… von Bernhard Lassahn!
Nur ganz kurz! Ich bitte um Aufmerksamkeit für eine Textprobe, wie man sie nicht so gerne liest: ein Beispiel von Politikersprache in der bekannten Mischung aus Juristendeutsch und Werbelüge. Ich habe das kleine Zitat aus dem Internet gefischt, von einer Seite der Regierung, auf der das neue Gleichbehandlungsgesetz erklärt wird und wo es darum geht, dass Teilzeitbeschäftigte unter bestimmten Bedingungen benachteiligt sein können – da heißt es: „Sind in einem Betrieb Teilzeitbeschäftigte ganz mehrheitlich Frauen, liegt eine mittelbare geschlechtsbezogene Benachteiligung vor.“
Da hat es mich schon gejuckt. Es soll ja eine Erläuterung des allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes AGG sein, da habe ich sofort versucht, das Gleichheitszeichen, wie ich es noch aus der Schule kenne, anzuwenden: 1+1 = 2. Dann gilt aber auch: 2 = 1+1. Spaßeshalber habe ich sofort die Gegenprobe gemacht, um zu sehen, ob Männer und Frauen tatsächlich gleich behandelt werden: „Sind in einem Betrieb Teilzeitbeschäftigte ganz mehrheitlich Männer, liegt eine mittelbare geschlechtsbezogene Benachteiligung vor.“ Wie klingt das? Logisch, oder? Klingt aber nicht mehr nach Gleichbehandlungsgesetz. Dann kann man auch gleich sagen: Das Gesetz gilt für Frauen; eine geschlechtsbezogene Benachteiligung liegt immer dann vor, wenn man die Situation der Männer ignoriert.
Da war nämlich eine verräterische Kleinigkeit, die man womöglich überlesen und als ungeschickte Formulierung weggesteckt hat, weil man schon Schlimmeres gewohnt ist. Da war eine neue Gewürzmischung, in der sich das ganze Dilemma offenbart – und die einen üblen Nachgeschmack hinterlässt. Ich meine die exquisite Kombination: „ganz mehrheitlich“.
Ja, was denn nun? Mehrheitlich oder ganz? Liegt etwa schon eine Benachteilung vor, wenn „mehrheitlich“ (ab 50% Anteil aufwärts) Frauen dieser unglücklichen Gruppe angehören oder nur dann, wenn es ausschließlich Frauen sind? Wie steht es denn mit den Männern, die sich da geschickt unter die Opfer gemogelt haben? Die wären zwar nur in einer Minderheit, aber für sie wäre es genau derselbe Nachteil. Doch der wäre dann nicht mehr „geschlechtsbezogen“ und fiele nicht in den Geltungsbereich des AGGs. Oder?
Manchmal gilt es ja schon als Benachteiligung, wenn man überhaupt einer Minderheit angehört und somit unterrepräsentiert ist und von der Mehrheit untergebuttert wird. Insofern wären die Männer doppelt benachteiligt, weil sie erstens in einer Verlierermannschaft und zweitens in einer Minderheit sind. In diesem Fall gleicht es sich aber wieder aus und dreht sich um (Minus mal Minus = Plus): Die Männer können also von Glück reden, und es als eines der Privilegien des Patriarchats ansehen, dass nur so wenige von ihnen unter denen sind, die wieder mal eine Niete gezogen haben.
Ich sehe das so: Das Gleichbehandlungsgesetzt mit dieser neu kreierten „geschlechtsbezogenen“ Benachteiligung funktioniert nur „ganz“ und nicht „mehrheitlich“ – und eigentlich funktioniert es gar nicht. Um das zu tarnen, wurde über die Bruchstelle ein Pflaster geklebt mit der Aufschrift „ganz mehrheitlich“.
Doch hier prallen Welten aufeinander: „mehrheitlich“ ist demokratisch, „ganz“ ist totalitär. Mehrheiten sind beweglich und sind Ausdruck einer Veränderung, die von unten kommt. Falls es zufällig in irgendeiner Menge mal einen 100%tigen Anteil von Frauen oder Männern geben sollte – wie mit diesem „ganz“ gemeint -, dann ist das nur ein Sonderfall der Mehrheitsbildung, wie etwa auch das Patt einer 50/50 Verteilung. Beides kann sich wieder ändern.
Der Befund „mehrheitlich“ kommt aus der Bestandsaufnahme der Realität. Das kleine Wörtchen „ganz“ dagegen kommt von oben, es verabsolutiert und erlaubt keine Veränderung; es ist dezisionistisch und kommt aus den Köpfen von intoleranten Ideologinnen, die nicht mehr differenzieren. Entweder oder. Auch wenn manche Männer glauben, sie hätten doch schon reichlich weibliche Anteile, und die Frauen hätten neuerdings sowieso die Hosen an – wir müssen uns, wenn es um Statistik zu Frauenfragen geht – und damit werden nun mal die politisch korrekten Kartenhäuser gebaut -, immer eindeutig entscheiden: Bei „Sex“ wird nicht etwa JA oder NEIN angekreuzt, sondern F oder M. Man kann nicht noch mal umbestellen.
Die kleine Formulierung verpetzt es: Hier wird mit der Prämisse – Frauen sind benachteiligt – der Wirklichkeit Gewalt angetan. Es erinnert an den Notar, der vorschlägt, im Keller eine neue Mauer zu ziehen, weil das für ihn viel günstiger ist, als die Teilungserklärung wieder zu ändern, die zwar auf einem Fehler beruht, die er aber nun schon mal so ins Grundbuch eingetragen hat. Es ist der Versuch, fundamentalistische Strukturen auf ein sich selbst regulierendes, freiheitliches System anzuwenden.
Deshalb bin ich nicht nur mehrheitlich gegen dieses Gesetz, sondern ganz.