Biologie und rituelle Empörung: Die Zukunft der Geschlechterbeziehungen

von Prof. Dr. Gerhard Amendt
(mit freundlicher Genehmigung der Neue Zürcher Zeitung)

Die Gender-Ideologie gerät unter Druck. Vieles deutet darauf hin, dass die Verschiedenheit der Geschlechter sich in dem Masse weiter ausprägen könnte, wie die Freiheit zur selbstgestalteten Lebensführung zunimmt.

Auch bei Google gibt es nur dann Redefreiheit, wenn vorgegebene Sprechverbote eingehalten werden. Das hat uns die Affäre um den Software-Entwickler James Damore gelehrt. Er hatte in einem Aufsatz über Diversität und den problematischen Umgang seines Arbeitgebers mit dem Thema der Geschlechterdebatte das vorwurfsvolle Moralisieren genommen und stattdessen Fakten sprechen lassen. Dabei wollte er die Frage der Ungleichheiten von Männern und Frauen keineswegs verwerfen, sondern auch Meinungen zugelassen sehen, die kritisch zu den dekonstruktivistischen Theoremen der Gender-Ideologie stehen. An die Stelle von Dogmen sollten wissenschaftliche Argumente rücken. Damore aber wurde wegen Verbreitung von Geschlechterstereotypen entlassen.

Aufgeklärte Erlöser-Elite

Durchdacht und wohlbegründet stellt Damores Paper im Hinblick auf die mangelnde Präsenz von Frauen in Technik- und Führungsfunktionen auch bei Google fest, dass die Vorlieben und Fähigkeiten von Männern und Frauen zum Teil auf biologischen Ursachen gründen und dass diese Unterschiede erklären, warum wir keine gleiche Repräsentanz von Männern und Frauen in technischen Berufen und Leitungsfunktionen haben und wohl auch zukünftig nicht haben werden.

Der Hinweis auf die Wirkungsmacht von Biologie hat die erwartbare rituelle Empörung ausgelöst. Biologie setzt nun einmal hochfliegenden Illusionen von grenzenlosen Gestaltungsmöglichkeiten ein Ende. Und dabei bedarf es nicht einmal des Rückgriffs auf biologische Geschlechterunterschiede, um Differenzen zu erklären. So lässt Damore auch andere Ursachen zu. Er verzichtet aber auf deren ausdrückliche Herleitung, etwa aus Alltagsgewohnheiten. Sprich: was Frauen lieb ist und was nicht. Welche Entscheidungen sie spontan treffen, welche wohlüberlegt alleine, mit ihrem Partner gemeinsam oder streitend. All das gilt genauso für Männer.

Die Berufs-Statistik zeugt von der Eigenwilligkeit der Frauen und davon, was Gender-Ideologen an die Grenzen der Manipulation stossen lässt.

Nur schon diese Entscheidungen tragen dazu bei, dass Frauen in technischen und Führungsfunktionen und bestimmten Berufen unterrepräsentiert sind. Denn die meisten Frauen bevorzugen Berufe mit unmittelbar persönlichem Kontakt. Die unmittelbare Befriedigung spielt für sie eine grössere Rolle als die verzögerte. Anerkennung und Befriedigung gibt es in männlichen Berufen zwar auch, aber oft erst nach längeren Durststrecken. Die Forschung hätte zu klären, ob Frauen wirklich eher Berufe bevorzugen, in denen weibliche und mütterliche Fähigkeiten umgesetzt werden können, mitunter auch als Ersatz für eine eigene Familie.

Die meisten Anwendungsbereiche des Studienfachs Psychologie sind auf dem Weg zu 100-prozentiger Frauenbelegung. Nicht viel anders verhält es sich mit sozialen Berufen wie Sozialpädagogik, Erziehung, Übersetzung usw. Angesichts der uneingeschränkten Wahlmöglichkeiten wollen Frauen das so und nicht anders. Sie wählen bewusst, sie praktizieren «rational choice».

Die freie Berufswahl ist ihr verbrieftes Recht; sie ihnen streitig zu machen, wird deshalb scheitern. Die Berufs-Statistik zeugt von der Eigenwilligkeit der Frauen und davon, was Gender-Ideologen an die Grenzen der Manipulation stossen lässt. Was ihnen von linker Politik und Gender-Theorie verheissen wird, lässt Frauen grösstenteils unberührt. Skandinavien und die USA haben beträchtliche Summen in die Mobilisierung von Frauen für Stem-Fächer investiert (Science, Technology, Engineering, Mathematics). Die Erfolge sind spärlich; vom Scheitern ist die Rede. Warum wollen Gender-Theoretiker dies nicht wahrhaben? Egal, ob es biologisch begründet oder aus «rational choice»-Verhalten hergeleitet wird?

Aggressive Beschämungskultur

Die Frage ist brisant, denn sie unterspült die Grundfesten der Gender-Ideologie. Diese hat die Männer per se zum Hindernis für den Erfolg der Frauen erhoben. Mittels Diskriminierung haben danach die Männer durch die Geschichte hindurch verhindert, dass die Frauen gesellschaftlich aufschliessen.

Nach inhärenter Gender-Logik sind selbstbewusste Frauen ein Ding der Unmöglichkeit.

Interessanterweise ist bei dieser Theorie fast nur von begehrenswerten Berufen die Rede. Die Behauptung von der männergemachten Herabsetzung aller Frauen ist und bleibt das argumentative Grundkapital aller Gender-Politik. Mittlerweile hat sich aus dem Vorwurf eine aggressive Beschämungskultur entwickelt. Sie funktioniert so: a) Sie lässt moralische Empörung über alle Männer gerechtfertigt erscheinen. b) Sie spricht allen Frauen die Verantwortung fürs eigene Leben wie für die gesellschaftlichen Verhältnisse ab. c) Sie schiebt den Männern Allverantwortung und ewige Täterschaft zu. d) Und mittels Beschämung bringt sie die meisten Männer zum Schweigen.

Dass Gender-Theoretiker und -Theoretikerinnen sich an der damit verbundenen Infantilisierung von Frauen nicht stören, hat einen simplen Grund. Sie selber wähnen sich auserwählt, Erlöser-Elite für alle Frauen zu sein. Deshalb der sektiererische Furor und die religiöse Unduldsamkeit gegenüber Andersdenkenden, aber auch die Ähnlichkeiten mit Ideologie und Repression im Realsozialismus.

Nach inhärenter Gender-Logik sind selbstbewusste Frauen ein Ding der Unmöglichkeit und können Judith Butler und ihre Gefolgschaft mit weiblicher Subjektivität denn auch nichts anfangen. Butler hat das in einer Auseinandersetzung mit Psychoanalytikern in New York eingehend dargelegt: weibliche Subjektivität, sprich Geschichtsmächtigkeit, existiere nicht. Stattdessen sollen sich Frauen analog den Gender-Ideologen die Verliebtheit in den Mythos von der weiblichen Opferexistenz zu eigen machen. Der Arzt J. P. Möbius stellte 1900 eine vergleichbare Diagnose auf: jene vom «Schwachsinn des Weibes», der Frauen für die Berufswelt untauglich mache. Das Abstruse feiert – weil schwerer verständlich formuliert – zwischen den Zeilen der Gender-Literatur eine überraschende Wiederkehr.

Ein Dogma kommt ins Wanken

Treffend hat James Damore den Stumpfsinn von monokausalen Sexismusvorwürfen herausgearbeitet. Mit seiner Entlassung ist nun eine überfällige Debatte ins Rollen gekommen. Die «Echokammer der Geschlechter-Ideologie» ist nicht nur im Hause Google, sondern auch in anderen Unternehmen, in Verwaltung und Universität ins Wanken geraten. Google hat Damore als Dissidenten verstossen. «Das öffentliche Beschämen soll nicht nur die moralische Tugendhaftigkeit der Beschämenden zur Geltung bringen, sondern davor warnen, dass alle anderen mit gleichen Bestrafungen rechnen müssen, wenn sie sich nicht konform verhalten», schreibt Damore.

Es ist Zeit, von der gedanklich schlichten genderpolitischen Doktrin abzukommen, dass Unterschiede zwischen Männern und Frauen allein auf Sexismus zurückzuführen seien.

Männer und Frauen sind in vielerlei Hinsicht verschieden. Wenn sie immer öfter gleiche Chancen haben, dann werden die Unterschiede keineswegs verschwinden, sondern sich eher verstärken. Frauen werden nie wie Männer sein und Männer nie wie Frauen. Das scheint fürs Erste paradox und der Politik der Gleichheit zu widersprechen. Vieles deutet aber darauf hin, dass die Verschiedenheit der Geschlechter sich in dem Masse weiter ausprägen könnte, wie die Freiheit zur selbstgestalteten Lebensführung zunimmt.

Diese Tendenz zeichnet sich bereits in Gesellschaften ab, die wohlhabend sind und egalitär. Sie lassen Männern wie Frauen die Wahl, nach eigenen Wünschen und Präferenzen zu leben und das, was wir als «weiblich» und «männlich» bezeichnen, eben auch in biologischer Disposition zu entfalten. Es sind dies Entwicklungen, die ohne Freiheit und Wohlstand nicht möglich wären. Die Dialektik von Freiheit und Biologie könnte die Differenz der Persönlichkeit von Männern und Frauen noch weiter auseinanderdriften lassen.

Es scheint allmählich Zeit, von der gedanklich schlichten genderpolitischen Doktrin abzukommen, dass Unterschiede zwischen Männern und Frauen allein auf Sexismus, das heisst auf böswillige und strategisch angelegte Ausgrenzung aller Frauen im «Patriarchat», zurückzuführen seien. Die Zusammenhänge sind sehr viel komplizierter.

Gerhard Amendt war bis 2003 Professor am Institut für Geschlechter- und Generationenforschung an der Universität Bremen.

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Kurzer Überblick über Damore’s Memorandum