Die Liebe und das Gendern

Gastautor: Oliver Baer
Zwei kaum genannte Gründe stehen gegen gegenderte Sprache. Sie wiegen schwerer als die Motive, die für eine geschlechtergerechte Sprache angeführt werden.

Als bei sanfter Musik und Kerzenlicht zum ersten Mal das Zauberwort „Ich liebe dich!“ fällt, leuchten ihre Seelen auf. Sie rücken einander näher, sie planen das Morgen, sie sprechen die Worte erneut und immer wieder – und irgendwann, bei der elfundneunzigsten Wiederholung, wiegt die liebliche Formel kaum noch ein Quentchen ihres früheren Wertes. Immer öfter schwingt darin ein Unterton: Warum ist es nicht mehr wie zu Anfang? Schließlich, und wenn es gut geht, dämmert dem Paar, sie hätten öfter zuhören sollen, was dem anderen fehlt, statt die Blume ihrer Bindung mit Beschwörungen zu plätten. Liebe kann mit Worten sprachlos gemacht werden. Sie kann mit Worten auch nicht erzwungen werden.
Je öfter wir die gleichen Rechte der Geschlechter mit den dafür genehmigten Worten anmahnen, desto sicherer gerät die gute Absicht zur Floskel, die Worte verkommen zum Lippenbekenntnis. Die „Genossen und Genossinnen!“ verschleifen zu „G‘nossn und ‘Nossn!“, und man hört nun schon zum fünften Mal, wie die jährliche Konferenz mit „Liebe Mitgliederinnen und Mitglieder!“ eröffnet wird – und keiner traut sich, den Wortbläser an sein Sprachgefühl zu erinnern. Das ist kein erdachtes Beispiel. Auch keine Ente ist ein Prospektentwurf, der an die „Lieben Prostatapatientinnen und -patienten!“ gerichtet war. Gut gemeinte Ausrutscher kommen vor, man könnte mit einem Lächeln darüber hinweggehen. Aber solcher Unfug ergibt sich, wie von allein, aus dem Gebrauch von Sprache, der die Gedanken abhandenkommen.

Selbstgerecht wissen, was richtig ist
Was man nicht mehr hören mag, rutscht zum rechten Ohr so flott hinaus, wie es zum linken eindrang. Im Gehirn bewirkt die Floskel nichts mehr, nur der Unmut über das umständliche Sprechen und Schreiben wächst, er wird gespeichert und gerät am Ende noch zu einem geistigen Tumor. Dass gegendertes Gerede die Verständigung trübt, mag hartgesottenen Genderideologen noch als vertretbares Opfer erscheinen. Aber so geht dem Feminismus die Glaubwürdigkeit verloren. Wer möchte schon fortwährend bevormundet werden? Die Sprache gehört allen, nicht den Lautstarken, die sich in ihrem eigenen Eifer sonnen, und schon gar nicht Leuten, die das Wort „Mann“ als Schimpfwort verwenden. Und dem Tatbestand einer rassistischen Hetze gefährlich nahe kommen: Frauen gegen Männer – die eine Hälfte der Mennschheit gegen die andere.
Warum ist das Gendern der Sprache so unangenehm? Nicht nur wegen der Sperrigkeit der „korrekten“ Sprachhülsen. Wo wir andere bevormunden, nötigen wir ihnen unsere Denkweise auf. Je heftiger wir es treiben, desto weniger Freiheit bleibt möglich. Davon betroffen sind nicht nur die Opfer, auch die Täter verfangen sich in der gestifteten Unfreiheit. Treue entsteht so nicht. Selbst wenn die Manipulation gelingt, bewirkt sie nur, dass zwanghaftes Nachplappern mehr wiegt als die Erkenntnis aus ureigenem Antrieb. Merke: Wer sich so weit gängeln lässt, verkauft seine Seele bei Gelegenheit auch der Gegenseite.
Dass uns alle Welt mit sprachlicher Gängelei unfrei halten möchte – Politiker aus Angst vor den Wählern, Unternehmen aus Angst vor den Kunden, Angstmacher aus Angst vor der Wahrheit – bietet noch keine Rechtfertigung, dass nun die Frauen mit denselben kurzlebigen Tricks zu ihrem Recht kommen. In Wirklichkeit fordern doch die Frauen, dass die Männer ihnen aus freier Entscheidung entgegenkommen und aus eigens gewonnener Überzeugung das Unangenehme und das Schöne gemeinsam ertragen.

Gendern geht gegen die Würde
Das Gendern der Sprache vernichtet die gute Sache von innen her, es widerspricht dem Sinn und Text des Grundgesetzes: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Wie sollen sich Frauen als gewürdigt erleben, wenn die Männer zum Wohlverhalten, zum Absondern von Lippenbekenntnissen genötigt werden? Falls diese Fülle an Widersprüchen nicht schlüssig aufgearbeitet wurde, kann es mit der so penetrant behaupteten Wissenschaftlichkeit der Gender Studies nicht weit her sein. Ein Fachgebiet, in dem Widersprüche ignoriert werden, ist keine Wissenschaft, sondern eine Lobbyveranstaltung, bestenfalls bloß eine Pütscherei. Das mögen die moderaten Feministen (damit sind die mitlaufenden Männer mitgemeint) bedenken. Und wenn sie schon dabei sind, prüfen sie die Quellen, aus denen sich die Genderideologie speist. „Männerfeindlich“ wäre eine Verharmlosung.
Was aber fangen wir mit der bereits beschädigten Sprache an? Hier ein Vorschlag zur Güte, er ähnelt einem Kompromiss, keiner wird ihn mögen. Akzeptieren wir vorab, dass noch viel zu tun bleibt, aber viel bereits erreicht wurde, und zwar ohne die Sprache zu verbiegen. Wörter erfahren über die Zeit einen Wandel ihrer Bedeutung. Volksschullehrer waren zuerst nur Männer, inzwischen sind neun von zehn an den Grundschulen Frauen. Sie prägen unser Bild, das wir mit dem Wort Lehrer verbinden. Dass es früher anders war, nehmen wir zur Kenntnis, es ist bedeutungslos. Wir sind weitergekommen.
Auf dieser Basis bietet sich eine Verständigung an: Wir erklären den Bedeutungswandel für sämtliche Bezeichnungen schlichtweg als erledigt, wir bekennen uns dazu, dass stets alle gemeint sind, niemand ist mitgemeint. Wir neutralisieren die Begriffe: Wir sprechen Frau Müller als Frau Lehrer, Frau Präsident, Frau Richter an, fertig, denn Frauen besetzen jetzt oder bald alle Positionen, die uns bisher als männlich vorkommen. Die letzten Ausnahmen verschwinden bereits: Putzfrauen, Krankenschwestern, Bardamen werden Putzkräfte, Krankenpfleger, Tresenkräfte …
Auf diese Weise gewinnen wir Ausdruckskraft zurück, die wir beim Gendern verlieren: Wo es beispielsweise darum geht, Frauen ausdrücklich zu nennen, greifen wir – bis dereinst das gleiche Recht für alle ohne Rest verwirklicht ist – auf die grammatisch weibliche Form zurück: „Für die Dozentinnen brauchen wir fünf beleuchtete Parkplätze!“ Man findet die veraltende Form im Wahrig oder Duden, dafür halten wir sie reserviert, so auch für die Bitte: „Für die Vorstandswahlen mögen bitte ein paar Juristinnen kandidieren!“ Frauen sind uns mehrheitlich normalen, psychopathisch unverdächtigen Männern willkommen. Sie werden bitter benötigt, denn in aller Regel bringen sie mehr Teamfähigkeit mit. Vive l’égalité et vive la différence!

Zuerst erschienen: Baerentatze (Oliver Baer)