Von Alexander Wiechec
Die politische Korrektheit regelt unsere Sprache und Verhalten. Wir merken noch immer nicht, wie sie unsere Redefreiheit einschränkt.
Wenn verschiedene Gruppen oder Menschen in lebendiger Beziehung miteinander sind, ist es nicht so wichtig, welche Worte man benutzt. Denn man fühlt das Wohlwollen und das Miteinandersein auf einer unausgesprochenen Ebene. Die Worte werden dadurch nicht überflüssig, aber die unausgesprochene Beziehung überragt diese an Bedeutung. Sobald es wichtig wird, welche Worte man benutzt, ist dass ein Kennzeichen dafür, dass die Beziehung unsicher geworden ist. Es kommt nun verstärkt auf den mentalen Inhalt an, nicht mehr auf die gefühlte Verbindung. Man berührt sich nur noch „mit spitzen Fingern“ statt mit festem Händedruck.
Das ist einer von mehreren Gründen, warum ich die Sprachgerechtigkeitsverrenkungen, die in den letzten zehn Jahren um sich gegriffen haben, nicht als Fortschritt sehe, sondern als das Manifestwerden einer Störung. Das Aufpassenmüssen was man sagt, kündet von der Erosion der Beziehung der Geschlechter zueinander und, da wo es nicht nur um die Geschlechter geht, der Menschen zueinander insgesamt.
Der Korrektheitswahn ist ein Symptom dafür, dass der seelische Schwerpunkt der Menschen immer mehr aus dem Herzbereich heraus- und in den Kopfbereich hineinwandert. Denn zur Kopfeinseitigkeit gehört die Trennung, die Fremdheit, das Misstrauen. Eine Sprache, die hiervon Zeugnis ablegt, wird heute als fortschrittlich erachtet. Für mich ist sie ein Zeichen der üblichen Mentalisierung, Entseelung, Beziehungsstörung der Menschen zu sich, zur Welt und zueinander. man vergisst immer mehr, was Beziehung ist und hält den Austausch von Worten für eine solche. Man verliert das Gefühl für das Unsichtbare.
In dieser Mentalisierung und Ersatzbeziehung ist der Korrektheitswahn eine Parallelentwicklung zur Computerisierung, Technisierung alles menschlichen Lebens. Es wächst, wie so vieles andere, auf dem gleichen Boden: dem Wesen der Technik. Dieses ist kalt und fühl-los. Es tendiert dazu, das lebendige Eigentliche durch etwas Uneigentliches und Scheinbares zu ersetzen.
Auch die totalitäre Tendenz, mit der die Sprach-Genderisierung meistens einhergeht, passt zum Wesen der Technik. „So und nicht anders macht man das jetzt“ liegt doch als ideologisch aufgeladene Botschaft darinnen. Ein Zwangsprinzip, dessen Vertreter sich moralisch überlegen fühlen xdürfen. Aus dieser vermeintlichen moralischen Überlegenheit leitet man dann das Recht ab, solche, die nicht mitmachen, zu tadeln, auszugrenzen oder gar anzugreifen.
Diese Formulierung „so und nicht anders“, mit der man diese Einstellung wiedergeben kann, ist genau die, die eine alte Bekannte einmal verwendete, als ich sie bat, ihren Eindruck vom Nazi-Regime wiederzugeben, welches sie als junge Frau erlebt hatte. Auch damals waren bestimmte Worte verpönt oder verboten, nur war es gerade andersherum als heute. So war man zum Beispiel gehalten, keine englischstämmigen Worte zu verwenden, statt Pullover zum Beispiel „Schwubber“ zu sagen.
Auch wenn hier ein Aufschrei der Empörung erklingen wird – von der Absurdität und vom ideologischen Background ist das doch durchaus zu vergleichen mit dem heutigen Sprachtotalitarismus, nur in die andere Richtung: Wo man früher „Schwubber“ sagen sollte, soll man heute nur noch StudentInnen mit großem I oder andere abstrusen Bildungen verwenden. Es kommt aber nicht auf die Richtung an, sondern auf das dahinterstehende Prinzip; ob es ein Prinzip der Freiheit oder Unfreiheit ist.
Vieles, was heute „gut gemeint“ erscheint, ist ein Wolf im Schafspelz. Auch die EU-Entwicklung hin zu immer mehr „gut gemeinten“ Normen und zentral vorgegebenen Gestaltungen liegt zum Beispiel auf dieser Linie. Auch hier wieder fehlt das Gefühl fürs Unsichtbare: Man bemerkt nicht das Wie, sondern sieht nur das Was. Und schon gar nicht bemerkt man, dass das Wie das eigentlich wichtigere ist, es gibt den Ton an, bei immer wieder austauschbaren Inhalten. Dieses Wie gewinnt immer mehr Macht, je mehr man es übersieht und sich an den greifbaren Inhalten orientiert – eben auch bei der „Sprachkorrektheit“. Dieses Orientieren an den greifbaren Inhalten wiederum kann man als eine Ausprägung des Materialismus ansehen. Er führt dazu, dass man das Sein (von etwas) übergeht und sich nur aufs Haben (von greifbaren Inhalten) bezieht.
Ein wirklicher Fortschritt kann aber heute nur etwas sein, das die Freiheit als Prinzip hat – das an die Mündigkeit des einzelnen und die Selbstgestaltungsfähigkeit der Gesellschaft glaubt, und nicht etwas, das den einen Zwang durch den anderen ersetzt, beziehungsweise den Zwang noch vermehrt. Wenn man das täte, würde sich wahrscheinlich auch die Sprache in eine sprachgemäßere Richtung entwickeln, als das unter der Hegemonie von Kultusministern und Überkorrekten derzeit geschieht. Zeit für die Wende – hin zu wirklich demokratischen Prozessen, statt zu verkappten Diktaturen.
Das zweite, allgemein-gesellschaftliche Thema, in dessen Rahmen ich die Genderisierung der Sprache sehe, ist das zunehmende Abhängigwerden und Abhängigmachen. Viele bekommen möglicherweise heute schon Angstzustände, wenn sie ohne Navigationssystem an einen anderen Ort fahren sollen oder einmal ein paar Tage ohne Internet leben.
Das heißt an Stellen, wo man früher gar nichts vermisst hat, wo es früher gar kein Problem gab, da gibt es nun eines. Man ist abhängig geworden von vielen „gut gemeinten“ neuen Einrichtungen. Wir sind in einer Dynamik, wo wir uns Probleme schaffen, statt unsere Aufmerksamkeit denen zuzuwenden, die wirklich drängen. Damit will ich nicht abstreiten, dass es auch eine Bearbeitung der tatsächlichen Probleme gibt, und dass manche Neuerung vielleicht auch gute Möglichkeiten beinhaltet, aber die Tendenz geht nach meiner Einschätzung stark in die andere Richtung.
Auf dieser Linie sehe ich nun auch die Sprachgenderisierung. Kein Mensch, insbesondere keine Frau hat sich früher daran gestört, dass von Bürgern und Studenten geredet wurde. Man fühlte ganz selbstverständlich, dass in diesem Genus beide Formen des Sexus einbegriffen sind. Es gab da kein Problem. Aber jetzt gibt es eins. Jetzt kann es passieren, dass eine Frau sich „ungerecht behandelt fühlt“, wenn sie als Student bezeichnet wird oder ähnliches. Sie ist abhängig geworden an einer Stelle, an der sie vorher frei war.
Aber durch Abhängigkeiten wird man schwächer, ob von elektronischen oder sprachlichen Verrenkungen. Und schwächer zu werden, abhängiger zu werden, ist kein Fortschritt, sondern ein Rückfall. Das ist ja ohnehin mein Gedanke zur Hauptrichtung der äußeren Kultur: dass da im Zuge dessen, was man für Fortschritt hält, auf der Ebene des Menschsein in Wirklichkeit ein Rückfall stattfindet. Die Abhängigkeit von äußeren Einrichtungen entspricht der Kindheit. Das elektrische Kabel kann man als Nabelschnur für Erwachsene ansehen, aber auch anderes, was man zu „brauchen“ meint, liegt auf dieser Linie. die Entwicklung zur Freiheit wäre wirklicher Fortschritt, nicht die zur Abhängigkeit.
Ein weiteres großes Thema der gegenwärtigen Kultur, von dem auch die Genderisierung kündet, ist die Entwurzelung. Auch viele andere Phänomene künden von ihr, sie ist geradezu das Hauptmotiv der Moderne. Ihre tiefere Ursache sehe ich in einem einseitigen Ansatz des Erkennens, dass man sich in der europäischen Kultur daran gewöhnt hat, abstraktes Denken in Rechnungen und Modellen für wirklicher zu halten als die unmittelbare Erfahrung. Aus dieser Wurzel sind im Laufe der letzten zweihundert Jahre vielerlei Phänomene der Entwurzelung entsprossen und tun es immer mehr und immer schneller – auf der sprachlich-psychologischen Ebene nun auch dadurch, dass man nicht mehr so reden soll „wie einem der Schnabel gewachsen ist“, sondern gehalten ist, vom Kopf kommende, hochnot-künstliche Vorgaben zu befolgen. Das sehe ich im Zusammenhang mit der allgemeinen Linie, dass die Menschen immer mehr von ihrem Seelengrund abgetrennt werden. Eine Entwurzelung in sich selbst findet da statt.
Auch des Sprachgefühls werden die Menschen entfremdet: Wer ein solches besitzt, der wird zum beispiel das große I mitten im Wort als eine unsprachliche Zumutung empfinden, wird überhaupt dieses entsetzliche Rumgehacke auf der „Ausgewogenheit“ des Genus der Worte als unsprachlich empfinden. Das sind höchst subtile Bereiche der Sprache und des Sprachgefühls. Man kann da nicht leicht „harte Fakten“ und „stichhaltige Argumente“ auf den Tisch legen. Man weiß schon im Voraus, dass einer, der diesen subtilen Bereichen nicht aufgeschlossen ist, und damit ist in der heutigen technoiden Zeit zu rechnen, nur Unverständnis oder gar Spott für einen übrig hat. Die ideologisch unterfütterten Kopfgedanken haben hier allemal „die Trümpfe in der Hand“, Sprachgefühl ist out. Deshalb versuche ich zumindest meist gar nicht erst, diese Ebene zu thematisieren.
Ja, „Sprachgefühl ist out“, so könnte man auch die ganzen, von mir hier zum Thema gemachten sprachlichen Verrenkungen überschreiben. Und wer das Sprachgefühl liebt und in ihm lebt, der kann sehen wo er bleibt, der wird zum Heimatlosen gemacht – aber „alles im Namen der Gerechtigkeit“. Die, die Sprache lieben, haben heute nämlich keine Lobby, im Unterschied zu allen möglichen anderen Minderheiten. Wer auch keine Lobby hat, ist die Sprache selbst. Aber die Sprache ist unsere geistige Umwelt, gerade so wie die Natur unsere physische. Und genauso wird sie auch behandelt. Aus Willkür und ohne Beachtung des Wesens der Sache wird das Gewachsene gerodet und hässliche und unstimmige Setzungen des vorstellenden und fühllosen Denkens eingepflanzt.
Es kommt doch auf den Geist an, aus dem heraus etwas geschieht und der kann sich gleichermaßen auf der grobstofflichen oder auf der subtileren Ebene betätigen. Die deutsche Sprache wird geradeso eingeebnet und von willkürlichen Setzungen verunstaltet, wie die Natur und die Stadtlandschaften (es schon sind und immer mehr werden). Das Abreißen von historischen Gebäuden, das Errichten von unorganischen, technischen Architekturen stattdessen, das allzu leichtfertige Abholzen von Bäumen und Büschen in Städten und landwirtschaftlichen Gebieten und das Roden von Spracheigentümlichkeiten, die dem gleichmachenden Charakter des Computers angeglichen werden, das zwanghafte Implantieren „neusprachlicher“ Wendungen und unsprachlicher Zeichen. Das alles wächst auf dem selben Boden, dem unpoetischen, unwahrnehmenden, technisch-totalitären Geist der Gegenwart, dem „Wesen der Technik“.