhilfe kann dann nur noch vom Wohlfahrtsstaat kommen, der alle Neidischen beschwichtigen muss. Dafür glaubwürdige Begründungen zu erfinden, ist im Wesentlichen eine Zielsetzung der Gender Studies an Universitäten und Fachhochschulen. Finanziert wird die Suche zumeist durch Bundesministerien und nicht etwa über aufwändige von Experten begutachtete Forschungsförderung. Gender Studies sollen die porösen Bausteine für das Feindbild Mann liefern, damit der missgünstige Neid als Kraftquelle den Gender Studies erhalten bleibt. Aus diesem Grund können Gender Studies als Fremdkörper an den Rändern des Bildungssystems unkontrolliert existieren. Die staatliche Finanzierung macht nicht nur deren subkulturelle Abkapselung gegen die Wissenschaften möglich, sondern bewahrt sie vor der Überprüfung ihrer gesellschaftlichen Nützlichkeit mit den herkömmlichen Methoden der wissenschaftlichen Evaluation. „Genderpolitischer Fortschritt“ verschärft deshalb den Neid auf Männer. Ganz nebenbei propagiert er eine Mentalität, dass Frauen sich als Zukurzgekommene präsentieren sollen und das Klagen ein legitimes Prinzip für Frauen ist, Forderungen anzumelden.

Jenseits von Politik – der wabernde Untergrund

Wir können die Dynamik von Neid und Missgunst mit dem Hinweis auf Ungerechtigkeiten gegenüber Frauen nicht begründen. Denn alle Behauptungen über systematische Diskriminierungen wurden weitestgehend widerlegt. Denn die Unterschiede, die es noch gibt, sind Ausdruck von gesellschaftlichen oder auch partnerschaftlichen Übereinkünften zur Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern. Wir müssen deshalb in eine gänzlich ungewohnte Richtung blicken, um zu verstehen, warum Neid und Missgunst als ein Grundstein von Gender Studies erhalten bleiben, obwohl alle medial gestreuten Mythen über kollektiv diskriminierte Frauen widerlegt wurden. Nur, was ist aber dann dieses Fundament?

Es geht also nicht mehr um Vorteile, die Männer sich auf Kosten der Frauen erschlichen haben sollen. Vielmehr geht es bei den mehrheitlich weiblichen Anhängern der Genderideologie um eine innere Befindlichkeit, die sich als psychischer Konflikt fassen lässt. Das ist nichts Neues, es wird nur allzu oft übersehen. Unter Genderisten führt das dazu, dass sie essentielle Unterscheidungen zwischen Männern und Frauen vornehmen, die als unveränderbar betrachtet werden. Sie zerlegen die Welt von Frauen und Männern gewissermaßen in Gegensätze. Nicht um die Gegensätze zu versöhnen, was das einzig Sinnvolle wäre, sondern um sie zu verschärfen und um Frauen als das rettende Subjekt der Geschichte und sogar der Menschheit aus dem Zylinder zu zaubern. Damit sie als Phönix aus der Asche einer verruchten Männergeschichte aufsteigen können, müssen die Männer so recht verteufelt werden. Aus der Bandbreite solcher Beweisführungen sei die Wesentlichste herausgegriffen: Gewalt sei männlich. Männer seien gewalttätig, Frauen hingegen nicht. Doch das männlich-mythisch gewalttätige Wesen lässt sich trotz angestrengter Versuche nicht nachweisen. Im Alltag stehen dem die unzähligen Anekdoten von den Ehefrauen mit der Bratpfanne hinter der Tür im Wege, ganz zu schweigen von den Erkenntnissen der Wissenschaft. Das zu übersehen, hat zur Folge, dass die Beziehungen zwischen Männern und Frauen vergiftet und eine Atmosphäre bedrohlicher Feindseligkeit geschaffen wird. Es wird so getan, als sei männliche Gewalttätigkeit ein Stück unveränderbarer Natur genau wie die Friedfertigkeit[3] der Frauen eine andere sei. Das ist umso erstaunlicher, als die Genderideologie den Einfluss von Natur, wie Biologie und Genetik, auf das menschliche Verhalten eigentlich für unerheblich oder allenfalls marginal erklärt hat. Die Flucht in eine essentialistische Zuweisung negativer und positiver Wesensmerkmale entspringt dem Umstand, dass die Welt nicht vereinfachend polarisiert ist, aber dazu erklärt werden soll. Die Ideologie von den mächtigen Männern und ohnmächtigen Frauen soll das bewirken, damit die politische Hebelkraft erhalten bleibt, mit staatlich geförderter Genderpolitik gegen die bösen Männer vorzugehen. Die Alltagspraxis der Genderideologen stört sich an dieser Ungereimtheit nicht, obwohl sie damit in einen heftigen Widerspruch zu ihren subtiler argumentierenden Vorläuferinnen und Repräsentantinnen wie z. B. Simone de Beauvoir, Judith Butler und generell dem sozialen Konstruktivismus gerät. Diese gehen nämlich davon aus, dass die Frau nicht als Frau geboren wird, sondern dazu gemacht wird. Logischerweise müsste dieses Prinzip der Sozialisation auch für den Mann gelten. Wenn Männliches wie Weibliches in seinen jeweiligen Ausprägungen allerdings gesellschaftlich hergestellt werden, dann muss der Neid auf Männer ebenso als sozial Konstruiertes aufgefasst und als etwas Vergängliches angesehen werden. Dieser Schritt wird nicht getan, weil der zweite Zweck verfehlt würde: nämlich die emotionale Gewissheit aufrechtzuerhalten, dass Neid auf Männliches begründet sei.

In der feindseligen Tradition bestimmter Zweige des Feminismus werden emotionale Bedürfnisse und Phantasien zu einer Ideologie verschmolzen. Letztlich schwingt dabei eine Vorstellung mit, dass Männlichkeit und Weiblichkeit sich nicht nur wesensmäßig unterscheiden, sondern dass sie zugleich unterschiedlich wertvoll seien. Das eine Geschlecht demnach mehr und das andere eher weniger und deshalb minderwertig. Aus der Sicht der Genderideologie stellt sich die Männlichkeit als beneidenswert und die Weiblichkeit als nicht beneidenswert dar. Frauen haben demnach allen Grund Männer wegen ihrer Anatomie zu beneiden und sie mit Eigenschaften wie Großartigkeit und Allmacht phantasiereich auszustatten und sich selber den Grauschleier von Mangelhaftigkeit und Ohnmacht umzuhängen. Wobei Genderisten das nicht ausdrücklich sagen. Sie tun es indirekt, indem sie das Gegenteil der Großartigkeit als ihr eigenes Schicksal beschreiben und daraus abermals ihre guten Gründe gewinnen, Neid und Missgunst als politische Strategie zu erklären. So als gäbe es für den Neidischen keine anderen Weg sich das Fehlende und heiß Begehrte zu beschaffen. Zwar haben Männer wie der Nervenarzt und Elektrotherapeut J. P. Möbius vor gut einhundert Jahren Frauen einen minderen Wert – nämlich einen anatomisch bedingten Schwachsinn – nachgesagt. Sie haben das in der Absicht getan, die Arrangements der Geschlechter vor einer modernisierenden Dynamik zu bewahren. Sie fürchteten um die Stützen ihrer persönlichen Selbstgewissheiten. Einiges spricht nun dafür, dass die Genderideologie dem Konservativen Möbius sehr viel näher steht als es ihren Vertretern bewusst ist. Obwohl die Frauenbewegung der letzten 40 Jahre auf ihre Stärken vertrauend die Minderwertigkeitsdebatte hinter sich gelassen hat, erweckt die sich umstürzlerisch gerierende Genderideologie erneut diese Debatte. Sie tut es anders als Möbius aber mit dem gleichen Ergebnis. Frauen stehen schwach dar und abhängig von gutmeinenden Erlösern und Versorgern.

Opferverliebtheit – die bipolare Weltanschauung

Was ist nun aber die Triebkraft, die Genderisten so nachdrücklich an der Fiktion eines entbehrungsreichen Frauenschicksals festhalten lässt? Warum übersehen sie die Erfolge, die Frauen sich im Wettbewerb und im gesellschaftlichen Leben erarbeitet haben und warum schätzen sie das Recht der Frau auf Selbstbestimmung so wenig? Solche Erfolge und Leistungen sind Frauen weder von Männern noch vom Wohlfahrtsstaat geschenkt worden. Warum kultivieren Genderisten ein Recht auf Quoten und andere unverdiente Vorzüge für Frauen und Mädchen anstelle auf die generelle Leistungsfähigkeit von Frauen zu setzen? Dass Frauen autonom und erfolgreich wie Männer sein können, wollen sie nicht wahrhaben, obwohl sie an den Universitäten von erfolgreichen Frauen umgeben sind. Autonomie und Individualisierung haben in ihrer Weltsicht keine herausragende Bedeutung. Sie setzen damit, wie Möbius, auf Erlösung durch andere. Bei ihm waren es wohlmeinend bevormundende Männer, bei Genderideologen ist es die Hoffnung auf einen dirigistischen Wohlfahrtsstaat. Das ermutigt zur Passivität, die Daseinsverdrossenheit auslöst und zur Hörigkeit verführt. Obendrein ist es ein Plädoyer für zutiefst traditionelle Beziehungsarrangements, die besonders Frauen mit guter Ausbildung schon lange hinter sich gelassen haben.[4]

Ganz im Gegensatz zu dem als deprimierend phantasierten Leben von Frauen wird das aller Männer als erfreulich, befriedigend und beschwingt imaginiert. Und ihnen geneidet. Als sei es frei von Belastung und Verzicht und tagaus, tagein ein einziges Halligalli. Wenn deren Arbeit ohne deren Komplexität und Härten wahrgenommen wird, dann ist das Ausdruck eines Tunnelblicks.

Und so stoßen wir seit mehr als gut drei Jahrzehnten in weiten Teilen der Gesellschaft und vor allen den Medien auf eine ritualisierte Rhetorik, wonach alle Männer gewalttätig und alle Frauen friedfertig seien. In Folge zerfällt deren Beziehungsalltag in unversöhnbare Gegensätze. Es ist wenig erstaunlich, dass sich diese Opferverliebtheit nicht auflösen kann und der Übertritt zur rationalen Forschung der Wissenschaften nicht an deren Stelle tritt.

Die Anhänger der Genderideologie werden – das sei hier ausdrücklich betont – durch ihre psychischen Motive prägnanter charakterisiert als durch ihre politischen Vorstellungen. Was sie umtreibt ähnelt doch dem, was der Psychoanalytiker Sigmund Freud als Penisneid beschrieben hat. Demnach lässt sich der anatomische Unterschied als Quelle für diese hartnäckige Opferverliebtheit verstehen. Nicht als Erklärung für einzelne Frauen, aber doch als Modell der Analyse darüber, was die unerschöpfliche Unversöhnlichkeit und vermeinte Zukunftslosigkeit gegenüber dem Männlichen antreibt. Solange darüber nicht offen geredet werden kann, wird es nicht nur bei persönlicher Unzufriedenheit bleiben, sondern die bedenkliche Kultur der Bipolarität wird die ausstehende Lösung von Konflikten erschweren, die seit Menschengedenken die Beziehungen der Geschlechter prägen. Damit sich an der Ideologie von den unversöhnlichen Beziehungen der Geschlechter nichts ändern kann, rollen seit mehr als drei Jahrzehnten wenig schmeichelhafte Globalverurteilungen über alle Männer hinweg. Jeder einzelne Mythos soll sie entwerten, keinem einen Ausweg lassen und zugleich damit neuerlich den Vorwand liefern, sie weiterhin aus ganzer Seele beneiden zu dürfen. Gender Studies als Königsweg der Frauenerlösung.

In den 80er Jahren war es die von Leonore Weitzman und ihrem Frauenteam ausgedachte Legende, dass sich alle Männer durch Scheidung bereichern würden und sie Exfrauen und Kinder erfolgreich in die Armut trieben. Dahinter verbarg sich der Versuch, teilweise die liberale Gesetzgebung in fast allen westlichen Gesellschaften rückgängig zu machen, um die Bevorzugung von Müttern zu gewährleisten. Diese gesetzliche Liberalisierung zeichnete sich nämlich nicht nur durch die Erleichterung der Ehescheidung aus, sondern vor allem durch die Gleichstellung der zu scheidenden Partner beim Sorgerecht. Eingebettet war diese revisionistische Anstrengung in die noch immer fortlebende Mär, dass Männer ihre Exfrauen und Kinder einer gewalttätigen Kontrolle aussetzen würden. Dieser Tage noch erklärte die Alt-Feministin Gloria Steinem, dass „der gefährlichste Platz für Frauen noch immer das Zuhause [sei]!“[5] Und das, obwohl Frauen genauso häufig zuschlagen wie Männer.[6] Auch die Vorstellung eines Lohndifferenzials zwischen den Geschlechtern wird zu Grabe getragen, weil diese fürsorgliche Lüge zum Vorteil von Frauen vor den Realitäten der Statistischen Bundesämter keinen Bestand hat.[7]

Da sich das polarisierte Weltbild um keinen Preis zersetzen soll, kursiert zur Zeit die Globalverurteilung, dass die westliche Zivilisation einer Vergewaltigungs-Kultur (rape culture) gleiche und alle Männer deren Protagonisten seien. Wer sich gegen diesen Mythos zu wehren versucht, wird dem Phantasiekollektiv der angry white men eines Michael Kimmel[8] zugeordnet. Als einer der hingebungsvollsten Verteidiger dieser Ansicht mit quasi-religiöser Anmutung will er die Reinheit und Güte aller Frauen nach dem Vorbild der Jungfrau Maria bewahren.

Alle furchteinflößenden Überlieferungen, von denen hier nur die Gängigsten genannt wurden, sind wissenschaftlich widerlegt. Einige werden sogar als Fälschung von Forschungsergebnissen durch parteiliche Interessenverbände (also zu weitgetriebene advocacy research) gehandelt.[9] Sie konnten nur deshalb weiterbestehen, weil linke Parteipolitik wie die stets mitschwingende sexuelle Erregung die Debatte am Leben erhalten hat. Nicht zu vergessen, die kulturell verankerte Neigung, Frauen vergleichbar mit Kindern als besonders schützenswerte Menschen auszugeben.

Die Genderideologie lebt davon, eingebildete Feinde zu zerstören. Das ist kein Modell für sozialen Wandel, sondern für bellizistische Aktionen. Mit Wissenschaft aber hat es nichts zu tun. Sie ist eine Gefahr für den Einzelnen wie die Gesellschaft. Konflikte werden zumeist unter Zuhilfenahme von Wissenschaften und professionellen Helfern gelöst. Dabei werden die daran beteiligten Menschen nicht nach ihrem anatomischen Geschlecht, sondern nach sozialen, ethnischen, religiösen und anderen relevanten Eigenschaften – wie ihrem Lebensstil oder der kulturell wie persönlich bedingten Leidenschaft für oder Abneigung gegen Autonomie – wahrgenommen. Solchen nämlich, die sie unterscheiden, voneinander trennen, zusammenführen oder in Konflikt stürzen. Gender Studies hingegen verwerfen alles von der Klassenzugehörigkeit, Bildung, Ethnie und Eigenverantwortung bis zu anderen gestaltenden Elementen. Da soziale und individuelle Momente dann keinen Ausschlag mehr geben, kommt es zu einem unvermeidbaren Rückgriff auf die Genitalanatomie als letztem verbleibenden Unterscheidungsmerkmal. Die gesellschaftlichen Veränderungen der Beziehungen von Männern und Frauen zueinander unterliegen vielschichtigen historischen, kulturellen und materiellen Faktoren. Diese befinden sich in steter Bewegung. Sie sind nicht durch unsere Körper determiniert. Allerdings ist dieser vorausgesetzt. Männer wie Frauen nach ihrem anatomischen Geschlecht zu sortieren, ist deshalb ein biologistisches Missverständnis. Denn das Geschlecht an sich ist keine soziale Kategorie.[10] Gender Studies erliegen dem Paradoxon, dass sie die Bedeutung von Biologie zwar rundweg leugnen, aber letztlich die Menschen danach unterteilen und darauf reduzieren, ob sie eine Vagina oder einen Penis haben.

[1] G. Amendt: „Die Opferverliebtheit des Feminismus oder: Die Sehnsucht nach traditioneller Männlichkeit. Die Zukunft der Männer jenseits der Selbstinstrumentalisierung für Frauen“, in: Paul-Hermann Gruner und Eckhard Kuhla (Hrsg.): Befreiungsbewegung für Männer: Auf dem Weg zur Geschlechterdemokratie: Essays und Analysen. Gießen 2009, S. 41-55. http://www.streitbar.eu/aufsatz_amendt.html
[2] D. Riesman: The Lonely Crowd. New Haven 1950 (Die einsame Masse, Darmstadt 1958).
[3] Vgl. M. Mitscherlich: „Antisemitismus – eine Männerkrankheit?“, in: Psyche 37/1 (1983), S. 41-54.
[4] Und generell wird die kollektive Identifizierung unter Frauen auf Basis ihres anatomischen Geschlechts als zunehmend anachronistisch wahrgenommen. Als unlängst Hillary Clinton im Wahlkampf 2016 Frauen dazu aufrief, für sie zu stimmen, weil sie eine Frau sei, und es somit um einen Sieg der weiblichen Anatomie im Präsidentschaftswahlkampf ginge, hat die US-Schauspielerin Susan Sarandon verkündet: Ich treffe meine Wahl mit dem Kopf und nicht mit der Vagina! Es ist so herabsetzend für Frauen, dass eine Kandidatin meinen kann, sie würden ihr folgen, allein weil sie ein Frau ist!“ („It’s so insulting to women to think that you would follow a candidate JUST because she’s a woman.“). Siehe http://www.nydailynews.com/news/politics/susan-sarandon-not-vote-vagina-… (18. Februar 2016).
[5] „the most dangerous place for a woman in this country is her own home“, G. Steinem im Gespräch mit NPR (26.10.2015). Siehe http://www.npr.org/2015/10/26/451862822/at-81-feminist-gloria-steinem-fi….
[6] Siehe R. A. Medeiros and M. Straus: „Risikofaktoren körperlicher Gewalt in Kurzzeitbeziehungen“, in: J. Hamel und T. Nicholls (Hrsg.): Familiäre Gewalt im Fokus. Wien 2014, S. 99-128.

Siehe auch M. Philips: „The scandal of women`s violence to men. Feminists ignore the fact that aggression in the home is a female, as well as a male, problem.“ The Times, Opinion, (11.3.2016). Und G. Amendt: Von Höllenhunden und Himmelswesen: Plädoyer für eine neue Geschlechter-Debatte. Wien 2013, S. 64ff.

[7] So heißt es in einer Veröffentlichung des Statistischen Bundesamtes hierzu:

„Als messbare Hauptursachen des Gender Pay Gap können eine zwischen weiblichen und männlichen Arbeitnehmern divergierende Berufs- bzw. Branchenwahl (vier Prozentpunkte) sowie die ungleich verteilten Arbeitsplatzanforderungen hinsichtlich Führung und Qualifikation (fünf Prozentpunkte) identifiziert werden. So lässt sich beobachten, dass Frauen verglichen mit ihren männlichen Kollegen eher Tätigkeiten nachgehen, die mit tendenziell geringeren Verdienstmöglichkeiten und Anforderungen verbunden sind. Schließlich trägt auch er höhere Anteile von Frauen in geringfügigen Beschäftigungen zum Gender Pay Gap bei (zwei Prozentpunkte). […] Der bereinigte Gender Pay Gap liegt in Deutschland bei etwa acht Prozent.“ C. Funke: Verdienstunterschiede zwischen Männern und Frauen, hrsg. vom Statistischen Bundesamt, Wiesbaden 2006, S. 5. https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/VerdiensteArbeitskos… VerdienstunterschiedeMannFrau5621001069004.pdf?__blob=publicationFile
[8] Zur Kritik von Angry White Men siehe Miles Groth: „An Angry Non-white Man? Research and Rhetoric in Michael’s Kimmel’s Angry White Men“, in: NEW MALE STUDIES 3/2 (2014), S. 90-122. http://newmalestudies.com/OJS/index.php/nms/article/view/137/130.
[9] R. R. Peterson: „A Re-Evaluation of the Economic Consequences of Divorce“, in: American Sociological Review 61/3 (Juni 1996), S. 528-36.
[10] J. Alber: „Geschlecht – die überschätzte Dimension sozialer Ungleichheit: Zentrale Herausforderungen liegen anderswo“, in: WZB Mitteilungen Nr. 129 (September 2010), S. 7-11. https://www.wzb.eu/sites/default/files/publikationen/wzb_mitteilungen/7-…

Dieser Artikel ist auch auf www.cuncti.net erschienen.