von Eckhard Kuhla
Fast jeder Zeitungsleser überliest die Aussage «Jungen, die Bildungsverlierer». Diese entwürdigende Aussage wird quasi als Wahrheit in den Medien verkündet. Bisweilen heißt es sogar, noch verächtlicher, «Jungen, die Looser». Die Betroffenen, die Jungen, können sich nicht wehren, und wie sieht es aus mit den Elternverbänden? Die wären ja die eigentlichen Lobbyisten für die Jungens, die sich nicht selber vertreten können.
Jungens schneiden gegenüber den Mädchen hinsichtlich schulischer Leistungen (mit Ausnahmen) schlechter ab, so die Ergebnisse der Pisa-Studien. Auf den Punkt gebracht: Die Jungen „müssen in der Grundschule einen höheren Leistungsstandard als Mädchen aufbringen“ /1/. Auf Mädchen bezogen, wäre dieses Statement schlicht und ergreifend ein Skandal und viele sogenannte Genderstudies würden nach Hintergründen fragen. Nicht so bei Jungens. Im Folgenden soll versucht werden, diese unterschiedlichen Sichtweisen zu erkunden.
Feminisierung
In Fachkreisen wird seit langem die Feminisierung des Schulunterrichts, das betrifft besonders den großen Anteil der Lehrerinnen in den Grundschulen, diskutiert. Ein Beispiel liefert der Jungensbeirats-Bericht /2/: Als verantwortliche Auftraggeber des Berichtes zeichnen:
- das BundesFRAUENministerium mit einer FRAU an der Spitze des Hauses mit
- der Abteilung „Gleichstellung“, Leitung: eine FRAU mit dem
- das Referat „Gleichstellungspolitik für Männer und Jungen“, Leitung ebenfalls eine FRAU, und
- verantwortlich für den Kernbeitrag in dem Beiratsbericht („Junge sein heute“) ist ebenfalls eine FRAU[1]!
Seltsam, soviel Frau kann kein Zufall sein und auch kein Mangel an männlichen Autoren. Könnte es etwa absichtsvolles Demonstrieren eines Machtanspruchs sein? So viel zum Thema „Feminisierung“ in der Bildungspolitik……
„Problem“ Männlichkeit
Die gendermäßige Herangehensweise zum Thema „Jungenpolitik“ hinterfragt zunächst die „klassischen“ Rollenbildern für Jungen. Der Grund für solches Hinterfragen ist die vermeintliche Erkenntnis, Jungen würden zu typisch männlichem Verhalten erzogen. Das hätte zur Folge eines abweichenden(!) und damit auffälligen Verhaltens, das wiederum würde zu schlechteren Noten führen (besonders in den unteren Schichten). Diese Herangehensweise greift auch obiger Bericht über Jungenspolitik/2/ auf. Hintergrund für den Bericht ist die Genderpädagogik, die, auf Basis einer unbewiesenen Theorie („Gendertheorie“), das Hinterfragen der herkömmlichen, männlichen Rollenbilder zugunsten neuer, ideologisch geprägter Rollenbilder propagiert. Dazu ein Zitat aus obigem Bericht:
„…männliche Jugendliche können sich im Zuge ihrer Identitätsentwicklung nicht bruchlos an den Leitbildern ihrer Väter und Großväter orientieren. Sie formulieren ihre Wünsche und treffen ihre Entscheidungen hinsichtlich des weiteren Lebenswegs vor dem Hintergrund konkurrierender Männlichkeitsbilder. Die Figur des männlichen Familienernährers ist zwar immer noch präsent, aber hinzu gekommen ist das Bild des fürsorglichen Vaters….. . Tradierte Männlichkeitsmuster stehen stark in der gesellschaftlichen Kritik“
„…stark in der….. Kritik“? Durch wen und wie dokumentiert? Mit derart unbewiesenen Behauptungen begründet der Beirat die Notwendigkeit, „stereotypische männliche Rollenbilder aufzubrechen“. Das ist Programm, nach zu lesen beispielsweise in dem Hamburger Parteiprogramm der SPD (2007): „Wer die menschliche Gesellschaft will, muß die männliche überwinden“. Diese Leitlinie und die Aussagen des Beiratsberichtes stehen in keinem Zusammenhang zur heutigen Lebenswirklichkeit der Jungen, die überwiegend – wie auch die der Mädchen – in herkömmlichen Familienstrukturen leben. Das schert aber die geschlechtersensible Genderpädagogik in keiner Weise. Ein Wochenmagazin bezeichnete dieses Vorgehen dann auch als „Umerziehen einer Nation“ (Spiegel 1/2007). Nur wenige Experten sprechen es aus: „Jungen leiden stärker als Mädchen unter den sozialen Veränderungen der Moderne“ /3/, und sie müssen zudem noch mit einem „negativen Männerbild aufwachsen“ /4/.
In der Rollenbilderdiskussion werden nicht vorhandene wissenschaftliche Beweise in gender-theoretischen Texten ersetzt durch verallgemeinernde Behauptungen – mangels wissenschaftlicher Belege – wie „DIE Haltung von Jugendlichen ist……..“ oder „DIE Männer wollen…..“ Diese Behauptungen werden in Aussagesätze eingebunden, die damit gleichsam Wahrheit vermitteln – besser: vortäuschen – sollen. Das Ergebnis der Umerziehung der Jungen durch Verunsicherung klassischer und Setzung neuer Rollenbilder könnte in“ ein Leben voller Tristesse“, wie von Michael Klein in sciencefiles beschrieben /5/, münden:.
„Alles, was …….(der Beirat) zu bieten hat, besteht im Vorschlag, die hegemoniale Männlichkeit, unter der die Experten im Jungenbeirat ein Streben nach Dominanz über Frauen und andere Männer verstehen (und außer ihnen vermutlich nicht viele), gegen eine hegemoniale Weiblichkeit zu tauschen. Nicht mehr das Bilden von Muskeln soll ein Jungenleben ausmachen, sondern das Wickeln von Windeln“
Zurück bleibt ein neues Subproletariat, ein Heer schlechtqualifizierter junger Männer ohne Zukunftsperspektive. (W. Tischner).
Verunsicherung der Jungen
Verhaltensvorbilder waren für Jungens seit jeher die Väter /6/: Das väterliche Prinzip in der Erziehung ist geprägt durch Leistungsorientierung, Einhaltung von Normen, Konsequenz, Konfrontation, Sach-, Gruppen-, Außen- und Zunftsorientierung, sowie Denken in Unterscheidungen, Hierarchien und Systemen. Quasi als Ersatz für die klassischen Rollenbilder vermittelt die Genderpädagogik die Vielfalt geschlechtlicher Identitäten, das sog. „Gender Diversity“. Dessen Ziel ist es, das bipolare Rollenbild Mann – Frau zu hinterfragen. Die entwaffnende Begründung dafür lautet: Die heutigen Jungen hätten Probleme, den klassisch – männlichen Rollenbildern gerecht zu werden. Und was bleibt übrig? Eine Leere. Die Leere ist dann leicht zu füllen mit den staatlich gewollten Rollenbildern – ohne jegliche demokratische Legitimation. Die breite Auswahl an geschlechtlichen Identitäten (von schwul bis Transgender) werden im Unterricht mit Fragen für die Jungen wie „Bin ich männlich?“ oder „Bin ich schwul?“ verarbeitet. Die Folgen dieser Verunsicherung für die Identitätssuche der Kinder sind unabsehbar – abgesehen mal von der kognitiven Dissonanz zwischen Unterrichtsstoff und der Lebenswirklichkeit von Jungen.
Die Verunsicherung der Jungen bei ihrer Identitätsfindung dient als Vorbereitung für die Vermittlung ideologisch geprägter Berufsbildern für Jungen. Der alljährliche „Boys‘ Day“ hat unter anderem das Motto „Männer in die Pflege“ – mit einem Praxistag für die Jungen in Krankenhäusern oder Altersheimen. Dagegen ist nichts einzuwenden, nur der ideologische Hintergrund, der politisch verordnete Rollentausch Mann – Frau, ist als staatlicher Einfluss auf die Identitätsbildung abzulehnen.
Mittlerweile startet die erste so „gegenderte“ Generation der Jungens – häufig frustriert und wenig leistungsmotiviert – in die Berufswelt. Dort erwartet sie Leistungsdenken und Konkurrenzverhalten, präsentiert durch die kritisierten „stereotypen, männliche“ Rollenbilder. Dafür sind viele männlichen Schulabgänger vor dem Hintergrund ihrer verunsicherte Männlichkeit kaum vorbereitet. Die Zahlen der männlichen Leistungsverweigerern vom Übergang Schule in den Beruf sprechen Bände. Über diese möglichen Auswirkungen regierungsamtlicher Pädagogik, findet man im oben erwähnten Bericht des Beirats und auch sonst in der einschlägigen Literatur wenig relevante Aussagen. Es könnte ja zu Diskussionen in der Öffentlichkeit über die Gendertheorie Anlass geben.
Jungens als „Empathieverlierer“
Die gängige Aussage „Jungens – die Bildungsverlierer“ bedeutet eine menschenunwürdige Stigmatisierung der Jungen. Man hat zudem mit dieser Aussage die Bildungsgewinnerinnen (die Mädchen) vor Augen und daneben die Jungens, die sich gegen ihre Abqualifizierung nicht wehren können. Jungens fühlen sich deswegen häufig alleine gelassen. Beispiel: morgendlicher Stuhlkreis in der Grundschule zu dem beliebten Thema: Rauferei auf dem Schulhof, definiert als „Fehlverhalten“ der beteiligten Jungen. Das heißt für die Jungens: Ich bin in einer Verteidigungssituation ,und das ist nicht mein Ding. Er zieht sich zurück.. Die folgenden Zitate aus dem „Handbuch Jungen-Pädagogik“/6/ beschreiben sehr anschaulich aus der Sicht von Experten, wie Jungens ticken, sie geben auch ein Bild ab über mögliche Hintergründe der Bildungsbenachteiligung der Jungen:
Jungens waren in den letzten Jahrzehnten „schlicht in einem jungenfeindlichen Klima aufwachsen und daher weniger motiviert sind zu lernen“ (H. Diefenbach). „Ihnen wird das nicht entgegengebracht, was sie mehr als Mädchen brauchen: Achtung und Empathie, Stärkung in ihrer Art zu spielen, zu raufen, zu toben“ (M. Walter). Stattdessen „zwingt man Jungens zu (femininen) Verhaltensänderungen“ (G. Amendt). „…bestimmte Denkweisen und Haltungen der Jungenarbeit sind daher eher ein Teil des Problems (hier: „Bildungsverlierer“) nicht dessen Lösung“ (G. Haindorff). „Die daraus entstehende „Coolness“ von Jungen ist schlicht und ergreifend ein Schutzverhalten solchem Personal gegenüber und nicht etwa angeboren „typisch Junge“ mit der zynischen Schlußfolgerung, Jungens seien für ihre schlechten Noten selber verantwortlich, da „männliches Dominanzverhalten“ ihren Widerstand gegenüber weiblichen Lehrkräften begründet“ (W. Hollstein) .
Bildungsbenachteiligung der Jungen? Nein, Jungens werden in ihrer Art häufig in der Schule nicht „abgeholt“. Und da kann dann eine Lernverweigerung die Folge sein. Die feministische Theorie verneint zudem den Einfluss der Geschlechtsunterschiede auf die Leistungen der Jungen. Für sie hat der Einfluß der sozialen Herkunft der Jungen einen viel größeren Einfluss auf die schulischen Leistungen. Die möglich fehlende Empathie passt nicht so recht in das feministische Männerbild. Und überhaupt würden Jungens – so die Genderpädagogen – die Benachteiligung in der Bildung offensichtlich nicht schaden, da sie im späteren Berufsleben an den Frauen vorbei Karriere machen und überdies mehr Geld verdienen würden…… Diese zynische Feststellung soll wohl die wenig empathische Behandlung von Jungen in Schule und Kindergarten im Nachhinein rechtfertigen, sie sei deswegen hier nicht weiter kommentiert.
Unwissenheit der Eltern
Die Medienreaktion auf den Beirats-Bericht war – wie zu erwarten war – gering. Klar, welcher halbwegs normale Leser ist an solch trockenem Stoff, wie die Gendertheorie, interessiert? Ein Artikel /7/ bestätigt allerdings schlimmste Vermutungen bzgl. der politischen ideologischen Weiterverwertung der Studie: „…zudem müsse bei der Darstellung von Geschlechterrollen in Schulbüchern darauf geachtet werden, Geschlechterklischees zu vermeiden. Um dies auch außerhalb der Schulbücher zu erreichen, wird empfohlen, über den Werberat und den Rundfunkrat Einfluss auf die Medien zu nehmen.“ Unfassbar, das sind diktatorische Prinzipien. Außerdem zeigt dieses Zitat die eminent wichtige Rolle der Schulbücher für die Genderpädagogik……
So wird ein regierungsamtlicher Bericht – ohne öffentliche Debatte – gleichsam an die Medieninstitutionen und Bildungsanstalten von oben „durchgestellt“ (vergleichbar mit Vorgehensweisen der DDR Regierung). In einer anderen deutschen Diktatur nannte man das auch „Gleichschaltung“ von Politik und Medien /8/. Und wie sieht es aus mit der Information der Eltern? Sie sind in obigen Informationsketten nicht integriert. Also erfahren die Eltern erst durch ihre Jungen, die beispielsweise frustriert aus der Schule kommen, etwas über die Auswirkungen der Genderpädagogik, wenn überhaupt. Überwiegend erzählen die Jungens zu Hause etwas über die Bevorzugung der Mädchen, man spürt wie demotivierend das auf sie selber wirkt. Ergo: Die Eltern sind der Missing Link in der Informationskette. Man könnte meinen, das sei Programm, Programm des Gender Systems….…
Was tun?
„Es müsste eine Gesellschaft erschüttern, wenn ein Geschlecht, egal welches, diese systematische Benachteiligung erfährt. Aber niemand steht auf und protestiert. Stattdessen herrscht ein merkwürdiges Schweigen“ (W. Fthenakis).
Aufklärung tut not. Das „Zehn Punkte Sofortprogramm“ von A. Hoffmann /9/ gibt erste, konstruktive Hinweise. Insbesondere Michael Klonovsky unterstreicht die Notwenigkeit von Vorbildern und beklagt deren schwindende Thematisierung in der Öffentlichkeit, in den Medien und in der Schule/10/. Hinsichtlich der Aufklärung sollten die Eltern der Ansatzpunkt sein. Sie sind es, die die Auswirkungen einer Genderpädagogik über die Frusterlebnisse aus dem Schulalltag von ihren Jungen erfahren. Manchen Eltern fällt es schwer, diese Erzählungen richtig einzuordnen. Deswegen brauchen wir eine Elterninitiative, die die derzeitige überwiegende Unwissenheit beseitigt (Leitmotiv: „Aus Unwissende Betroffene machen„) und die sich verwahrt, aus ihren Jungens „Bildungsverlierer“ zu machen. Das Protestpotential der Eltern ist mobilisierbar, wie man z. B. an den G8/G9 – Aktionen erkennen kann. Diese Elterninitiative sollte mit einer wissenschaftlichen Debatte begleitet werden. Sinnvoll wäre es, hier mit einem Jungenkongress zu beginnen. Solch eine Veranstaltung sollte auch die Lehrer-, Eltern- Schüler- und Wirtschaftsverbände mit einbeziehen. Die Wirtschaft trat bisher kaum auf den Plan, obwohl sie – neben den Eltern – ein großes Interesse an einer ideologiefreien schulischen Erziehung haben müßte. Vorüberlegungen zu diesem Komplex sind im Gange.
Quellen:
/1/ Aktionsrat Bildung: „Geschlechterdifferenzen im Bildungssystem, 2009
/2/ http://www.bmfsfj.de/BMFSFJ/Service/Publikationen/publikationen,did=199124.html
/3/ Dammasch, F : „Jungen in der Krise“, Frankfurt, 2008
/4/ http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/ende-des-patriarchats-der-feminismus-hat-sich-verirrt-12289395.html
/5/ http://sciencefiles.org/2013/06/26/geschlechtermanie-der-abschlussbericht-des-mysteriosen-jungenbeirats-beim-bmfsfj/
/6/ Matzner, M.; Tischner W. (Hrsg.) „Handbuch Jungen-Pädagogik“, Weinheim 2012, 2. Auflage
/7/ http://www.heise.de/tp/artikel/39/39395/1.html
/8/ http://ef-magazin.de/2012/12/20/3919-feminismus-von-der-gleichstellung-zur-gleichschaltung
/9/ Hoffmann, A. „Rettet unsere Söhne“, Ebook,
/10/Klonovsky, M., „Der Held – Ein Nachruf“, München 2011