Politische Korrektheit: Gruppenmoral ersetzt Wertekonsens

Von Eckhard Kuhla

Rund 2/3 der befragten Bundesbürger traut sich nicht mehr, laut einer Allensbach–Umfrage, ihre Meinung in der Öffentlichkeit frei zu äußern. Und: über die Hälfte der Jugendlichen hat Angst vor einer wachsenden Feindlichkeit zwischen Menschen, die unterschiedlicher Meinung sind (Shellstudie 2019). An Universitäten werden Redeverbote erteilt, und die Redefreiheit kann dann häufig nur mit Polizeischutz gesichert werden. Unfassbar, das sind Alarmsignale für eine Demokratie!

Aber wie reagiert die Politszene? Sie schiebt das Thema „Meinungsfreiheit“ in die Planung von Veranstaltungen ab, und das endet meistens mit der unsäglichen Schlussformel „Unsere Meinungsfreiheit ist nicht in Gefahr“, allerdings verknüpft mit der fast selbstverständlichen Feststellung, dass die Gesellschaft vor extremistischen Kräften geschützt werden müsse. Der Bürger spürt eine kognitive Dissonanz ob dieses Mantras, oder in seinen eigenen Worten: seine Angst vor freier Rede wird noch größer.

Konditionierte Meinungsfreiheit

Die Meinungsfreiheit ist nach fast 70 Jahren Bestehen des Grundgesetzes zu einem Debattenthema geworden. Warum? Der Einfluss der Politischen Korrektheit relativiert den Artikel 5 GG (Redefreiheit). Dies hat Bundespräsident Steinmeier in seiner Rede vor dem Hochschulverband (am 18.11.19 an der Hamburger Uni) konkretisiert: es ginge um „ein Setting ungeschriebener Regeln des Umgangs miteinander, um eine von Einsicht gezogene Grenze zwischen dem Sagbaren und dem Unsäglichen“ zu ziehenAuf die Grenzüberschreitung hatte der Präsident des Hochschulverbandes Bernhard Kempen schon Monate vorher kritisch hingewiesen: „Problematisch ist dabei, dass Viele meinen, die Definitionsgewalt darüber zu besitzen, was…Grenzüberschreitung ist.“

Kaum bekannt ist in diesem Zusammenhang das Urteil des BVerfG  vom 28.11. 2011 zum Artikel 5, GG. Es fasst den staatlichen Schutzbereich (…ob wahr oder unwahr,…… ob gefährlich oder harmlos…) zur Redefreiheit so weit, dass eine Debatte darüber nicht an Bedingungen gebunden werden kann.

Regeln des Anstandes und die Gruppenmoral

Auch Steinmeiers Grenzziehung „zwischen dem Sagbaren und dem Unsäglichem“ findet in der Realität, beispielsweise bei aktuellen, politisch-orientierten Aktionen, nicht statt. Zur „Grenzziehung“ haben Aktionsgruppen inzwischen ihre eigenen Moralapostel installiert. Sie diskriminieren, beschuldigen und begehen normative Grenzüberschreitungen nach eigenem Gutdünken. Als Beispiele sei die zunehmende Zahl der Redeverbote an Unis im letzten Herbst genannt: es sind die Redeverbote für Lucke an der Uni Hamburg, de Maziere (Uni Göttingen), Lindner, Münkler, und Barberowski (Humboldt Uni Berlin). Die Redeverbote werden häufig von der Uni-Verwaltung auf Druck der Studentenvertretungen ausgesprochen, mit der Begründung, Ausschreitungen zu vermeiden. Wo bleibt da eigentlich die Empörung der Akademia ?

Bedenklich stimmt zudem die selbst ernannte Eigenmächtigkeit bestimmter Gruppen, es sind hinsichtlich der Initiierung von Redeverboten die studentischen Vertretungen, und extremistische Gruppierungen hinsichtlich der Sachbeschädigung von Autos und Häuserwänden unliebsamer Politiker, sowie der kriminellen Übergriffe auf Politiker.

Aus eigener Erfahrung kann hier von der Planung einer internationalen Veranstaltung berichtet werden. Im Vorlauf fand eine mediale Verunglimpfung der Veranstalter statt. Nur durch einstweilige Verfügungen, konnte schließlich die Veranstaltung stattfinden, gegen die sich auch die Universität zeitweise gestellt hatte. All das war nicht nur kostspielig, sondern machte den Einsatz von Sicherheitskräften über drei Tage erforderlich. Ergo: Kann man zukünftig seine Redefreiheit nur erzwingen, wenn man den Rechtsweg finanzieren kann?

Besonders eklatant sind Beispiele für die indirekte Einschränkung der Redefreiheit einer Bundestagspartei: in Bundestagssitzungen sind Redner der Oppositionspartei unflätigen Beschimpfungen ausgesetzt und viele Abgeordnete demonstrieren derweil eine aktive Gleichgültigkeit. Die Opposition bekommt zusehends Probleme, ihre Parteiversammlungen in privaten Räumlichkeiten durchzuführen. Und wenn dann die Versammlungen stattfinden können, muss Polizeischutz häufig die Redefreiheit sichern.

Entsprechen diese undemokratischen Vorfälle auch dem „Setting von ungeschriebenen Regeln des Umgangs miteinander“ des Bundespräsidenten?

„Kampf gegen rechts“: Propaganda pur

Grenzziehungen gegenüber linken Gruppen finden noch nicht statt. Im Gegenteil: Mit dem „Kampf gegen rechts!“ bezieht die Bundesregierung eindeutig Position gegen die Aktionen rechter Gruppen. Diese Kampagne, ausgestattet mit mehreren Millionen Euro, ist ein – bezeichnenderweise – allumfassendes Programm des Familienministeriums zur entsprechenden Unterstützung und Meinungsbildung von Institutionen, Vereinen und Initiativen. Wäre es für einen demokratischen Staat nicht eher angesagt, statt eines „Kampfes“ einen „Dialog“ mit rechts zu führen?

Für den Bürger in den östlichen Bundesländern werden Erinnerungen an die DDR Diktatur wach: Solche Propaganda-Kampagnen (z.B. „Kampf dem Kapitalismus“) kennt er zur Genüge. Es sind die gleichen Elemente einer Propaganda (DDR Sprech: „AgitProp“) : Zum Herstellen einer einheitlichen Meinung wird mit einer einseitigen Informationspolitik, einer ideologisch-orientierten Sprache , einer Ahndung von „Abweichlern“, sowie mit Feindbildern und Slogans gearbeitet. Mich hat der Slogan „Omas stricken gegen rechts“ sehr beeindruckt.

Eine Propagandakampagne wie der „Kampf gegen rechts“ hat in unserer Demokratie keinerlei Berechtigung. Auch die verordneten Regeln und der Duden für die Gendersprache (Gauck:„betreutes Sprechen“) unterlagen keinen demokratischen Prozessen. Die Folge: statt einer Debattenkultur wird beim Bürger Angst erzeugt.

Gehirnwäsche

Das Thema Meinungsfreiheit ist im politischen Raum zu einer üblichen Routine – verkommen. Und im privaten Umfeld wird die Meinungsfreiheit mittlerweile zu einer unkontrollierten Spielwiese der PK mit möglichen Negativfolgen für das Individuum. Denn „hier gilt es, nicht abweichende Meinungen als falsch zu erweisen, sondern als unmoralisch zu verurteilen“ (Bolz). Die „Gegen rechts“- Propaganda zeigt hier bereits Wirkung einer Gehirnwäsche. Diffamierungen wie „Nazi“ erwecken kaum noch Empörung, könnten aber auf eine Person bezogen, eine Freundschaft, gelinde formuliert, beenden.

Nicht nur Worte, sondern auch sensible Themenkomplexe, können zur Diffamierung, ja sogar zur Ausgrenzung Andersdenkender führen. Es sind dies insbesondere die Tabuhemen Klima- und Migrantenpolitik, sowie die vegane Esskultur(!). Beantwortet man folgende Suggestivfragen mit einem – teils konditionierten – „Ja“, kann man ohne Vorwarnung in ein Feld mit Tretminen geraten: „Heißt das, dass Sie den menschengemachten Klimawandel leugnen?“, oder „Sie essen immer noch Fleisch?“ und schließlich: „Wollen Sie etwa die Flüchtlinge im Meer ertrinken lassen?“

Dann braucht nur noch das Tabuwort „AfD“ zu fallen, und das Gespräch nimmt einen unerwarteten Verlauf bis hin zu einem längeren Toiletten-Aufenthalt eines Teilnehmers, oder freiwilligem, auch gezwungenem Verlassen der Runde. Die Lust an einer „gepflegten“ Unterhaltung geht gegen Null. Der Rest ist Schweigen.

In logischer Konsequenz zieht man sich zurück in die Gruppen Gleichgesinnter, ähnlich wie der DDR – Bürger sich am Wochenende in seine Datsche verabschiedete. Generell führt das politisch korrekte Verhalten bereits unmerklich zu einer Spaltung der Gesellschaft, sei es unter Freunden , ja selbst unter Verwandten.

Es ist seltsam, dass die Gehirnwäsche im privaten Bereich und ihre Negativfolgen von den Medien – geschweige denn von der Politik – bisher kaum thematisiert wurden.

Die „Scharia der Grünen“

Und noch eine weitere Triebkraft motiviert die regierungskonformen Meinungsmacher: Das allgemeine Sich schuldig fühlen, einschließlich des „Fremdschämens“. „Die Rhetorik der sozialen Gerechtigkeit macht aus der sozialen Ungleichheit auf einfachste Weise einen Generator von Schuldbewusstsein: Ich erzeuge den Neid der anderen – das ist meine Schuld“ (Bolz). Dieses Zitat möge einige persönliche Beispiele, nebst dem Bericht über sehr sensible Erfahrungen, ersetzen.

Überlagert und verstärkt wird obiges Phänomen zudem seit langem durch Einflüsse des Kulturmarxismus, nach Klonovsky: „die Scharia der Grünen“. Das destruktive Abwerten klassischer Werte und Kulturen gilt für die derzeitige Gesprächskultur, als auch für die vielen Spielarten unserer Kultur der Ästhetik und Lebensstile. Abwerten von Werten fördert deren semantische Beliebigkeit, und damit zu einem Verlust des Normalen. Das Normale verleiht einem die Fähigkeit in der Medienwelt, die Wahrheit von Fakes zu unterscheiden – selbst nach dem Lesen der sogenannten Qualitätsmedien.

Politische Korrektheit als Norm

Das Abwerten westlicher Werte verunsichert viele Bürger. Der altgewohnte Wertekonsens hat ihnen bislang Sicherheit für ihr Reden und Verhalten gegeben. Da bietet es sich doch eigentlich an, einen modernen, gesellschaftlich-korrekten Mainstream als Ersatz für das Verlorene medial zu fördern.

Genau dem entspricht eigentlich das Anliegen der Politischen Korrektheit. Jedoch, so positiv wie sie zunächst auf leisen Sohlen daher kommt, desto negativer wirken sich ihre Folgen für das Individuum aus. Die „Korrektheit“ ruht auf tönernen Füßen: Korrektes Verhalten findet normalerweise im Abgleich mit einem Kanon von althergebrachten Werten statt. Und dieser Kanon kann nicht – gleichsam ad hoc – durch eine „ungeschriebene Sammlung von Regeln“ (Steinmeier) ersetzt werden. Denn: Das Althergebrachte ist das Ergebnis einer basisdemokratischen Entwicklung in der sich nur eine zustimmende Mehrheit durchsetzt. Was tun?

Ein Hoffnungsschimmer: Eine Menge von über 100 000 Unterzeichner hat kürzlich in zwei Aufrufen sich gegen die Gendersprache ausgesprochen. Daraus hat sich eine „Aktion FreiSprech“ entwickelt. Sie hält es mit Saint Exupery: Einem Schiffsbauer sollte man die „Sehnsucht nach dem endlosen weiten Meer“ lehren. Sinngemäß sollte daher unseren Politikern und Journalisten die „Sehnsucht nach einer freien und schönen Sprache“ vermittelt werden.

Erschienen auch bei The European