Opferverliebte Journalistinnen – Unterwerfung, die sich genießen lässt

von Gerhard Amendt

Wer reißt sich schon um den Job bei der Müllabfuhr oder den Fernfahrern, wenn er über die Option einer Philosophieprofessur verfügt. Dass das eine leichter als das andere zu haben ist, stellt niemand in Frage. Da die Akademikerquote von Frauen aber nicht geringer als die von Männern ist, kommt es offenbar darauf an, was sie daraus machen. Und sie machen anderes daraus als Männer. Sie wählen, was ihnen Spaß macht und meiden, wo der Spaß für sie aufhört. Das belegt die Statistik und das ist das gute Recht auch aller Frauen. Unterm Strich befindet es allerdings darüber, wie die Berufs- und Einkommensverteilung verläuft. Gerade wortgewaltige Frauen in der Bloggerszene denken nicht gerne darüber nach, ob zwischen Erfolgen, die erreicht werden und denen, die ausbleiben, ein Zusammenhang besteht. Einer, der in den Personen selber liegt und nicht bei ominösen Mächten. Angefangen bei simplen Alltagsweisheiten wie: ohne Fleiß kein Preis, bis hin zu komplexeren Verkettungen, die letztlich zum Erfolg befähigen. Gerade wortgewaltige Journalistinnen bevorzugen eine einzige Erklärung, wenn die Wunscherfüllung von Frauen ausbleibt, zu lange währt, zu anstrengend ist, Rückschläge und Frustration mit sich bringt, oder dass Gehalt den Erwartungen nicht entspricht: Diskriminierung à la Sexismus! Aus diesem Grund gäbe es auch zu wenige Professorinnen in der Philosophie. Kaum kommt eigenes Verhalten von gescheiterten Frauen dabei ins Spiel. Das soll gewährleisten, dass in keinem Fall die Dynamik in den Blick gerät, die Wechselwirkungen zwischen persönlichem Verhalten und äußeren Umstanden aufdeckt. Die verleugnete Wechselwirkung nimmt dadurch beinahe Tabucharakter an. Denn würden Wechselbeziehungen ins Auge gefasst, dann würde Erfolg wie Misserfolg auch in die eigen Zuständigkeit von Frauen fallen. Vorbei wäre es damit, den bösen Buben Schuld für die Misserfolge von Frauen anzuhängen. Wurden jüngst die fehlenden Frauen in Vorständen beklagt, so sind es jetzt die fehlende Philosophieprofessorinnen. Morgen werden es andere begehrte Berufe sein. Um die komplexen Wechselwirkung auch für Professorinnen dem Blick zu entziehen, hat S. Anderl in der FAZ einen übergreifenden  Mechanismus der weiblichen Erfolglosigkeit festzulegen versucht. Sie meint, dass es angesichts der „bösen Buben“ dazu komme, “dass Mitglieder einer sozialen Gruppe mit negativem Stereotyp – eben Frauen – in bestimmten Situationen weniger leistungsfähig sind, da ihr Wissen über bestehende Vorurteile ihr eigenes Verhalten im Sinne einer selbsterfüllenden Prophezeiung negativ beeinflusst.“ Die Festlegung ist eindeutig. Weil Männer von Frauen nichts halten, ziehen Frauen es vor, so zu werden, wie vor allem die Männer glauben, dass sie es eh nur sein können. Obwohl Frauen wissen, dass sie anders sein können und anders sind, so verzichten sie darauf, trotzig, zielstrebig, selbstbewusst und kämpferisch dem Vorurteil sich entgegenzustellen. Mit dem Hinweis auf eine self-fulfilling prophecy wird von S. Anderl der Vollständigkeit halber noch ein Korken der Flasche aufgedrückt, der verhindert, dass der emanzipatorische Geist überhaupt entweichen kann. Das unterstellt, dass Frauen zu nichts anderem fähig seien als zur Identifikation mit dem Angreifer. Vor mehr als 25 Jahren hat die feministische Psychoanalytikerin, Margarete Mitscherlich, diese vermeintliche Unbedarftheit den Frauen bereits angetragen. Sie wollte sie damit von Verantwortung für die Gräuel im Nationalsozialismus befreien. Jetzt wird der Mechanismus der Identifikation mit dem Angreifer dazu verwendet das Scheitern von Frauen in Hochleistungsberufen von ihren persönlichen Motiven zu entkoppeln.

Wer die Welt so erlebt, wird irgendwann von der eigenen Passivität erschlagen. Denn kein Naturgesetz und keine Unabdingbarkeit zwingt Frauen in den Opferstatus. Diesen sich zu eigen  zu machen, beruht auf dem Entschluss, sich mit ihm zu identifizieren und Widerstand gegen die Zuschreibung zu unterlassen. Es ist eine Entscheidung und kein zugeschlagendes Schicksal. Die Opferverliebtheit, die aus dieser Identifikation über die Jahre bei manchen Frauen hervorgegangen ist, wird von Frauen gefördert, die wortaktiv sind aber passiv im Sozialen. Während die Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung leistungsorientiert ist, sind sie beschwerdeorientiert. Dieses Lamentieren hat Katharina Rutschky als Beschwerdekultur benannt und dem akademischen Milieu als Besonderheit zugewiesen. Es weist Ähnlichkeiten mit sozial privilegierten Frauen auf, die aus Erfahrung wissen, dass mit Schuld auslösenden Beschwerden bei Männern fast alles sich erreichen lässt, was andere nur durch Arbeit in ihren Besitz zu bringen vermögen. Das Lamentieren will seit einiger Zeit schon den Hochleistungsbereich der Wissenschaften erobern. Die Arbeit der anderen, in dem Fall von Wissenschaftlern, soll über sprachästhetisch drapierte Schuldzuweisungen enteignet werden, denn Erfolg durch Leistungswettbewerb wird gerade nicht favorisiert. Diesen Mechanismus als Frau zu bedienen, setzt voraus, den Opferstatus, nämlich nicht erfolgreich nach eigenen Wünschen zu sein, mit einer gewissen Verliebtheit zu pflegen.

Das jetzt eine der besten Tageszeitungen dem schöngeistigen Chor der benachteiligt sich Wähnenden die Tore zur Beschwerde öffnet, setzt sie dem Verdacht aus,  als wolle sie die Mentalität von Wellness als Realitätsprinzips für Frauen einführen. So als würde gesellschaftliche und persönliche Produktivität nicht mehr von Leistung, sondern vom Prinzip der Wunschökonomie beherrscht. Und so lässt sich beobachten, dass drei Jahrzehnte weiblicher Opferideologie wie korrespondierenden Mysandrie nicht nur eine polarisierte Weltsicht hervorgebracht haben. Die Errichtung des Opferstatus schlägt diese Frauen vielmehr mit den Waffen, zu denen sie selber gegriffen haben. Die bekennenden, klammheimlichen wie peinlich berührten Anhängerinnen der Opferverliebtheit bringen es nicht weiter als zur voll entfalteten Leidenschaft, die weibliche Passivität als gutes Recht einzuklagen. Sie gebären Forderungen ohne Grenzen. Ihre Hyperaktivität beschränkt sich darauf, weibliche Passivität zu kultivieren, der der Ruf nach einer erlösenden Macht sodann folgt. Aktivität als Befreiendes und Widerstand gegen Zuschreibungen scheint im Kreis der Opferverliebten – allein von denen ist die Rede – sich niemand so recht vorstellen zu wollen. Sie wollen nicht anders sein, als sie von Übelwollenden gesehen werden. So kommt es dazu, dass sie letztlich sogar das Stereotyp ein Stück weit genießen können. Denn sie werden denen vergleichbar, die wirklich krank sind, und die darauf hoffen, dass ihnen der sekundäre Krankheitsgewinn eingeräumt wird, nämlich Nachsicht, Freistellung von Erwartungen und noch mehr Fürsorge als sonst üblich. Die Passivitätswünsche opferverliebter Frauen, die nicht krank sind, sondern freiwillig mit dem Angreifer identifiziert, werden erfüllt. Und das schließt Erfolg ohne volle Leistung ein. Es gibt deshalb keinen Grund, warum sie diesen Weg verlassen sollten, denn der intellektualisierende Masochismus beschert ihnen an Gratifikationen, was sie sich wünschen. Sie genießen den doppelten, nämlich den narzisstischen wie den materiellen Gewinn, der ihnen aus dem Opferstatus und der Nachsicht zufließt. Das ist die Quelle ihrer Leidenschaft, die sie zur Identifikation mit dem Angreifer treibt. Frauen, die sich außerhalb dieser Beschwerdekultur bewegen, verzichten auf die Kultivierung des Marterpfahls.

Die FAZ Bloggerin S. Anderl hat deshalb eine verblüffende Erklärung für das Problem, dass es an Professorinnen in der Philosophie fehle: Weil Philosophie mehrheitlich von Männern betrieben wird, die weiß sind, heterosexuell und nicht behindert, deshalb haben Frauen nur begrenzte Chancen zum Aufstieg. Die Lösung folgt sogleich auf den Fuß. Mehr Frauen würden nach dieser Logik zu Professoren ernannt, wenn Männer in der Philosophie schwarz wären, homosexuell verkehrten und im Rollstuhl daherkämen. Was ist eigenartiger an diesem Konzept? Dass Frauen solange nicht erfolgreich sein können, solange sie Männer nicht „kastriert und behindert“ haben? Was zu tun wäre, liegt dann in der Hand der Frauen selber. Oder dass Frauen von „Behinderten und Minderheiten“ umgeben sein müssen, damit sie sich nicht bedroht fühlen? Oder, dass erfolgreiche Frauen in der Philosophie keine Erwähnung finden?

FAZ: Der Aufschrei der Philosophinnen – Planckton