Über den steinigen Weg zur sprachlichen Gleichberechtigung:
In den vergangenen vier Jahrzehnten wurden erhebliche Anstrengungen unternommen, um eventuellen Diskriminierungen von Frauen im täglichen Sprachgebrauch entgegenzuwirken. Dabei ist es leider selbst nach einer so langen Zeit noch immer nicht vollends gelungen, den Anteil des weiblichen Geschlechtes an gesellschaftlichen Gruppen und Entwicklungen in all seinen Facetten hinreichend zu berücksichtigen. So kann ich mich nicht daran erinnern, in Artikeln und Abhandlungen zum Thema Kriminalität jemals die umfassende Bezeichnung „Verbrecherinnen und Verbrecher“ gelesen zu haben. Ebenso vermisse ich im Zusammenhang mit dem Problem rechter politischer Strömungen schmerzhaft eine korrekte Nomenklatur, die in diesem Falle z. B. „Faschist/innen“ oder „Neonazis und Neonaziinnen“ lauten könnte. Selbst beim Linksextremismus, der seit jeher – wie z. B. im Spartakusbund, in der kommunistischen Plattform oder in der Baader-Meinhof-Bande – traditionell stark weiblich dominiert ist, fehlt offenbar die nötige Sensibilität, um diesem Umstand auch grammatikalisch gerecht zu werden. Oder welcher Schreiberling hat sich jemals dazu herabgelassen, Terroristinnen und Terroristen auch als solche zu bezeichnen?
Doch im Großen und Ganzen hat es sich mittlerweile selbst bei den größten Chauvinistinnen und Chauvinisten unter unseren Politikerinnen und Politikern eingebürgert, von Bürgerinnen und Bürgern zu reden, wenn sie ihr Stimmvieh meinen. Deshalb halte ich es nun für an der Zeit, auch der sprachlichen Herabwürdigung von Männern beherzt entgegenzutreten.
Substantive ohne mitgenannte Männer
So kann es für einen Mann schon sehr verletzend sein, wenn er von einem Hotelportier mit der Frage „Eine Person?“ seiner Männlichkeit beraubt und verbal dem weiblichen Geschlecht zugeordnet wird. Auch die in Stellenanzeigen verlautbarten Suchen nach einer Bürokraft, einer Fachkraft oder einer Sprechstundenhilfe wirken nicht allein dadurch weniger diskriminierend, dass ihnen ein verschämtes und eingeklammertes „m/w“ nachgestellt wird.
Selbst vom Grunde her wohlmeinende Verlautbarungen können durch ungeschickte und sexistische Formulierungen für die Betroffenen zu einer Belastung werden. So ist es in den meisten Fällen wahrscheinlich gar nicht böse gemeint, wenn Redner oder Journalisten einen Mann als eine Autorität, als eine herausragende Persönlichkeit oder gar als eine Koryphäe auf seinem Fachgebiet bezeichnen. Doch gibt ihnen der gute Wille tatsächlich das Recht, dem so Geehrten verbal die Eier abzureißen?
Noch dramatischer wird die Situation, wenn Menschen beiderlei Geschlechts zu mehr oder minder großen Gruppen zusammengefasst werden. Egal, wie viele Männer oder Frauen sich unter ihnen befinden, das Ergebnis ist in aller Regel weiblich. Sachverständige mutieren zu einer Jury, Unternehmer zu einer Firmenleitung und Minister zu einer Regierung, selbst wenn die einzelnen Glieder dieser Regierung durchweg männlich sind. Gleiches gilt für die Studentenschaft, die Belegschaft, die Lehrerschaft, die Beamtenschaft und – Gipfel der Paradoxie – sogar für die Mannschaft und die Bruderschaft.
Bei den Streitkräften, der angeblich männlichsten aller Institutionen (obzwar es „die Streitkraft“ heißt), finden wir die Merkwürdigkeit, dass bei der Kommentierung erfolgreicher Feldzüge im Kosovo oder Afghanistan eher selten von Soldatinnen und Soldaten gesprochen wird. Natürlich gibt es sie, die Frauen, die dort in Uniform deutsche Wirtschaftsinteressen verteidigen. Aber anscheinend erfreuen sie sich in der Journaille ähnlich geringer Wertschätzung wie die oben erwähnten Verbrecherinnen und Terroristinnen. Andererseits ist fast jeder militärische Verband vom Grunde her weiblich, sei es die Kompanie, die Division, die Brigade oder die Armee. Lediglich der Zug darf männlich sein. Doch der ist mit etwa fünfzig Soldaten, die von einem Hauptfeldwebel angeführt werden, beim Krieg-Spielen eine vergleichsweise unbedeutende Einheit.
Die Mehrzahl ohne Männer
Schließlich haben wir noch eine schier unendliche Zahl weiblicher Sammelbegriffe, die Männern erbarmungslos übergestülpt werden. Das beginnt bei der Minderheit, steigert sich zur Christenheit und kulminiert in der Gesamtheit aller Menschen, also der Menschheit.
Doch selbst, wenn es gelingen sollte, feminine Endungen wie -schaft, -heit oder -keit im Kontext mit maskulinen Chromosomen zu vermeiden, bleibt das Grundproblem, dass die deutsche Sprache nur einen Pluralartikel kennt, und zwar „die“. Alles, aber auch wirklich alles, wird somit automatisch weiblich, wenn es in einer Anzahl auftritt, die größer ist als eins. Ein typisch deutsches Problem, denn im Englischen gibt es bekanntlich nur den einen Artikel „the“, der Genus, Numerus und Kasus des jeweiligen Substantives völlig offen lässt. Die Franzosen dagegen unterscheiden im Singular sehr wohl zwischen männlich und weiblich, was nachvollziehbar ist und die Verständlichkeit verbessert. Im Plural dagegen verwenden sie das geschlechtsneutrale „les“ und ersparen sich damit überflüssige Diskussionen über tatsächliche oder vermeintliche Diskriminierungen.
Was können wir also tun, um der linguistischen Kastration deutscher Männer entgegenzuwirken und eine wirklich geschlechtergerechte Sprache zu entwickeln? Die radikalste Lösung wäre zweifelsohne ein Verzicht auf das Genus von Substantiven. Entweder vollständig wie im Englischen oder zumindest beim Plural-Artikel wie im Französischen. Nach den Erfahrungen mit anderen gescheiterten Rechtschreibreformen erscheint es allerdings fraglich, ob eine derartige Umstellung von der Mehrheit der Bevölkerung mitgetragen würde und letztendlich durchzusetzen wäre.
Die Zukunft: Erbsenzählerinnen und Krümelkacker
Als Schlupfloch aus diesem Dilemma könnte sich die gezielte Verwendung männlicher Begriffe auch im Plural anbieten oder aber eine geschlechtsneutrale Umschreibung, ähnlich wie sie im Singular von Feministinnen und Feministen seit Jahren erfolgreich praktiziert wird. Aus der (weiblichen) Gesamtheit würde dann das (sächliche) Ganze. Aus der (weiblichen) Beamtenschaft der (männliche) Beamtenapparat, aus der (weiblichen) Christenheit das (sächliche) Christenvolk und aus der (weiblichen) Lehrerschaft der (männliche) Lehrkörper oder das (sächliche) Kollegium.
An diesen wenigen Beispielen zeigt sich aber bereits, dass der angedachte Weg hart und steinig wäre und niemand vorhersagen kann, wo er enden würde. In einem emanzipierten Sprachgebrauch, im linguistischen Chaos oder in einer Diktatur der Krümelkacker und Erbsenzählerinnen. Vielleicht sollten wir deshalb einfach Manns genug sein, um das Fehlen eines männlichen Plurals in der deutschen Sprache und die anderen aufgezeigten Ungenauigkeiten mit Gelassenheit und Würde zu ertragen. Eben wie ein Mann.
(Gastkommentar von Gerhard Goldmann)
Kann man nicht oft genug posten: http://www.belleslettres.eu/content/deklination/genus-gendersprech.php