Alexander Wiechec
Die Achtsamkeit im Sprechen kann sich auf zwei Felder beziehen: auf das Worüber, also auf die Welt der Dinge und Zusammenhänge, über die ich rede, daß ich sie gründlich wahrnehme und bedenke, und auf das Womit, auf die Sprache selbst. Das wird oft übersehen, ähnlich wie das Denken als Tätigkeit meist übersehen wird. Man benutzt es zwar beim Austausch von Gedanken, bemerkt es aber nicht als eigene Tatsache. Oder so, wie wir oftmals von der Außenwelt in Beschlag genommen werden und uns selbst und unsere Bedürfnisse übersehen. Das was uns am nächsten ist, übersehen wir leicht. So auch oftmals die Sprache, die wir benutzen. So wie wir uns selbst oft und immer mehr als Maschinen behandelt, die eine geforderte Funktion auszuführen haben, so wie wir die Natur als einen Bestand auffassen, der die geforderten Rohstoffe herauszugeben hat, so behandeln wir mehr und mehr auch die Sprache.
Sie wird zum Bestand, zum Material, welches keine Achtung verdient, sondern mit dem man in jeder beliebigen Weise umspringen kann – achtlos. Diese fehlende Aufmerksamkeit für die Sprache hat inzwischen zu regelrechten Verwüstungen geführt und soll deshalb hier besondere Beachtung bekommen. Auch die Sprache ist ein Organismus, ähnlich wie der Mensch, ähnlich wie die Natur, welcher achtsam und pfleglich behandelt werden sollte.
Und so wie es zum Beispiel auf der „Corona-Ebene“ und auch sonst viel Pseudo-Achtsamkeit gibt (man ist auf einmal „achtsam“, wenn man seinem Mitmenschen aus dem Weg geht, oder ihm den leeren Platz neben sich verweigert, ja sogar wenn man andere Menschen denunziert und diffamiert), so gibt es das auch auf dem Gebiet der Sprache. Es herrscht zuweilen ein sehr unachtsamer Gebrauch des Wortes „achtsam“.
Unser Leben in der Sprachumwelt
Auch die Sprache ist eine Umwelt, in der wir leben. Wie unser Körper in der Naturumwelt lebt, so lebt unser Geist in der Sprachumwelt. Und so, wie unser Körper eine gesunde, saubere, schöne und naturgemäße Natur braucht und deren Erzeugnisse zu sich nehmen muß, um selbst gesund und freudig zu sein, so braucht unser Geist auch eine sprachliche Umgebung, die rein und schön und sprachgemäß ist, um sich gut zu entfalten. Das gilt es zu bemerken und endlich den Sprachumweltschutz als notwendige Forderung unserer Zeit zu entdecken und einzuführen.
Was will die Sprache, was fühle ich, was lausche ich in ihr? Das gilt es erneut und vermehrt zu fragen, nicht: was versteht der Computer? Zur neuen Achtsamkeit kann helfen, daß man die Sprache eben nicht mehr nur als ein Material, als einen Rohstoff ansieht, sondern als etwas Lebendiges, wie ein Organismus, wie ein Lebewesen. Denn letztlich kommt unsere ganze Achtlosigkeit von dem, wie wir über die Welt denken: als stofflich, unbelebt, mechanisch. Wenn ich zu einer Sache eine Beziehug, ja eine Liebe habe, und das kann ich nur zu etwas Wesenhaftem, dann gehe ich selbstverständlich achtsam damit um. Dann will ich diesem geliebten Wesen etwas Gutes tun und ihm gerecht werden, und es nicht in Legebatterien zum Beispiel stecken oder sonstwie vernutzen. Ja, wir vernutzen die Welt, und wir vernutzen die Sprache. Wir behandelt den Computer ja auch in gewisser Hinsicht als ein Wesen („der Computer spinnt mal wieder,… er ist abgestürzt,… er will heute nicht,…“) Wer spinnt da? Wer will da? Der Computer kann nicht spinnen und wollen. So redet man über ein Wesen, nicht über Maschinen. Also über das, was eine Maschine ist, reden wir teilweise wesenhaft (weil sie Wesenhaftes so geschickt nachahmt) und über das was wesenhaft ist, vielfach wie über Maschinen. Das gilt es wieder umzukehren. Auch das gehört zur achtsamen Sprache, sich diesen ganzen Kontext bewußt zu machen.
Verschmelzung Mensch-Computer verhindert die Achtsamkeit
Bei der Sprachumweltzerstörung kommen mehrere Faktoren in Betracht: die allgemeine Tendenz zur Achtlosigkeit, die aus dem Zeit(un)geist entspringt, gewisse politische Entscheidungen, die zunehmende Digitalisierung, damit Maschinisierung des Sprechens und Kommunizierens und der zunehmende ideologische Zugriff.
Das erstere ist ein Thema für sich, das teilweise aus dem ansonsten in diesem Text Gesagten verständlich wird. Die politischen Entscheidungen haben eine gewisse Schnittmenge mit dem Thema Ideologie und werden daher mit ihm zusammen behandelt.
Die Technisierung beziehungsweise Digitalisierung der Sprache hat mehrere Aspekte. Zum einen eröffnet das digitale Medium einen gewissen Leerraum, wie eine Parallelwelt, in der man scheinbar von ansonsten geltenden Regeln befreit ist. Man kann das auf moralischem Gebiet beobachten, wie im „Off“ des digitalen Mediums Grenzen fallen, die in der analogen Anwendung Gültigkeit hätten.
Ein Ähnliches geschieht auch mit der Sprache. „Ach, ich schreib alles klein bei SMS“, kann man da hören. Auch bei „E-Mails“ scheint man erheblich nachlässiger zu sein, als man es früher auf dem Papier war. In diesem „Sonderraum“, der zu einer problematischen „Freiheit von…“ einlädt, orientiert man sich mehr und mehr an der Einstellung „der Computer versteht’s ja“. Also eine Instanz, die fühllos und sprachlos ist, die nur rechnen kann nach Maßgabe dessen, was in sie einprogrammiert wurde, die also weit unter dem seelisch-geistigen Sprachwesen liegt – eben weil sie nur rechnen kann und eine Maschine ist – wird mehr und mehr zum Maßstab der Sprachverwendung gemacht, oder bekommt jedenfalls einen großen Einfluß. Sowas wandert in unsere Beziehung zur Sprache, ins eigene Sprachgefühl unbewußt mit ein. Da werden Worte aneinandergeklatscht, ü,ö und ä durch ue, oe und ae ersetzt und allerlei Wortungetüme errichtet, aber: der Computer verstehts ja. Also das fühlende, achtsame Menschenherz hat sozusagen ausgedient als Richtgröße für die Sprachkompetenz.
Das ist eine der vielen Stellen, an denen wir alle, freiwillig, die Verschmelzung des Menschen mit der Maschine seit einigen Jahrzehnten vorbereiten: durch die Aufnahme des Computerwesens in unser Sprechen, unser Sprachgefühl (einer der Gründe, aus denen ich, als Sprachliebhaber, kein Internet benutze.) Natürlich auch und zunächst durch die Aufnahme der Computertechnik in unsere Leben insgesamt. In gewisser Hinsicht haben wir dadurch die Entwicklungslinie bis hin zur möglichen Verchippung und Totalkontkrolle selbst eingeführt durch unser Tun und Mittun
Recht – Schreibung artet aus in Verschlimmbesserungen
Ein naheliegender Schritt zur achtsamen Sprachverwendung ist natürlich, wieder mehr auf die Rechtschreibung zu achten, aber nicht wie ein „braver Schüler“, der lästige Regeln befolgt, sondern wie einer, der etwas liebt und es pfleglich und achtsam behandeln will.
Auch die überhand nehmenden Anglizismen sind an dieser Stelle zu nennen. Ebenso Abkürzungen. Haben die Worte nicht verdient, vollständig geschrieben zu werden und nicht dem Diktum des praktisch-technischen Vorgehens unterworfen zu werden? Ohne natürlich ein Dogma daraus zu machen.
Auch die Sprache hat ihre Würde und wenn man etwas Würde zuteil werden läßt, so fällt es auch auf einen selbst zurück, wenn man etwas Achtsamkeit zuteil werden läßt, so fällt es auf einen selbst zurück – und umgekehrt auch wenn man das nicht tut.
An politischen Entscheidungen gab es zum Beispiel vor gut zwanzig Jahren die Rechtschreibreform. Sie wirkte teilweise wie eine „offizielle Legitimation“ für allerlei andere Verschlimmbesserungen und Veränderungen, die in den letzten Jahrzehnten stattgefunden haben. Das liegt einerseits daran, daß in einem gewachsenen Organismus der Sprache und des mit ihm verbundenen Sprachgefühls, Verwurzeltseins, eine Verunsicherung bewirkt wurde. Auf einmal wußte man nicht mehr genau: Wie schreibt man das jetzt? Das ist so ähnlich, wie wenn man die Haut aufkratzt und dann Keime von außen hereinkommen können und der Körper dadurch ein bißchen krank gemacht wird. Zum anderen entstammten die Rechtschreibveränderungen keinem guten Sprachempfinden. Das hätte man bemerkt, wenn sie das getan hätten. Also sie verletzten und irritierten auch von ihrer Beschaffenheit her das Sprachgefühl. Auch deshalb, weil man keinen Gewinn, keine Erleichterung darin erkennen kann, sie aber als Gewinn und Erleichterung dargestellt wurden (zum Beispiel für das Deutschlernen von Ausländern).
So ist, nur als eines von vielen Beispielen, das „dass“vom das weniger leicht zu unterscheiden, als das frühere daß. Das führt zu viel häufigerer Verwechselung, als das früher der Fall war. Das daß war wirklich ein anderes Wort, vom Gefühl her, man hatte zu ihm eine andere Beziehung, das dass ist nur, na ja, wie ein das mit Anhängsel und das wird dann als weniger wichtig, als weniger markant und einprägsam erlebt, und dann verwechselt man es eben leichter.
Auch viele Worte, die jetzt auf einmal auseinandergeschrieben werden sollen, die aber strenggenommen durch das Auseinanderschreiben eine ganz andere Bedeutung bekommen haben. „Wie wird es dir wohl ergehen“ und „wie wird es dir wohlergehen“, sind zwei völlig verschiedene Aussagen, um nur eines von vielen Beispielen zu nennen. Durch das Zusammenschreiben solcher Worte wurde früher die Differenzierung der zwei Bedeutungen ermöglicht, heute nicht mehr. Überall also nagt seit circa 25 Jahren der Zahn der Verunsicherung und Verunklärung in unserem Sprachgebrauch.
Dem zunehmenden technoiden Gepräge unseres Lebens und unserer Umwelt entspricht dann auf der sprachlichen Ebene zum Beispiel die Einführung von sprachfremden Zeichen, wie dem Stern, dem großen I mitten im Wort, oder anderem. Es mag zwar inzwischen „von gestern“ klingen, aber Großbuchstabe stehen im Deutschen am Anfang eines Hauptwortes. Alles andere ist sprachlicher Unfug – auch wenn wir uns inzwischen an ihn gewöhnt haben.
Politisch korrektes Sprechen fördert das Genderdenken
Und als „Krönung“ dieser Entwicklung bekommen wir nun mehr und mehr, penetranter und penetranter, durch die „Korrektheits“-Vorgaben vorgeschrieben, welche Worte und Neu-Wort-Konstrukte wir benutzen sollen und welche nicht, bis hin in Sprachvorgaben für Rathäuser, Schulen und Universitäten, Medien und so weiter. Das ist einer der vielen Maulkörbe, nur einer, die uns, meist im Gewande des Guten und moralisch Hochwertigen, verpaßt werden und die in der „Mund-Nasenbedeckung“ gewissermaßen ihren sichtbaren Ausdruck erhalten hatten. Wie ein Virus breiten sich derzeit diese Sprachvorgaben aus. Dies, wie gesagt, ist eine Parallelentwicklung zu anderen Kontroll- und Entmündigungsentwicklungen auf anderen Gebieten der Kultur, die wir teilweise sehr schmerzhaft bemerken. Das gehört alles zusammen, ist eines „Geistes Kind“. Kontrolle, Vorschrift, Technisierung, Entmündigung, das ist eine große Tendenz der Hauptströmung unserer Kultur seit längerem. “.
Geschlechtergerechtigkeit: Unerreichbares Ziel des Genderns
Es wird zum Beispiel bei vielen Veränderungen der letzten Jahre mit „Geschlechtergerechtigkeit“ geworben. Das heißt dann konkret, daß der Sprache unterstellt wird, daß der Mensch, der Schüler und andere Worte im Maskulinum, sich mehr auf Männer bezögen als auf Frauen. Man übersieht dabei, daß hier eine Ebenenverwechselung stattfindet. Man vermischt die sprachlich-grammatikalische Ebene mit der biologischen. Man redet doch auch bei einem Mann davon, er sei eine Person, oder eine starke Persönlichkeit (Femininum), oder ein Junge kann eine Waise sein und hinterher dann ein Schüler.
Wenn zwei männliche Polizisten mich kontrollieren, so kann man sagen: Die Polizei hat mich kontrolliert. In einem alten Lied wird von „meinem Buhlen, die mir das Liebste war“ gesungen, also der Buhle meinte in dieser Zeit offenbar auch die Geliebte. Und auch Brüder sind Geschwister und vieles andere mehr, welches darauf hindeutet, daß die sprachliche Ebene von der biologischen verschieden ist und daß man sie nicht in eins werfen darf. Wenn man das tut, ist man nicht achtsam. Man beruft sich zum Beispiel auf „Geschlechtergerechtigkeit“, begeht dabei aber eine „Sprachungerechtigkeit“, eine Sprach-Fühllosigkeit, eine Sprach-Achtlosigkeit. Die Sprache wird nicht geschlechtergerecht gemacht, sie wird künstlich sexualisiert! In einer Weise, wie ihr das gar nicht entspricht.
Zur fehlenden Achtsamkeit bei der auf das Geschlecht bezogenen Korrektheitssprache ist zum Beispiel auch, daß sie nicht konsequent durchführbar ist. Das ist aber die Meßlatte, an der sich eine stichhaltige Sprachregel messen muß.
So lese ich in der selben Zeitschrift von Mitarbeitenden, womit pflichtschuldig das bis vor vielleicht zwei Jahren noch ganz unproblematische Wort Mitarbeiter ersetzt wurde, aber im selben Atemzug wird von Jungforschern (m) geschrieben. Oder eine Bewegung für einen Bürgerrat, bekennt sich mit Überzeugung zur Gendersprache. Aber wenn man die Überzeugung, zu der man sich an der einen Stelle bekennt, erst meint und das sollte möglich sein bei einer sprachgemäßen Sprachveränderung, können mit Jungforschern nur Jungen gemeint und in Bürgerräten nur Männer vertreten sein – ebenso wie durch die oben erwähnten Personen oder Persönlichkeiten (f) nur Frauen angesprochen werden dürften.
Entweder etwas gilt, oder es gilt nicht. Und wenn man sich im einen Satz auf das eine, im anderen auf das andere beruft, so ist das, wie gesagt, achtlos und eine Aushöhlung des Denkens, weil unlogisch.
Der semantische Maulkorb verkünstelt die Wahrnehmung
Es wird den Worten ein Buckel angehängt, der ihnen nicht zukommt – der die Folge einer projizierten Vorstellung ist. Man kann sich dabei freilich auf manch intellektuelle Deutung über die Sprachentwicklung berufen, aber ist das auch das, was sich bei einem unbefangenen Hineinlauschen in die Sprache ergibt? Schaffen wir hier nicht ein Problem, wo es eigentlich keins gibt? Ist es wirklich das, was mir mein Sprachgefühl ergibt? Jedenfalls bis vor kurzem, heute sind wir an die „Sprechmaske“, an den semantischen Maulkorb, bereits vielfach so gewöhnt, daß uns etwas künstlich Eingeführtes bereits wie eine zweite Natur erscheint.
Überall das gleiche Prinzip. Der Bildschirm erscheint uns mehr und mehr als die neue Wirklichkeit. An die Maske hatten wir uns bereits ein Stück weit gewöhnt, auch an das Abstandhalten, das Überwachtwerden mit Video- und anderen Einrichtungen, und in diesem Kanon ist die „Sprachpolizei“ eben nur ein Glied in der Kette. Freie, mündige Menschen können und müssen selbst entscheiden, wie sie reden. Sie sind der Souverän nicht nur der politischen Gestaltung, sondern auch der sprachlichen! Und das eine hängt mit dem anderen zusammen.
Gestaltungsfreiheit adé
Überall werden wir unserer Gestaltungshoheit beraubt – wohl, um besser steuerbar zu werden? Es ist das ganze Grundproblem unserer gegenwärtigen Misere, daß man der Freiheit nicht zutraut, zu guten Gestaltungen zu führen, daß man nicht erkannt hat, daß nur auf dem Weg der Freiheit eine letztlich tragfähige, menschengemäße Ordnung entstehen kann. Das gilt für die Entwicklung der (im gute Sinne) modernen Gesellschaft, der Politik, aber auch der Sprache. Weil man das nicht erkannt hat, meint man man, Ordnungen durch äußeren Zwang und Kontrolle herbeiführen zu müssen. Und das wird uns meist im Gewand des moralisch Überlegenen verkauft – eine große Gefahr. Doch die durch Zwang entstandenen Ordnungen sind die wahren Unordnungen, es sind Ordnungen des Todes, keine des Lebens. Und Sprache muß gesprochen werden können, das ist doch eigentlich klar. Sonst hieße sie auch nicht Sprache, sondern Schreibe. Ein nicht sprechbares Zeichen ist in ihr fehl am Platz und künstlich, ähnlich wir Plastkgegenstände im Wald künstlich wären. Sie sind eines anderen Wesens und gehören nicht in diese Umgebung. Wir verkünstlichen nicht nur die Natur und uns selbst, sondern eben auch unsere Sprachumwelt.
Nichtsprachliche Eingriffe verhindern Entwicklung der Sprache
Und von wem geht das alles aus? Es ist irreführend, hier von einer Entwicklung der Sprache zu sprechen. Das ist kein achtsamer Gebrauch des Wortes „Entwicklung“. Eine Entwicklung entwickelt sich. Entwicklung ist nicht Eingriff. Das ist so ähnlich, wie wenn man die gentechnischen Eingriffe als eine „Entwicklung der Natur“ bezeichnen würde. Nicht die Sprache hat sich hier entwickelt, sondern etwas wurde durch einen äußeren, aus dem nichtsprachlichen Raum kommenden Eingriff verändert.
Ähnlich wie die Politik ja offenbar durch wirtschaftslobbyistischen Eingriff beeinflußt wird, also aus einer Sphäre heraus, die in der Politik eigentlich nichts zu suchen hat. Nun, auch die Gender- und Korrektheitssprache ist überwiegend die Folge eines Lobbyismus. Denn es gibt nicht nur Lobbyismus des Wirtschaftslebens, sondern auch Lobbyismus des Geisteslebens.
Man sollte sich dieses Woher klarmachen, bevor man seine Erzeugnisse benutzt. Sonst macht man sich zu dessen Diener. Auch hier haben wir es mit einem unorganischen, von einer Elite des intellektuell-akademischen Bereichs impulsierten Eingriff zu tun. Und dieser wird eben von der Politik vielfach unterstützt. Es findet hier ein „Sprachengeneering“ statt, geradeso wie wir das im Moment erleben im „Gesellschaftsengeneering“, „Gesundheitsengeneering“ und viele sprechen auch vom „Geoengeneering“. Das ist alles ein Geist, der da zur Anwendung kommt. Und das ist nicht der Geist des Lebens! Leben entwickelt sich!
Das Sprachgefühl öffnet die Seele für das Schöne der Sprache
Zur Achtsamkeit gegenüber der Sprache gehört auch die Dimension des Schönen. Wenn man sie nur auf die Dimension des Nützlichen hin, oder wie eben erwähnt auf die der Ideologie hin verwendet, übersieht man diese Ebene, die ihr ebenfalls zukommt. Sprache ist nicht nur praktisch, nützlich, informativ, Sprache ist auch schön. Sprache ernährt, beglückt erfreut. Sprache ist auch poetisch. Wenn man das ausschließt, ist ein bißchen so, als würde man beim Menschen nur den Knochenbau betrachten und nicht das Fleisch, das er um sich schließt. Auch das Schöne gehört zur „artgerechten“, mithin achtsamen Behandlung der Sprache. Das Schöne wieder fühlen zu lernen, wäre ein Aspekt einer neuen, beseelten, achtsamen Kultur.
Und das Schöne ist auch kein Luxus, in ihm verbirgt sich eine höhere Form des Wahren (und Guten). Es kann also geradezu als ein Wegweiser zu einem tieferen, ganzheitlicher verstandenen Praktischen aufgefaßt werden, einem Praktischen, in dem auch die Seele des Menschen mit berücksichtigt ist. Denn es ist letztlich sehr unpraktisch, sie zu übergehen. Und in dem man durch das Berücksichtigen des Schönen vielleicht auf ganz andere Gestaltungsideen kommt, Gesellschaftsgestaltung, Unterrichtsgestaltung, den Städtebau und bis hin in die Technik. Aber dafür gälte es, überhaupt wieder fühlen zu lernen. Und dann das Fühlen als Gestaltungs- und Erkenntniskraft anzuerkennen, es mit dem Denken in Harmonie zu bringen. Klar denken, lebendig fühlen, beherzt wollen.
Das Fühlen, welches dem Spüren und Wahrnehmen verwandt ist und das in unserer technischen, aufs Funktionieren angelegten Kultur meist unter den Tisch fällt, ist der Dreh- und Angelpunkt einer neuen, achtsamen Kultur von freien und frei sprechenden Menschen. Weil man dann die Führung in sich selber trägt – weil man in seinem Fühlen Orientierung findet.
Fühlung ist Führung. Wer nicht fühlt, wird geführt.
Erstveröffentlichung im „Walnußblatt“