von Prof. Dr. Gerhard Amendt
Es ist gerade einmal drei Jahre her, als Volker Beck von den Grünen dem Südwestdeutschen Rundfunk (SWR) in Stuttgart mit dem Staatsanwalt drohte, weil ein Interview ausgestrahlt werden sollte, in dem es nicht nur um Gerold Beckers serielle Sexualverbrechen an Odenwaldschülern und den Minimalismus einer nur sexuell begründeten Identität ging, sondern ebenso um den Hinweis auf Becks rechtspolitisches Versprechen, Pädophile, als die letzten Leidtragenden von Sexualrepression, an den Segnungen der sexuellen Befreiung beteiligen zu wollen. 1988 war das mit dem Ruf identisch, das Schutzalter für Kinder herabzusetzen. Der § 218 zur Abtreibung war 1976 gefallen wie der § 175 zur Homosexualität, deshalb sollte auch der Schutz der Kinder fallen!
Da Volker Beck offensichtlich nicht über die anderen geläufige Intuition verfügt, nach der Sexualverkehr von Erwachsenen mit Kindern auf der Ungleichzeitigkeit von kindlichem und erwachsenen Begehren beruht und nur in Sprachverwirrung enden kann, ließ er sich darüber aufklären, dass das, was als gewaltfreie Sexualität unter den Pädophilie gilt, für Kinder nicht weniger zerstörerisch ist als eindeutig gewalttätige Sexualakte. Deshalb nämlich, weil das Einverständnis der Kinder keines sein kann. Denn es wird durch die Manipulation von pervers-pathologisch Männern herbeigeführt, die das Kind subtil nötigen, dem Erwachsenen „einen Gefallen tun zu wollen“. Nämlich das zu wollen, was der Pädophile will, weil er sich dann als vom Kinde erwählt phantasieren kann. Dem entspricht vor den Gerichten die perverse Idee der Selbstverteidigung, dass es doch das Kind gewesen sei, das den Pädophilen verführt habe und nicht umgekehrt. Dass der SWR der Drohung von Volker Beck entsprach, und sowohl Gerold Becker wie ihn selber aus der Interviewaufzeichnung herausstrich, belegt einen Fall von Zensur.
Der erschreckende Mangel an Empathie für Kinder, der die schwankende Position der Grünen noch immer markiert, lässt sich nicht dadurch beheben, dass die sexualpolitische Vergangenheit der Grünen, wie im Fall von Dany Cohn-Bendit und Volker Beck vom Radar der Öffentlichkeit genommen wird. Was die Grünen mit Leidenschaft Kirchenfunktionären und Trägern von Kinderheimen als Verdunklung von sexuellem Missbrauch zu Recht vorwarfen, das, so will es scheinen, tun sie jetzt selber. Sie wollen zu ihrer Geschichte nicht stehen. Die sexualpolitische Geschichtsverleugnung ereilt die Grünen gerade als Statthalter jener anspruchsvollen Tradition der 68er, die ihre Eltern zum Reden über ihre dunkle Vergangenheit bringen wollen. Wenn auch eine unvergleichlich schrecklichere Geschichte. Jetzt scheitern sie selber an viel Geringerem und machen sich zu willfährigen Handlangern wortgewandter Perverser, die Sexualverbrechen in Kinderglück umdeuten wollen. Die floskelhaften Distanzierungen unter Grünen, die jetzt überall sprießen, muten aber eher als ein Äquivalent der Verleugnung an denn als innerparteilicher Selbstaufklärung. Es scheint jene mangelhafte Ernsthaftigkeit auf, die lange Zeit die christlichen Kirchen im Umgang mit Kindermissbrauch prägte. Allein schon die fortwährende Latenz der Instrumentalisierung von Kindern für erwachsene Sexualinteressen auf Parteitagsbeschlüsse eindampfen und politologisch klären zu lassen, verfehlt die ausstehende Selbstaufklärung. Denn es geht, und das wird zu Recht am meisten gefürchtet, keineswegs nur um Pädophilie als einer gewaltlos sich geben Gewalttätigkeit, die letztlich die Gesellschaft im Mark trifft. Vielmehr geht es darum, dass die Grünen als Erbe der sexuellen Liberalisierung, der 68er und Frauenbewegung und vor allem des Verdammungsfeminismus zum Sammelbecken der Entgrenzung und Entstrukturierung des Individuums wie des Kulturellen geworden sind. Die Deklaration der Grünen Nachwuchsorganisation bestätigen diese Kontinuität. Das offen und jenseits der Maulsperre von Political Correctness als Erbe von „68“ zu durchleuchten, könnte das lernfähige Milieu der Grünen allerdings der Partei entfremden. Denn was mit der Pädophiliedebatte symbolisch losgetreten wurde, ist im Kern die Grundsatzfrage, wie viel Grenzenlosigkeit eine Gesellschaft verträgt. Und ob Vielfalt nicht ständig mit Beliebigkeit und Willkür verwechselt wird. Denn Beliebigkeit kennt nun einmal keine Rückbindung an Normen und Traditionen und der Willkür entspricht die Rücksichtslosigkeit gegen alles andere. So wird Beliebigkeit zur neuen Norm erhoben und Willkür wird zum Programm. Das läuft bei den Grünen sowohl in der Sexualpolitik wie der Geschlechter- und Familiendebatte aus dem Ruder. Zwar dünkt manchen noch immer als Fortschritt, dass sich alles beseitigen lässt, was einem nicht in den Kram passt. Brisant und hoch symbolisch kulminiert diese Tendenz in der Pädophilieförderung. Sie markiert die Aufhebung der Generationengrenzen durch Kindesmissbrauch. Die Pädophiliedebatte eröffnet den Blick auf die Beliebigkeit und Willkür, die ohne Begründungen auszukommen glaubt. Aber: Willst du es, dann nimm es dir hat seine materillen Grundlagen verloren. Die Ökonomie lehrt das vielen mit aller Unbarmherzigkeit. Die fortwährende kulturelle wie sexualpolitische Grenzenlosigkeit der Grünen wirkt deshalb immer krasser als Politik mit der Abrissbirne. Für Technologie und Natur streiten die Grünen leidenschaftlich. Die exakte Abschätzung von Abträglichkeit für kommende Generationen ist ihnen heilig. Im Gegensatz dazu liefern sie die Fragen nach der Entgrenzung des Subjekts, der Kultur und von Werten jenem Raubbau aus, den sie der Natur niemals antun möchten. So scheinen Spinnen und ihre Gewebe schutzbedürftiger als das tradierte Gewebe, das Menschen innerlich und äußerlich zusammenhält. Das beschreibt das Wesen von repressiver Toleranz und destruktiver Entsublimierung. Das ist der unterschlagene Teil des alt-68er Spektrums, der den Grünen in ihrer Sexual – und Geschlechterpolitik heute zum Problem wird.
Die Verharmlosung der Pädophilie wird die gesamte linksliberale Öffentlichkeit allerdings über ihre eigenen Verblendungen nachdenken lassen müssen. Und keineswegs nur über das, was in der Grünenpartei geschieht. Während andere Schichten sich schon lange nicht mehr vom gruselig Beliebigen faszinieren lassen, so sollten wir uns an Folgendes erinnern. Es war das das links-liberale Milieu, dessen Augen auch dann noch glänzten und Ohren noch glühten, als an der Odenwaldschule der Reformpädagoge Gerold Becker ihre Kinder bereits seriell seinem verbrecherischen Tun über Jahre hinaus unterwarf. Nur wollten die Eltern das nicht merken, weil der Blick auf das Zerstörerische – hinter dem narzisstischen Charisma – sie aus der angenehm wärmenden Sonne der Reformpädagogik hinaus katapultiert hätte. Die Eitelkeit mit der die Elite des Landes im ausgewählten Kreis einer odenwäldlerischen Reformpädagogik erregt verkehrte, ließ sie die Not ihrer eignen Kinder übersehen. Selbst als diese ihrem Leben aus Verzweiflung ein Ende setzten. Nur die Eltern wollten nicht erwachen.
Nicht viel Anderes geschah in Österreich mit der Mühl-Kommune. Auf der Suche nach sexueller Selbstbefreiung lieferten Eltern ihre kleinen Söhne und Töchter dem absolutistisch-dominierenden Otto und Claudia Mühl für das Jus primae Noctis, den ersten Sexualverkehr, voller Stolz aus. Narzisstisch geschmeichelt über die Auserwähltheit ihrer Kinder, wollten sie den Widerspruch nicht erkennen, dass sie zwar prinzipiell gegen Gewalt sind, aber gleichzeitig ihre Kinder den Mühls zur Vergewaltigung überließen. Und sie schwiegen auch noch als Otto Mühl wegen Vergewaltigung, Beischlaf mit Unmündigen für mehrere Jahre ins Gefängnis wanderte und seine Ehefrau, versehen mit dem üblichen Richterrabatt für Frauen, für die gleichen Verbrechen an Jungen mit einem Jahr Gefängnis davon kam. Und es gehört zu den Höhepunkten der Geschicht des Wiener Burgtheaters, dass sein damaliger Chef, Klaus Peymann, Otto Mühl anlässlich seiner Entlassung aus dem Gefängnis als verlorenen Sohn der Aufklärung willkommen hieß. Die Eltern des linksliberalen und kulturalternativen Milieus zerstörten die Glücks- und Lebensfähigkeit ihrer Kinder in der Mühl Kommune. Diesen Seelenmord beschreibt Paul-Julien Robert 2013 in berührender Weise in dem Film: Meine Keine Familie die Auswirkungen. Er zeichnet das Leiden nach, das im Sog der Grenzüberschreitungen verwahrloster Eltern entstanden ist.
Es ist Teil der 68er Geschichte, dass die eigenen Erfahrung elterlicher Rigidität letztlich durch Grenzenlosigkeit ersetzt und als Befreiung der eigenen Kinder missverstanden wurden. So hieß es, dass Kinder beim sexuellen Akt der Eltern nicht nur zuschauen sollten, sondern mitmachen dürfen, denn sonst würden sie sich ausgeschlossen fühlen. 25 Jahre später hat die Rot-Grüne Koalition diese Empfehlung mit Leben beseelt und eine Aufklärungsschrift unter dem Namen Körper, Liebe, Doktorspiele herausgebracht. Eltern, Pädagogen, Lehrern und Erziehern wird verkündet, dass nicht mehr, wie bislang, Sexualaufklärung allein auf das möglichst unbefangene Sprechen über Sexuelles die Aufgabe von Erziehung sei. Kinder sollen selber sexuell handeln dürfen. Deshalb sollen Vater und Mutter ihre Genitalien den Kindern zum Erkunden zugänglich machen. Das entspricht nicht nur dem, was Pädophile sich wünschen und was ihre Apologeten von guter Pädophilie raunen lässt. Es ist die Aufforderung zu inzestuös aufgeladener Gemeinsamkeit. Die Generationengrenze wird dadurch außer Kraft setzt. Möglich war das geworden, weil im Taumel der sexuellen Befreiung untergegangen ist, dass dem kindlichen Körper die Zärtlichkeit gebührt, aber nicht die überwältigende Leidenschaft erwachsener Sexualität. Solche Empfehlungen gab die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ab. Zugleich war es ein Manifest Grüner Sexualpolitik. Das Schutzalter für Kinder war damit abgeschafft. Nach mehr als hunderttausendfacher Auflage hat 2010 das Familienministerium die Broschüren der BZgA schlagartig aus dem Verkehr gezogen. Denn es wurde erstmals offensichtlich, dass die gängige Politik der Beliebigkeit und Grenzenlosigkeit ein Ende finden muss. Diese Diskussion wird die kommenden Jahren beherrschen. Die Grünen werden mehr als alle andere sich als freiwillige wie unfreiwillige Sachverwalter dieses Kulturverlustes äußern müssen. Alles andere würde zu kurz greifen. Deshalb hilft es auch nicht, wenn die parteinahe Gunda Werner Stiftung alle Kritik ins rechts-populäre Lager abzuschieben versucht.
Juni 2013