Birgit Kelle, Vorsitzende von Frau2000plus, schreibt:
Die deutsche Familienpolitik steht vor einem Scherbenhaufen. Betrachtet man die neueste Studie „Wie leben Kinder in Deutschland?“ des Statistischen Bundesamtes kann man mit Fug und Recht behaupten, dass der derzeitige Kurs in der Familienpolitik nicht einmal ansatzweise die Erfolge gebracht hat, die man sich erhofft hatte. Ganz im Gegenteil.
Es klingt nahezu weltfremd, wenn der Staatssekretär im Familienministerium, Josef Hecken, die aktuellen Zahlen mit den Worten kommentiert, der Rückgang der Kinderzahl in Deutschland zeige, „wie wichtig eine nachhaltige Familienpolitik“ sei und dass die Bundesregierung mit ihren familienpolitischen Maßnahmen auf einem guten Weg sei. Sind wir also deswegen Schlusslicht bei den Kinderzahlen in Europa, weil wir auf einem guten Weg sind? Und was ist eigentlich „nachhaltige“ Familienpolitik? Eine, bei der Familien besonders nachhaltig, also lange zusammen bleiben, was wünschenswert ist, sich in der Politik aber nicht niederschlägt? Eine, die uns möglichst viele Familien beschert – wobei noch zu klären wäre, was genau eine Familie im Sinne von Art. 6 Grundgesetz ist? Oder eine Politik, die Familien mit möglichst vielen Kindern hervorbringt – dann wären wir jedenfalls politisch komplett gescheitert.
Nirgendwo in Europa leben weniger Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren, als bei uns. Deutschland ist Schlusslicht der Tabelle mit einem prozentualen Anteil von nur 16,5 Prozent. Im Vergleich: In der Türkei beträgt der Anteil exorbitante 31,2 Prozent. In Frankreich sind es 22 Prozent und auch in Großbritannien, Norwegen, Schweden oder den Niederlanden sind es über 20 Prozent.
Die Geburtenrate in Deutschland ist trotz aller Bemühungen auf einem niedrigen Niveau und ist in den vergangenen 10 Jahren sogar von 1,38 auf 1,36 Kinder gesunken, die eine deutsche Frau statistisch in ihrem Leben zur Welt bringt.
Dabei hatte man uns doch prophezeit, dass alles besser, schöner und kinderreicher werden soll. Dass wir nur mehr Betreuungsplätze für Kinder in staatlichen Einrichtungen schaffen müssten, und schon würde sich der Babyboom einstellen. Nun, es kam wohl anders. Vielleicht auch deswegen, weil wir zwar gerne nach Skandinavien und Frankreich linsen, wenn es um die Betreuungsangebote geht, aber den Rest gerne ignorieren. Wie zum Beispiel die Tatsache, dass Familien in Frankreich ab dem dritten Kind steuerfrei sind, oder dass es in Skandinavien schon sehr lange ein Betreuungsgeld gibt für Familien, das frei eingesetzt werden kann, während wir uns noch an Begriffen wie „Herdprämie“ abarbeiten und den Familien lieber misstrauisch mit „Bildungsgutscheinen“ begegnen.
Der Rückschluss „Mehr Kinderbetreuung und dadurch automatisch mehr Kinder“ funktioniert alleine nicht. Besonders dramatisch ist dies im Ost-West-Vergleich sichtbar. Denn die Betreuungsquote in den neuen Bundesländern ist riesig groß, die Geburtenrate jedoch noch weiter im Keller als in den alten Bundesländern. Hinzu kommt, dass im Osten immer weniger klassische Vater-Mutter-Kind-Familien wohnen, dafür mehr Alleinerziehende und mehr unverheiratete Paare. Im Westen hingegen sind deutlich mehr Kinder zu verzeichnen und zwar in der Regel bei verheirateten Eltern und dort, wo es wenig Betreuungsangebote gibt. Nachhaltig wäre also, wenn wir fördern würden, dass die Menschen heiraten und sich selbst um die Kinder kümmern. Das ist nicht Ideologie, sondern Statistik.
Ein Grund für die Misere der Geburtenrate ist, dass die meisten Frauen erst jenseits der 30 Jahre damit beginnen, ihre statistischen 1,38 Kinder zu bekommen. Damit bleibt nur ein kleines Zeitfenster übrig für ein zweites oder gar mehr Kinder. Im Jahr 1970 fing man schon mit 24 Jahren an – da war noch Potential für Geschwister. Anstatt aber das frühe Kinderkriegen zu fördern bezahlen wir jetzt aus den öffentlichen Krankenkassen künstliche Befruchtungen – so wie wir gleichzeitig allein in den vergangenen 10 Jahren 2,5 Millionen Kinder mit staatlichen Geldern haben abtreiben lassen. Eine paradoxe Familienpolitik, die einerseits Kinder will, andererseits deren Verhinderung finanziert.
Konsequenterweise passt das Kinderkriegen jenseits der 30 jedoch wunderbar in die staatliche Erziehungsgeld-Politik. Lohnt sich dies doch gerade für die gutverdienenden Paare mit etabliertem Job, die mal eine einjährige Pause für den Nachwuchs einlegen. Diese bekommen in der Regel den Höchstsatz von 1.800 Euro ausgezahlt, während die Bäckereiverkäuferin in den 20ern mit den 300 Euro Mindestsatz abgespeist wird. Sie könnte vermutlich rein ohne künstliche Befruchtung auch noch vier Kinder bekommen. Sie kann es sich aber nicht leisten. Für mehr Kinder müsste es genau anders herum sein. Die junge Frauen und Familien ohne Sicherheit und festen Job brauchen die hohen Summen, die Akademikerin und der Ingenieur im mittleren Management jenseits der 30 können vermutlich ganz auf das Geld verzichten.
Bleibt zum Schluss noch die gefühlte Kinderförderung im Land. Die sagenumwobene Kinderfreundlichkeit der Gesellschaft: Was davon noch existiert wird systematisch totgeredet und –geklagt. Wir hören und lesen nur noch von überforderten Familien, vernachlässigten Kindern, von Rentnern die gegen Kindergartenlärm und Nachbarn die gegen Kinderwägen im Hausflur klagen und von Müttern die mit schreiendem Kind aus dem Bus geworfen werden, weil sie stören. Auch das ist Deutschland.
Vielen Dank für Ihren Kommentar.
In einigen Punkten gebe ich Ihnen vollkommen Recht. Wir müssen Familie und damit die Kinder stärken. Betreuungsangebote klingt erst mal gut, aber die zur Zeit politisch geförderte „unter 3-jährige“ – Fremdbetreuung lehnen wir als Pauschalbetreuung ab. Eine Politik, die Familien ab dem 2. Kind in die Armut entlässt und die nur als Doppelverdiener überleben können, hat absolut versagt. Solange aber vorwiegend Männer eine feministisch geprägte Gesetzgebung durchwinken, ist der augenblickliche Zustand der gewollte.
Also sich nicht beschweren über den Zustand der Gesellschaft, sondern aktiv was tun!
Die Misere ist doch schon lange bekannt. Lösungen gäbe es genug. Man müsste nur mal dahin schauen, wo es funktioniert hat. Ob es nun Finnland, England oder Frankreich sei, die wichtigsten Eckdaten für eine positive Kinder-Umgebung sind: genügend Betreuungsangebote für klein und groß, qualifizierte Betreuer und Lehrer, sowie ein wohlwollend geregeltes Miteinander von Alt und Jung.
Solange wir alle jedoch diese Themen systematisch vergessen, müssen wir uns von unseren Kindern fragen lassen, was haben wir dagegen getan. Ein erster Schritt kann ja sein, die politischen Verantwortlichen diesbezüglich zu befragen und in die Pflicht zu nehmen. Denn nur dann wird aus dem Slogan „Kinder sind unsere Zukunft“ keine leere Phrase.