Kongress Familienkonflikte 13.4.2018: Eröffnungsrede von Prof. Dr. Gerhard Amendt

Anmerkung der Redaktion:

Wir veröffentlichen die Eröffnungsrede von Prof. Dr. Gerhard Amendt am Kongress „Familienkonflikte gewaltfrei austragen“ vom 13.-15.4.2018 an der Goethe Universität in Frankfurt. Die Rede wurde durch ca. 30 lautstark im Gebäude trötende und trommelnde Protestierende, die auch den Feueralarm ausgelöst und die Räumung des gesamten Hörsaalgebäudes erzwungen haben, gestört und unterbrochen. Dieser Versuch der Zensur ist letztendlich gescheitert, weil der Kanzler der Universität daraufhin das Gebäude für alle außer Teilnehmer von Veranstaltungen für den Rest des Wochenendes sperren ließ, wodurch der Kongress ungestört weiter ablaufen konnte. Neben 16 vom Veranstalter eigens bezahlten Sicherheitsleuten musste auch die Polizei mindestens 50 Beamten einsetzen, um die Freiheit der Rede und der Wissenschaft zu verteidigen. Aus diesem Grunde konnte der Vortrag auf dem Kongress nicht in voller Länge gehalten werden.

Alle Vorträge des Kongresses können jetzt eingesehen werden auf dieser Seite: http://familyconflict.eu/vortraege


13. April 2018 – Frankfurt, Goethe Universität

Kongress „Familienkonflikte gewaltfrei austragen“
Eröffnungsrede von Prof. Dr. Gerhard Amendt

Am Glück wie am Unglück sind immer beide Partner beteiligt
Oder:
Gewalt in Ehen, Partnerschaft und gegen Kinder ist symmetrisch verteilt.

Alle Welt redet von Gewalt. Allerdings weniger von der Gewalt, die kriegerisch verläuft, sondern eher von Gewalt, die in privaten Beziehungen sich ereignet. Eine Form der Gewalt, die sich gegen Frauen richte und von Männern ausgeübt werde, aber auch in Familien, zwischen Partnern, zwischen Kindern und Eltern, und Frauen und Männern im Berufsleben und der Politik. Wir wissen viel über gewalttätiges Verhalten in Partnerschaften. Wir wissen, wer schlägt, aus welchen Motiven, wie häufig, in welchem Alter, mit welchen Gegenständen und wie hart und auch wann das Schlagen aus den Beziehungen weicht – nämlich spätestens im Lebensalter von 35 Jahren. Der größte Teil der Gewaltepisoden entfällt auf junge Leute. Wir wissen welche sozialen Schichten häufiger schlagen und welche das weniger häufig tun oder ganz ohne die Sprache der Fäuste auskommen. Wir kennen die Risiken, die die Wahrscheinlichkeit von Gewalthandlungen erhöht. Wir wissen es aus der Forschung nur zu gut. Wir wissen heute vieles über Gewalt, was wir in den 70er Jahren geschweige denn in den 60er noch nicht wussten.

Gegen Murray Strauss unerwartetes Forschungsergebnis in den 80er Jahren, wonach Gewalt von Frauen so häufig praktiziert wird wie von Männern, gibt es bis heute heftige Opposition. Der überraschend entdeckten Tatsache der Symmetrie der Gewalttätigkeit von Männern und Frauen stand die weit verbreitete Meinung entgegen, dass allein Männer in Familien Gewalt ausüben und Frauen wie Kinder in steter Gefährdung leben. Der Symmetrie wurde entgegengehalten, dass Männergewalt überall und jederzeit herrsche. Unter Eliten, nicht weniger unter Wissenschaftlern, Straßenkehrern, Angestellten wie den Beamten. Der Richter schlüge so selbstverständlich seine Frau wie der Straßenbahnfahrer. Damit schien alles geklärt. Im Gegensatz dazu würde es Frauengewalt nicht geben. Wo Männer seien, da würde geschlagen und deshalb sei die Gewalt in allen Familien möglich. Deshalb müsse der Staat alle Männer an die Leine zu legen. Staatliche Einrichtungen allein für Frauen und Kinder seien zu schaffen, um Männern das Handwerk zu legen und Opfern zur Seite zu stehen. So wurde in den USA nicht viel anders als in Deutschland oder Österreich argumentiert. Es entsprach dem Zeitgeist in westlichen Demokratien.

Zutreffend ist ohne Zweifel, dass es in allen Schichten zu Handgreiflichkeiten kommt. Soweit trifft das Argument zu. Entscheidend ist aber etwas Anderes. Nämlich wie die Häufigkeiten verteilt sind. Also: wie häufig kommt Gewalt z. B. in sozialen Schichten vor? Gibt es da Unterschiede zwischen Schichten, Ethnien, Einkommens- und Altersgruppen, möglicherweise auch den Religionen oder zwischen verheirateten und unverheirateten Partnern etc.?

In sozialen Schichten mit hoher Bildung und damit zumeist ausgeprägter Fähigkeit zum Gespräch werden Konflikte eher ausgetragen. Es gibt dort auch Gewalt, aber die Häufigkeit ist geringer als in Schichten, in denen die Fähigkeit zur Verwörterung weniger intensiv ausgebildet ist. Das lässt die Wahrscheinlichkeit in dieser Gruppe von Eheleuten für gewalttätige Ausdrucksformen auch gegenüber den Kindern steigen.

Eine gleichmäßige Streuung der Wahrscheinlichkeit über alle sozialen Klassen, Schichten oder Ethnien hinweg gibt es hingegen nicht. Das war eine politische Wunschvorstellung, die das Bild vom gewaltigen Mann untermauern sollte. Dieses Bild zersplittert. Die Forschung hat es mit hunderten von Untersuchungen – seit der Aufdeckung von Murray Strauss – zerstört. Und so könnte man eigentlich erwarten, dass evidence based Wissen auch den Weg in die politischen Parteien gefunden hat. Denn nur mit fundiertem Wissen lassen Konflikte sich erst erfolgreich lösen. Nun! Leider ist das nicht der Fall.

Und besonders auffällig ist, dass wir so gut wie Garnichts über die Dynamiken wissen, über die Verstrickungen innerhalb der Beziehung sich allmählich aufbauen. Aus heiterem Himmel kommen nur die allerwenigsten Fälle. Dynamiken führen dann zu Handgreiflichkeiten bis hin zu lebensgefährdenden Situationen. Statt der Klärung der Dynamik, also dem Hochschaukeln, gibt es vielmehr eine vordergründige Zuschreibung von Täterschaft. Die Männer sind die Bösen. Die dringend erforderliche Analyse der Vorgänge bleibt dann aus.

Was soll der Kongress zur Veränderung dieses politisch gewollten Missverständnisses beitragen?

Es sind zwei Ziele:

  • Es soll mit empirischer Forschung vertraut gemacht werden, die die Arbeit der einschlägigen Berufe, die mit Gewalt sich befassen, verbessern kann. Das werden vor allem die Vorträge der Referenten aus den USA, England und Israel leisten.
  • Das zweite Ziel des Kongresses zielt auf etwas Anderes. Ich will in einem größeren geschichtlichen Zusammenhang die Beziehung der Geschlechter darstellen. Allerdings nicht aus einer primär innerpsychischen Perspektive. Vielmehr will ich das aus der Perspektive der äußeren Konstellationen tun, die das Verhältnis von Männern und Frauen über einen großen Zeitrauem prägen: Konstellationen, die wie Natur sich zwar ausnehmen, die aber keine Natur sind. Also jene Konstellationen unter denen Männer wie Frauen zueinanderfinden, zusammenbleiben oder auch sich trennen, Erwartungen an den anderen stellen, sich unterwerfen oder nicht. Und das unter dem für den Kongress bedeutsamen Aspekt der Gewaltsamkeit. Also der Blick von außen, um die Besonderheiten der Psyche – des Individuellen – zu verstehen. Letztlich aber schlägt auch das sich in innerpsychischen Prozessen nieder. Triviales Beispiel: wenn Arbeitslosigkeit einen Mann impotent macht, der damit noch nie Probleme hatte. Und die Frau ihn dann weniger begehrenswert findet und sich zurückzieht. Hier spielen im Hintergrund basale Elemente der gegenseitigen Erwartungen eine Rolle.

Aber diese Einwirkungen prägen sogar die Menschheitsgeschichte. Ich werde zeigen, dass wir es gar nicht so leicht schaffen, dieses Erbe abzuschütteln und etwas ganz Anderes hervorzuzaubern. Das erfordert einen analytisch sezierenden Blick. Den wir nur allzu selten einnehmen. Deshalb tut sich hier eine enorme Kluft zwischen den Medien, der Genderideologie, der Parteienpolitik und den Wissenschaften auf. Es geht nämlich nicht darum, Schuld für Gewalttätigkeit zuzuweisen oder Schuld abzusprechen oder gleichmäßig zu verteilen. Das sorgt zwar für Aufgeregtheiten und moralische Empörung. Aber darum darf es in einer vernünftigen Politik nicht gehen. Sie muss Konflikte lösen und deren Ausbruch sinnvoll vorbeugen.

Nichtsdestoweniger gibt es die Frage strafrechtlicher Schuld. Wenn die in der Demokratie aufkommt, dann hat sie ihre professionelle Zuständigkeit. Das sind die Gerichte und ihre unabhängigen Richter.

Der Kongress soll deshalb auch ein Versuch sein, die verschiedenen Sichtweisen auf Gewalttätigkeit und gefährliche Konflikte weg von schnellen, überhitzten und eifernden Reaktionen zu führen. Wie der Alltag zeigt, ist das keineswegs leicht.

Worauf es mir ankommt, ist folgendes.

Ich will die großen geschichtlich wirksamen Kräfte skizzieren, die auf die Beziehungen von Männern und Frauen einwirken. Dabei knüpfe ich an eine immer stärker werdende Diskussion in Psychotherapieschulen aber auch in Sozialpädagogik und Beratung an. Diese neue Orientierung wird als der relational turn bezeichnet: Eben die Hinwendung zur Beziehung, die Menschen miteinander in vielen Situationen und geschichtlichen Phasen eingehen.

Das erfordert, dass wir immer das Problem von Beziehungen im Auge behalten müssen.

Das macht Männer und Frauen gerade nicht zu passiven Abbildern ihrer Umgebung, sondern zeigt lediglich die Wechselwirkung mit dem Persönlichen. Es geht um die Verankerung von Gegenseitigkeiten in Beziehungen, die menschheitsgeschichtliche Spuren erkennen lassen.

Wenn wir das vorherrschende polarisierte Erklärungsmodell Modell – eben das von weiblichen Opferkollektiv und männlichen Täterkollektiv – zugrunde legen, dann kann unser Beitrag als Forscher und Ihre Arbeit als Praktiker nicht sonderlich ineffizient sein. Denn die Rezidivität der Fälle ist hoch (40 bis 60 %) in Beratungsstellen, die Umerziehungsprogramme nach dem polarisierten Ansatz umsetzen. Das Duluth–Modell leistet nämlich dem Mechanismus Vorschub, der in der Kritik der Psychiatrie in den 70 er Jahren als Drehtürpsychiatrie benannt wurde. Die Klienten kommen und gehen. Sie kommen immer wieder zurück, weil die Professionellen an den Konflikten vorbei arbeiten und ihnen keinen Weg zur Konfliktlösung bieten.

Das kann und will sich aus professionellen und gesundheitspolitischen Gesichtspunkten aber auch berufsethischen Überlegungen niemand leisten. Denn jede Gesellschaft muss auf Effizienz bedacht sein. Beratung, Psychotherapie und Beratungseinrichtungen müssen diesen Nachweis des Erfolgs gegenüber der Öffentlichkeit wie der Politik leisten. Das Problem der Wiederholung von ungelösten Konflikten und Beschädigungen steht im Raum als eine messbare Größe mit statistisch nachweisbarerer Wahrscheinlichkeit. Das Problem der Wiederholung besteht darin, dass schwierige bis letztlich traumatische Erlebnisse der Kindheit, eine statistisch nachweisbare erhöhte Wahrscheinlichkeit haben, dass sie später im Leben mit anderen Menschen wiederholt werden. Und das ist der Fall, wenn die schwierigen bis traumatisierenden Erfahrungen nicht in einem heilenden Prozess geklärt werden konnten. Als ungeklärt muss gelten, was die Gefühle der Scham, der Wertlosigkeit und des Zweifels nicht hat bewusst werden lassen. Es kam nicht dazu, dass die betroffenen Personen sich diesen Gefühlen aussetzen konnten und in eine selbstbewusstere Haltung zu diesen Erlebnissen haben entwickeln lassen. Eine Anti-Gewalt Beratung, die die Wiederholung nicht verhindert, tut dann das, was sie verhindern will. Sie fördert die Gewalt, in dem sie die Wiederholungsgefahr erhöht.

Wenn wir hingegen den relational turn zur Grundlage unserer Arbeit und Forschung machen dann werden Schuldzuweisungen überflüssig. Sie stehen der Arbeit der Praktiker und der Forschung nämlich im Wege. Und ich sage das auch im Hinblick auf die Forschung, die in Deutschland sich seit Jahr und Tag in den Irrungen von Schuldzuweisungen sich ergeht. Und diejenigen Forscher Sanktionen und Drohungen aussetzt, die Gewalt als ein Beziehungsproblem empirisch nachweisen.

Um es griffiger zu formulieren, worum es in Praxis von Beratung, Psychotherapie und Forschung gehen muss:

Niemand würde behaupten, dass Glück und Zufriedenheit in einer Beziehung nicht gemeinsam hervorgebracht werden. Selbst wenn einem von beiden zugeschrieben wird, den anderen glücklich zu machen, so käme niemand auf den Gedanken, dass der glücklich Gemachte nicht durch seine Art das ermöglicht hätte.

Aber ebenso verhält es sich mit dem Unglück. Auch das ist die Folge der Beziehung.

So wie man das Glück gemeinsam genießt, so kann man das Unglück auch gemeinsam beheben. Und wenn das nicht gelingt, dann gibt es Professionen, die dabei helfen können. Der nächstliegende Schritt ist dann die gemeinsame Konfliktbearbeitung.

Wer hingegen an der polarisierten Sicht festhält, der schafft allenfalls ein Gefühl der moralischen und ethischen Überlegenheit gegenüber dem Schuldigen. Die Lösung des Problems wird nicht verfolgt. Darauf hebt Professionalität nicht ab. Im Gegenteil sie versucht Schuldzuweisungen zu vermeiden, weil sie den therapeutischen Prozess hemmen und die Suche nach Lösungen für alle Beteiligten blockieren.

Professionalität steht jenseits des Paradigmas der Täter-Opfer-Polarisierung, die in vielen Beratungsstellen vertreten und vor allem vom Bundesfamilienministerium seit Jahr und Tag finanziert wird.

Lassen sie mich jetzt zu den langfristigen menschheitsgeschichtlichen Aspekten kommen.

Ich skizziere die Aspekte, die Frauen betreffen:

Die Frauenbewegung der zweiten Welle, also Studentenbewegung, Weiberrat waren etwas, das dem Anspruch der Beziehungsanalyse in historischer Perspektive durchaus nähergekommen ist. Das war neu. Die Frauenbewegung nach 1968 war eine Wende zum relational turn. Es ging um Selbstermächtigung. Opfermentalität war out!

Die Perspektive der Selbstermächtigung hat sich allerdings innerhalb von gut 10 Jahren verflüchtigt. An ihre Stelle trat die Täter-Opfer-Politik, von der ich vor vielen Jahren bereits sagte, dass sie eine Politik der Opferverliebtheit für Frauen propagierte. Diese Opferattitüde wurde von Frauen in elitären Gruppen an die Öffentlichkeit getragen. Diese Charakterisierung der Frauen ist gegenüber dem Selbstverständnis der Mehrheit von Frauen realitätsblind. Sie beschreibt zumeist die Frauen, die diesen Ton vorgeben. Eine Tendenz, die von „linken“ Parteien nur allzu gerne übernommen wurde und die mediale Öffentlichkeit und das Bundesfamilienministerium noch immer weitgehend beherrschen.

Die Autorin dieses verqueren Duluth-Weltbildes, Ellen Pence, beschreibt 1993 an Hand von neun Beratungsfällen wie sie das Geschlechterverhältnis sieht:

„Wenn man Sklaverei, eine koloniale Beziehung, oder einen repressiv strukturierten Arbeitsplatz als Beispiel wählt, dann gewinnt man eine Vorstellung davon, was im Bewusstsein eines herrschsüchtigen Mannes sich ereignet“. 1993, S. 49)

Im Tagesspiegel gab ein MALTE LEHMING am 25. 1. 2018 eine ähnliche Wende zum Besten: „Vergewaltiger repräsentieren ihr Geschlecht, sie handeln im Namen des Mann-Seins“.

Die große Frage, die sich hier stellt, ist nicht etwa der Wahrheitsgehalt dieser durchsichtigen Fiktion, sondern was die Voraussetzungen dafür waren und noch immer sind, dass dieses irreale Patriarchatsgespinst in massenhaft geförderte staatliche Beratungseinrichtungen umgeleitet werden konnte. Alles was Männer tun, sei dem Patriarchat zuzuordnen und alles, was Frauen tun, daraus – als Reaktionsbildung – abgeleitet. Also: Wenn Frauen schlagen, dann kann das nur Gegenwehr sein. Ganz im Sinne der feministischen Psychoanalytikerin Margarete Mitscherlich, die die Duluth’sche Phantasie mit dem Titel verbrämte, dass Frauen friedfertig seien. So hat dieses Gedankengebäude weibliche Autonomie abgeschafft.

Die „sexualisierte“ Sicht von Frauen als Gewaltopfern von „patriarchalen Männern“ wurde in vielen US-Bundestaaten akzeptiert. Es schließt Männer wie Frauen davon aus, über Schuldphantasien und -realitäten und eigenen Gewalthandlungen zu sprechen. Beide werden „umerzogen“.

Angerissen sei hier, dass zumindest in Deutschland diese Vereinigung aller Frauen zu einem leidenden und passiven Subjekt nicht zuletzt von dem Abtreibungsgesetz (§218) von 1976 unterschwellig gefördert wurde. Das höchstrichterliche Urteil und zugleich die Lösung der Abtreibungsfrage sprach Frauen die Autonomie ab, eigene Verantwortung für ihre Entscheidung zu tragen. Sie sei ungeeignet für Verantwortung. An die Ärzte wurde sie deshalb übertragen. Die §218 Beratung ist die erste staatlich verfügte Zwangsberatung. Diese Besonderheit war sozialistischer Familienpolitik vorbehalten. Paradoxerweise ist der politische Erfolg der 218-Lösung zugleich einer der wesentlichen Gründe für die Hinwende zur Opferideologie gewesen. Also einerseits die Liberalisierung der Sexualmoral seit der 68er Bewegung andererseits die gleichzeitige Infantilisierung der Frauen durch die 218-Gesetzgebung und Zwangsberatung.

Der zweite Faktor war Judith Butler, die einerseits theoretisch dem größenwahnsinnigen Gedanken einer beliebig gestaltbaren Gesellschaft nach dem eigenen Willen anhing, aber für Frauen vorsah, dass sie nur durch Parodie das sie umgebende Gefüge „patriarchalischer Herrschaft“ angehen könnten. Eben Ohnmacht als Lebensstil und das Ende der frauenbewegten Empowerment. Opferverliebtheit und Judith Butler sind nicht voneinander zu trennen.

Seit den 80er Jahren ist in Deutschland das Konzept der Empowerment, der Selbstermächtigung, der Handlungsfähigkeit auf eine schiefe Ebene geraten, die unaufhaltsam dazu führt, dass Weiblichkeit mit Ohnmacht, allseitiger Behinderung und aktiver Diskriminierung verbunden wird. Das war durchaus nach dem Geschmack der linken Parteien, die Frauen als neue Wählergruppe entdeckten. Wenn Frauen nur Opfer sind, dann können sie nicht gewalttätig sein. Weder gegen Männer noch Kinder. Eine wesentliche Folge davon ist, dass die Gewalt von Frauen an Männern verleugnet werden muss.

Das kann nur erfolgreich verlaufen, wenn Männer sich dem linken Erklärungsmodell anschließen und über ihre eigenen Gewalterfahrungen mit Frauen den Mantel des Schweigens hüllen. Aber Männer schweigen zu Gewalterfahrung nicht nur, weil sie Frauen einen Gefallen tun wollen oder sich dem linken frauenfreundlichen Milieu zurechnen möchten. Sie haben schwerwiegendere Gründe dafür.

Also: Was hat es mit dem beschämten Schweigen der Männer auf sich, dass sie über Gewalt von Frauen nicht reden wollen?

Ich werde dazu eine Reihe von Überlegungen formulieren. Sie wollen zeigen, dass die Scham der Männer nicht zuletzt von der langen Kontinuität des Geschlechterarrangements von Männern und Frauen am Leben erhalten wird.

Seit der Studie von Murray Straus aus den 80er Jahren und 200 weitern Studien wissen wir, dass Männer so häufig wie Frauen schlagen. Sei es in der Kategorie leichte, mittelschwere und schwere Gewalt. Warum hören wir nichts von Männern, nichts aus der Forschung außer höchst skandalträchtigen Episoden? Warum schweigen Männer zur Gewalt, die ihnen in Partnerschaften, im Beruf, im Militär, in der Freizeit und im Arbeitsprozess widerfährt?

Zwei Ebenen der Erklärung will ich hier vortragen.

1. Eine evolutionsbiologische, die auf Jahrtausende alte Wirksamkeit hinweist
2. Eine empirische aus neuerer Forschung

1. In der Evolution der Menschheit ist es den Männern zugefallen – gleich in welchen Phasen, ob vor 40 000 Jahren, der Zeit der ältesten Funde oder noch viel früher, die feindliche Natur zu erobern, sie zu beherrschen und zum Wohl aller, dem Stamm, der Gruppe, der Familie und heutzutage der Nation etc. untertan zu machen. Sie waren diejenigen, die den Bestand und den Fortschritt erkämpften. Sie setzen sich Gefahren der schwer beherrschbaren Natur aus. Sie waren stets tödlichen Bedrohungen ausgesetzt. Und immer auch in Kriegen mit Konkurrenten um knappe Nahrungsmittel und heute territorialer oder ökonomischer Interessen, die nur in wenigen Fällen ihre eigenen sind.

Sie haben demnach eine lange menschheitsgeschichtliche Tradition mit Bedrohung und Lebensgefährdung zu leben. Beide haben etwas Selbstverständliches für sie und waren im Alltag allgegengewärtig. Die Natur trat als Tod, als Verletzung, Verstümmlung und als Angst in ihr Leben. Sie hatten guten Grund sich vor Gefahren zu fürchten, deshalb wollten sie diese mindern und letztlich beenden. Männer entwickelten Waffen und Technologien, so wie wir sie heute kennen, um der Gefahren Herr zu werden.

Etwa in der Entwicklung der Sicherheit am Arbeitsplatz, in den Bergwerken, den Fabriken, den Baustellen, den Goldminen oder der Beherrschung der Wasserkraft. Durch Erfindergeist und technische Anstrengung ist ihnen das gelungen.

Aber eine entscheidende Bedingung musste erfüllt sein. Die Angst, die damit einherging, musste verdrängt und abgespalten werden. Wenn das misslang, war das Überleben gefährdet. Fortschritt, Überleben und Handlungsfähigkeit setzten die erfolgreiche Abspaltung der Todesangst voraus. Sie zu beherrschen ist die maßgebliche Quelle des männlichen Erfindergeistes und der Überlebenskunst. Der technische Fortschritt ist je weiter wir in die Vergangenheit zurückgehen, für Männer eine Quelle der Angst, der Bedrohung und der Unkalkulierbarkeit von Überlebenschancen gewesen.

Die Abspaltung der Angst setzt grausame Instrumente ein. Evolutionsgeschichtlich waren es Pubertätsriten, mit denen Söhne aus dem Einflussbereich der Mutter gerissen und in die Welt der Männer befördert wurden. Es war die Vorbereitung darauf, die außerfamiliäre Welt beherrschen zu müssen. Die Übergänge waren durchwegs traumatisierend. Das Weibliche und zugleich Mütterliche musste abgespalten werden, um für die äußeren Gefahren gewappnet zu sein.

Und bis zum heutigen Tag verläuft das Modell der Erziehung von Jungen nach immer nach diesem Modell, wenn auch wesentlich humanisierter. Aber Härte und Gewalt in der Vorbereitung auf das wirkliche Leben gelten als hilfreich noch immer vor allem für die Söhne. Elterliche Gewalt hat immer noch Chancen als wohlmeinend und nicht als sadistisch zu imponieren.

Man stelle sich nur einmal vor, dass Männer massenhaft aus Angst vor dem wahrscheinlichen Tod den Kriegsdienst verweigert hätten. Wir hätten keine Kriege gehabt. Die Angst vor dem Sterben, den Verletzung, lebenslangen Verkrüppelung und Traumatisierungen hätte sie massenhaft zur Verweigerung gedrängt. Nur, das haben Männer nicht getan. Sie folgten der urwüchsigen – nämlich der geschlechtlichen – Arbeitsteilung.

Es gehört zu den Subtilitäten des Verständnisses der Scham, dass diese sich besser daran erkennen lässt in dem, was Männer tun, damit sie die Beschämung vor dem Versagen nicht selber erleben müssen. Sie schützen sich, damit sie den evolutionsbiologischen Erwartungen entsprechen können. Diese Erwartungen sind für sie zum selbst gesetzten Ziel geworden.

Wie Männer mit dem steten Szenarium der Bedrohung umgehen, ist Teil von männlichen Kulturen im Arbeitsleben und im Militär geworden. Sie haben Kulturen entwickelt, die dabei helfen, die Todesdrohungen erträglich zu gestalten, damit sie ihrer evolutionsbiologischen Funktion erfolgreich nachkommen können. Das hat ihr Verhältnis zu Frauen, Partnerinnen und Kindern strukturiert. Zugleich ist Männlichkeit in ihren unbegrenzten Ausprägungen anders als Weiblichkeit in ihren unbegrenzten Ausprägungen und beide sind teileweise nur schwer miteinander zusammen zu bringen und zu ertragen.

Ich will nur ein Beispiel für die Kultur der Angstverdrängung skizzieren:
Die Untersuchung über die englische Arbeiterkultur im Bergbau

Zu den lebensbedrohenden Arbeitsbedingungen zählen traditionell die im Bergbau. Englische Studien zur Arbeiterkultur aus den 70er Jahren – also zur Hochzeit der Laborparty unter Harold Wilson – beschreiben die proletarische Lebensform im Bergbau. Es zeigte sich, dass die Zeit, die die Kumpel außerhalb der Grube verbrachten, was wir heute Freizeit nennen, von einigen Besonderheiten geprägt war. Die Teams, die im Stollen – vor Ort – gemeinsam arbeiteten, verbrachten einen großen Teil ihrer Freizeit gemeinsam. Das hat nichts mit Frauenverachtung oder Vernachlässigung der Kinder zu tun. Es war der stete Versuch, die Angst vor der nächsten Einfahrt in den Schacht zu bändigen. Viele kennen diesen Mechanismus aus eigener Erfahrung. Eine bedrohliche Situation verlässt man nicht, sondern bleibt in ihr, um der Angst Herr zu werden und handlungsfähig zu bleiben. Entsprechend spärlich verliefen das Familienleben und auch die Sexualität der Bergarbeiter mit ihren Frauen. Die Zuneigung zu ihnen wie den Kindern war liebevoll, aber immer von der lauernden Angst vor potenziellen Schlagwettern vor Ort in der kommenden Schicht geprägt. Wenn wir heute von den mitunter zögerlichen emotionalen Beziehungen der Väter zu ihren Kindern reden, dann sollten wir solche Mechanismen nicht vernachlässigen.

Im Bergbau in England im 20. Jahrhundert war die Spontaneität der Kinder für ihre Väter von verdrängter Todesangst beherrscht und nur schwer zu ertragen. Es riss die Rituale der abgespaltenen Todesangst ein.

Obwohl heute viele Männer nicht mehr die Alleinverantwortung oder Letztverantwortung für das Familieneinkommen und die äußeren Lebensverhältnisse wie damals tragen, sondern das von vielerlei Faktoren abhängt, so dürften viele von der unterschwelligen Angst weiterhin geprägt sein, dass sie es letztlich sind, auf die diese evolutionsbiologisch Zuständigkeit in Krisenzeiten zurückfällt. Tendenzen am Arbeitsmarkt geben dafür durchaus Hinweise.

Und wenn Männer weniger Angst vor Kriegen haben, dann ist auch das keine Begeisterung für das Risiko und den Tod, sondern es ist geprägt von der Unausweichlichkeit, dass sie die Folgen des Krieges und dessen Durchführung zu ertragen haben.

Vor diesem gerade einmal angedeuteten Hintergrund, wird es dann verständlich, dass Männer – bislang – die Gewalt von Frauen für geringfügig und mitunter vernachlässigbar erachten oder erlittene Gewalt kleinreden. Wahrscheinlich ist es weniger die körperliche Gefährdung, die sie schreckt, als die narzisstische Kränkung, die sie mundtot macht. Wenn man diese Hintergründe anerkennt, dann darf man auch sagen: Männer sind so wie sie sind. Nur macht der Satz dann keinen Sinn mehr. Der Sinn liegt nämlich im Verstehen.

Allerdings wird hier absehbar, dass die komplexe Gewaltverleugnung selbst erlittener Gewalt, sei es durch Ehefrauen, Partnerinnen oder die Gesellschaft, im Rahmen des relational turn weitreichende Änderungen nach sich ziehen würde. Das würde auch an evolutionsbiologischen Überlieferungen kratzen. Wie wahrscheinlich solche Änderungen sind, vermag ich nicht einzuschätzen. Aber ich schätze sie zumindest in der augenblicklichen Situation auf absehbare Zeit als unwahrscheinlich ein. Wir sollen nämlich nicht übersehen, dass das Bild von den Frauen als Opfer – je mehr es sich ausbreitet – Männer in ihrer Gesamtheit als die einzig Handlungsmächtigen in die evolutionsbiologischen Traditionen wiedereinsetzt und sie geradezu daran hindert, sich davon zu verabschieden. Möglicherweise sind Männer so hellhörig für Unterströmungen der Zeitgeschichte, weil sie diese Tendenz spüren und eben deshalb weiterhin den Schmerz abspalten.