Freud, Gender und die Massenpsychologie der Gleichheit

von Dr. habil. Wulf Krause

Zweite überarbeitete und erweiterte Buchbesprechung von  Hans Sachs: Freud und der Genderplan, agenda Verlag: Münster 2017

Hans Sachs ist Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe und Psychotherapeut. Er wird wissen, wovon gesprochen wird, wenn über Sexualität und Gender gesprochen wird.

Worum geht es bei Gender?

Es geht darum, sagt er, „unsere Idee von Familie nachhaltig zu verändern“. „Das Gender-Mainstreaming als Umerziehungsprogramm von Ehe und Familie zielt auf die innere, oft unbewussten Werte des Zusammenlebens in unserer Gesellschaft in einer Form, die als tiefster kulturrevolutionärer Eingriff der Menschheitsgeschichte beschrieben werden kann.“ (S. 12)

Was geschieht hier?

Hans Sachs stellt fest: „Man muss den Menschen bestimmte Ziele vorgeben, nach denen sie streben sollen. Eine nicht geführte Masse ist unfähig, ihre eigenen Bedürfnisse durchzusetzen und zu leben. Sie braucht Leitbilder und Führungspersönlichkeiten, die diese Bedürfnisse formulieren.“ (S. 9)

Wie geschieht das?

Durch „Propaganda“: „Das geschieht, indem ohne Angabe von Beweisen und ohne zu begründen, behauptet wird, eine bestimmte Lebensart etwa hätte eine vorhersehbare Wirkung.“  (S. 9)

Gender-Mainstreaming, behauptet er, sei eine solche Propaganda.

Welche Wirkung soll sich einstellen, wenn die Masse ihr Leben nach Maßgabe solcher Propaganda einrichtet? Wie lautet das propagandistische Versprechen des Gender-Mainstreaming?

Schaffen wir eine Gesellschaft, „in der das Lustprinzip anstelle des Realitätsprinzips Staatsraison sein soll“ (S. 22). Sexuelle Befreiung ermögliche ein freies Leben aller in einer befreiten Gesellschaft, in der alle gleich sind.

Was ist dazu nötig?

Eine „Frühsexualisierung der Vorschul- und der Schulkinder“ und die Zerstörung der herkömmlichen Familie! Denn, so glaubt er, der revolutionäre Kern des Gender-Mainstreaming sei die Auffassung, „Familie sei der Ursprung des totalitären Charakters” und dieser habe den II. Weltkrieg und den Holocaust ermöglicht. Dies, und das ist die Kernthese von Hans Sachs, sei der Kern des Freudomarxismus der Frankfurter Schule, in der die durch Freud inspirierte Sexualtheorie Wilhelm Reichs mit einer marxistischen Gesellschafts- und Revolutionstheorie verbunden, „zum Umsturz der bestehenden Gesellschaft führen soll“ (S. 20).    „Wie die ganze Bewegung des Genderweltbildes mit der Gesetzmäßigkeit eines Massenverhaltens durchgesetzt wird. Das habe schon Le Bon beschrieben“ (S. 16) und von Le Bons „Massenpsycho­logie“ ausgehend, in der Theorie und Praxis der „Public Relations“ durch Edward Bernay weiterentwickelt worden.

Dem will er entschieden entgegen treten.

Dieser Umsturz solle, „sehr kurz gesagt“, über eine völlig neue Sexualität erreicht werden. „Sexualerziehung, früh im kindlichen Leben angewendet, wirke emanzipatorisch und politisch bildend. Lebe deine Triebe aus und trage so zur Bildung einer herrschaftsfreien Gesellschaft bei; das ist eine von Reichs Thesen, die in die Thesen der Frankfurter Schule einging.“ (S. 20)

Und damit schließe sich, so meint Hans Sachs, ein Kreis: „Die Genderideologie beruft sich auf den Freudomarxismus der Frankfurter Schule“. (Ebenda) Die „hohe Blüte der Gesellschaftstheorie der Frankfurter Schule seien die Endsechziger Jahre“, also die Jahre der antiautoritären Studentenbewegung. Wunderbar! Da haben wir sie wieder – verhaftet sie, die üblichen Verdächtigen: Die „Achtundsechziger“! Wenn es doch so einfach wäre! Horkheimer und Adorno als „Führungspersönlichkeiten“ (Sachs) der Frankfurter Schule standen der Studentenbewegung eher skeptisch gegenüber, Adorno zumal wurde von den Studenten in Frankfurt kritisiert, ja attackiert und gedemütigt, was wohl mit zu seinem frühen Tode im August 1969 führte, wie Detlef Claussen irgendwo in seiner Adorno-Biographie („Adorno. Ein letztes Genie“, Ffm 2003) zeigt. „Die Frankfurter“ waren bekanntlich Juden, die vor den Nazis nach Amerika geflüchtet und noch nicht lange zurückgekehrt waren und nun  wieder in Deutschland lebten.

Herbert Marcuse allerdings, in Berkeley geblieben, bezog sich auf Wilhelm Reich und beeinflusste die Studentenbewegung nachhaltig mit seiner Forderung: „Befreit das Lustprinzip vom Realitätsprinzip“, eine Parole, die als Aufforderung zur „Sexuellen Revolution“ verstanden wurde,  (Wilhelm Reich in „Sexualität im Kulturkampf. Umstrukturierung des Menschen, Sexpol Verlag, Kopenhagen aus dem Jahr 1936). Seitdem ist das Wort zum Begriff für jede Art von sexueller Emanzipation und Veränderung geworden oder was immer dafür herhalten soll, aber ohne Bezug auf Reich.

So glaubt Hans Sachs den entscheidenden Schlag gegen die Gendertheorie zu führen, indem er zeigt, wie die Freudsche Theorie der Sexualität, auf die sich auch Reich in den Dreißigern und Herbert Marcuse Ende der Sechziger noch bezogen hatten, längst widerlegt und ad absurdum geführt worden sei, nämlich durch die „Bindungstheorie“ des britischen Psychiaters John Bowlby. Die Theorie der Sexualität von Freud, das ist ihm ernst, sei unwiederholbar, sie sei endgültig zerstört. In dieser Klarheit hört man das selten.

Dieser Schlag aber geht ins Leere!

Gendertheorie beruft sich nicht auf den „Freudomarxismus“

Die Behauptung von Sachs, die Gendertheorie berufe sich auf den „Freudomarxismus“ der Frankfurter Schule ist völlig unzutreffend. Eine solche Theorie existiert nicht, auch wenn sich in Wikipedia ein großer Artikel unter diesem Stichwort findet.

Und auch die Behauptung, von Volkmar Sigusch über den Einfluss von Reich auf die Studentenbewe­gung stimmt pauschal so nicht:  „Die Studentenbewegung der End-1960er Jahre stürzte sich auf sein [Wilhelm Reichs] Werk – Stichworte: ‚Sexualnot‘, ‚Einbruch der Sexualmoral‘, ‚Sexuelle Revolution‘, ‚Orgasmus‘, ‚Massenpsychologie des Faschischmus‘ –, weil sie meinte, aus ihm auf einen Schlag zu erfahren, wie zwei ihrer Hauptanliegen zu bewerkstelligen wären: die Befreiung aus den Fesseln und Versagungen der bürgerlichen Sexualmoral und der Sturz der verachteten kapitalistisch-imperialistischen Gesellschaft. Die Lektüre der Reich´schen Werke legte den studentischen Revolutionären nahe, dass die Befreiung der Sexualität die verhasste Gesellschaft automatisch zum Einsturz bringen würde.“ (Volkmar Sigusch: Geschichte der Sexualwissenschaft. Frankfurt 2008, S. 73).

Meines Wissens hatte Reich im Umkreis der Kommune I in Westberlin eine intensive Rezeption, wo auch einige Werke als Raubdrucke erschienen. In Frankfurt mag das anders gewesen sein, wo ja vieles anders war, als in Westberlin. An den Universitäten aber wurde Freud rezipiert.

Zwar hat es bis in die siebziger Jahre immer mal wieder wenig verspechende Versuche gegeben, die beiden Theorien, Marxismus und Psychoanalyse, was auch immer damit jeweils gemeint sein mochte, miteinander zu vereinigen, aber diese Projekte sind schließlich aufgegeben worden, weil das nicht gelingen kann. Schon wegen der prinzipiellen Ungleichheit der Phänomene, des Sozialen und des Psychischen. Niklas Luhmann schließt sogar das Psychische als „Psychische Systeme“ ausdrücklich aus der Soziologie, aus. Das liefe auf einen Versuch hinaus, Äpfel mit Birnen zu vereinigen. Und Sexualität, auch die des Kindes, wurde nicht auf der Grundlage vom Wilhelm Reichs Sexualitätstheorie, sondern der von Sigmund Freud zum Gegenstand unserer Überlegungen.

Die Gendertheorie hat hier auch nicht ihren Ursprung. Sie entsteht erst durch die amerikanische Sprachwis­senschaftlerin und Philosophin Judith Butler, die den Begriff Gender in ihrem Buch „Gender Trouble“ verwendete, das im März 1990 erschienen war, also rund zwanzig Jahre nach Marcuses Verkündung der sexuellen Revolution, die sich damals vielleicht noch auf Reich stützte.

Der Begriff „Gender“ wird von Butler eingeführt, um eine klare und eindeutige Begrifflichkeit zu schaffen, gleichgeschlechtliche, wechselgeschlechtliche, geschlechtsüberschreitende und geschlechtsverän­dernde Orientierungen sowie alle anderen seltsamen (engl. queer) Arten sexueller Orientierungen und Praktiken von jener gegengeschlechtlichen, in der Regel auch mit der Möglichkeit von Fortpflanzung einhergehender Sexualität zu unterscheiden und abzugrenzen: damit sie erst gar nicht verwechselt werden können. In diesem Sinne ist es richtig, wenn Hans Sachs feststellt:

Der rote Faden der Gender-Ideologie ist die Trennung von Sex und Fortpflanzung.“ (S. 18)

‚Gender‘ heißt im Englischen zunächst nur Geschlecht. Aber: Unter dem Wort ‚gender‘, das sei hier angemerkt, versteht die englische Sprache lediglich das grammatische Geschlecht, also ob ein Wort feminin, maskulin oder sächlich ist und bezüglich des Menschen, ob er männlich, weiblich oder beides noch nicht, also sächlich ist. So findet sich das im Wildhagen-Héraucourt, Englisch-Deutsches Deutsch-Englisches Wörterbuch. Aber das grammatische Geschlecht ist nicht das biologische Geschlecht.

Der Oxford Dictionary verzeichnet unter dem Stichwort „gender“ über viele Seiten vielfältigste Bedeutungen und ihre sprachliche, pragmatische Verwendung: Gender im Sinne von ‚Genus‘ etc. Das Wort „Sex“ wird von Wildhagen-Héraucourt gar nicht aufgeführt, es ist eine in der vulgären Sprache vorkommende Verkürzung des Wortes „sexuality“, ‚Geschlechtlichkeit‘ adverbial: ‚in geschlechtlicher Hinsicht‘. „Sexy“ aber heißt ‚geschlechtlich interessiert‘, ‚geschlechtlich aufgeregt‘, ‚scharf‘, ‚geil‘, ‚to feel sexy all over‘, heißt so viel wie ‚scharf‘, ‚scharf wie ein Rasiermesser‘ so Wildhagen-Héraucourt. Damit hat ‚gender‘ offenkundig nichts zu tun.

Das deutsche Wort „Geschlecht“ leitet sich vom althochdeutschen gislaht ab und bedeutet, nach jemand geraten, jemandes Art haben, einer sozialen Gruppe mit verschiedenen Graden der Blutsverwandtschaft anzugehören.

Gender in der Version der Sprachwissenschaftlerin Judith Butlers meint dagegen soziale, kulturelle, sprachliche oder irgendwie linguistisch-performativ definierte Geschlech­ter, sprachlich und sozial konstruierte und veränderbare Geschlechtsrollen, die ausdrücklich frei von kausalen biologischen Anbindungen und Rückbindungen an Sex, also Geschlecht und Fortpflanzung sind. Von hier her hat sich das Wort Gender als Begriff über den gesamten Bereich der „Gender studies“ auch unter Vertreterinnen, die eher kritisch zu Butler stehen, wie etwa die Münchener Soziologin Villa und andere.

Butler  verwendet den grammatischen Begriff Geschlecht ontisch. Sie identifiziert realistisch Wort und Wirklichkeit dieses Seienden. Sie verlässt damit an keiner Stelle den Horizont des thomistischen Begriffsrealismus, die „adaequatio intellectus et rei“. Der Realismus behauptet, das Bewusstsein stimme irgendwie mit den Dingen adäquat überein, es bilde ab oder widerspiegele sie angemessen. Entweder weil beide von „göttlicher Natur“, oder säkularisiert, beide von „natürlicher Natur“.

Und jene, auf Jean-Paul Sartre zurückgehende, Bevorzugung der Existenz der Dinge vor der Essenz, des Bewusstseins, einer Variante des metaphysischen Gegensatzes von existierender Natur und essenziellem Geist, stellt den Gegensatz einfach auf den Kopf, vergöttlicht nun nicht mehr das Bewusstsein, wie Thomas von Aquin, sondern sie vergöttlicht nun die Dinge. Nur so, in adäquatio intellectus et rei,  kann der grammatische Genus, engl. ‚gender‘, als reale Sache durchgehen und verstanden werden. Aber das ist offenkundig falsch. Aber von hier aus zieht sich auch dieser Irrtum durch die gesamten Gender studies. In der Linguistik, der Butler ihre Begrifflichkeit entlehnt,  geht es eben gerade um die Erkundung grammatischer und syntaktischer sprachlicher Strukturen und darum, was sie im aussersprachlichen Bereich, also für die Bezeichnung der Dinge, res, bedeuten und bedeuten können, also wofür sie in dem, was die Linguisten  ‚pragma‘ nennen, stehen. Das eine, die linguistische Struktur, ist dabei eben nicht mit dem Aussersprachlichen adäquat übereinstimmend, sondern gerade unterschieden. Und das genau ist das Erkenntnisproblem der Linguistik. Nominalistisch ist diese Unterscheidung. Das Wort ist nicht re, es ist flatus vocis“, ein Wind der Stimme. Solche Unterscheidung ermöglicht Wissenschaft, und das seit dem 13. Jahrhundert beginnend. Aber diesen Irrtum teilt Judith Butler mit der gesamten Tradition der „analytischen Philosophie“ und des „linguistic turn“. Die „Materialität des Zeichens“ ist die einzige Materialität, die sie anerkennt.  Aber jenseits der Zeichen tobt das Leben.  Hier, im Bezirk der  sprachlichen Zeichen, ist die „Welt“, vollständig verschwunden, verloren gegangen – nur noch Zeichen knüpfen sich an Zeichen und bilden syntaktische und grammatische Strukturen.

Aber es kann einfach behauptet werden, Dinge könnten sich ebenso verhalten, wie sprachliche Strukturen; und genau das geschieht.

Der Gewinn: Alle Paraphilien können Gender sein.

Und die Unterscheidung “normal und abweichend“ fällt. Alles ist Gender.

Die entscheidende Unterscheidung ist hier tatsächlich die von „Sex und Gender“.

Nichts ist verboten. Alles ist erlaubt, nur Kinder nicht. Wir müssen weniger werden!

So bezieht sich die Gendertheorie auch nicht auf den „Freudomarxismus“, sondern auf den französischen Strukturalismus und Poststukturalismus Michel Foucaults beziehungsweise auf den Dekonstruktivismus Jacques Derridas. Der erste, Foucault, bezog sich auf den Anthropologen, Ethnologen und Strukturalisten Levy-Strauss und unabhängig davon, auf Nietzsches Metaphysik des Willens zur Macht. Der zweite, Derrida, kam von der Sprachtheorie, von Saussure und Jakobson und ihrer linguistischen Zeichentheorie, sowie philosophisch von der Phänomenologie, von Franz Brentano, Edmund Husserl und Martin Heidegger.

Geschlechterverhältnis als Gewaltverhältnis

Aber gleichwohl hat Hans Sachs nicht unrecht. Die neue unter dem Namen „Feminismus“ entstehende Bewegung in jener Zeit gegen Ende der sechziger Jahre bezog sich vor allem auf Friedrich Engels und auch auf Karl Marx. Die beiden standen, auch vermittelt durch die Frankfurter Schule, mit ihren Theorien eben damals im Zentrum des gesellschaftlichen intellektuellen „Diskurses“ und bestimmten die intellektuelle „öffentliche Meinung“, sie waren „Zeitgeist“. Über die beiden sprach man, über die wusste man Bescheid, auf die bezog man sich als Referenztheoretiker und fühlte sich zugehörig. Etwa Kate Millett mit ihrem Werk „Sexual Politics“ von 1969, in welchem sie behauptet, dass alle gesellschaftlichen Verhältnisse, auch noch die freiheitlichsten, zärtlichsten und liebevollsten, männlich dominiert und repressiv seien, und wendet ihre Wut gegen den mutmaßlich offenbar allgegenwärtigen männlichen Sexismus.

Oder Shulamith Firestone, die in ihrem Werk „Dialectic of Sex“ von 1970 Friedrich Engels kritisiert, weil er den „Klassenwiderspruch von Proletariat und Bourgeoisie“ nur ökonomisch begründet habe, aber nicht im biologischen Grundver­hältnis der genitalen „geschlecht­lichen Arbeitsteilung“ von Mann und Frau, den Koitus als ein Gewaltverhältnis, genitale Penetration als eine Art Körperverletzung, als Vergewaltigung der Frau durch den Mann erkenne wie Firestone es tut, dass die wirkliche Befreiung der Frau ihre Befreiung vom gegengeschlechtlichen Geschlechtsverkehr und endgültig vor allem vom „Gebärzwang“ und der Last der Kinderaufzucht sei.

Die Annahme einer polaren und hierarchischen Differenz von Mann und Frau, wie sie in der Gendertheorie Butlers und in den Genderstudies zentral ist, ist im selben feministischen Intellekt gedacht, um nicht zu sagen zu müssen, im selben Geist. Als Übermacht des Mannes über die Frau. Da unterscheiden sich beide Traditionen nicht, die marxistische nicht von der linguistisch-konstruktivistischen performativen Genderauffassung.

Da finden in Feminismus und Genderismus strukturell dieselben bizarren Positionen, die sich jeder wissenschaftlichen Prüfung entziehen, die aber von ihren Protagonistinnen selbst offenbar traumatisch erfahren und einer tief sitzenden, vielleicht frühkindlichen erfahrenen Angst vor Gegenge­schlecht­lichkeit geprägt sind, und in einer frühkindlich traumatisierten Angst vor Männern und Männlich­sein gründen, welche sie in ihrem erwachsenen Leben zwanghaft wiederholen und auf alles Männliche übertragen.

Das ist offenbar eine Vorstellung, ein Bild von Geschlecht, wie Genderistinnen und Feministinnen sie haben, welche äußerste Schwierigkeiten damit haben, den Geschlechtsdi­morph­is­mus von Mann und Frau,  die Zwei- oder Gegengeschlechtlichkeit, zu verstehen und vor allem zu akzeptie­ren. Dagegen wird versucht, die Gleichgeschlecht­lich­keit als reale Alternative zu setzen! Ihr Selbstverständnis von Sexualität ist homosexuell.

Das „Selbstbild Geschlecht des Feminismus“ ist gleichgeschlechtlich, wie George Devereux in seinem Werk „Angst und Methode“ 1973 bereits analysiert hatte.

Gleichwohl wird dann die Vorstellung von Gleichgeschlechtlichkeit auf das Ganze der Gesellschaft übertragen, dann wird die Geschlechtsauffassung des Feminismus, seine Vorstellung von Geschlecht zur Norm für das Geschlecht aller Menschen erhoben. Es wird ein besonderes, partikulares Geschlecht zum Geschlecht überhaupt.

Seither, wir kennen es, gilt in feministischen Kreisen der Mann als Vergewaltiger, jedenfalls als Gewalttäter, und das „Geschlechterverhältnis gilt ihnen als Gewaltverhältnis“. Frauen seien immer Opfer, Klassenkampf sei Geschlechterkampf der unterdrückten Frauen gegen die überwältigenden unterdrückenden Männer und gegen deren Privilegien, was immer Feministinnen darunter verste­hen. Ehe und Familie seien der Hort solchen Gewaltverhältnisses, und würden von hier auch die Macht des Kapitals aufrecht erhalten, welche nur die ökonomische Spielart des grundlegenden sexuellen Machverhältnisses sei. Durch die Zerstörung von Ehe und Familie aber würden die männlichen und auch kapitalistischen Herrschaftsstrukturen zerschlagen und die genitalen Unterschiede zwischen den Geschlechtern bedeutungslos.

  • Gleichstellung von Männern und Frauen,
  • Gleichstellung der Geschlechter sei nötig,
  • Gleichgeschlechtlichkeit ist politisches Ziel.

Das ist bekanntlich bis heute feministisches Glaubensbekenntnis, und das wird heute zu Politik und allgemeiner Gesetzgebung, also für alle gleich geltend und verbindlich.

Der Begriff des Normalen umdefiniert

Die Rede von Gender setzt das Gleichgeschlechtliche, das „Homo“, als das “Normale” und das “Hetero” als “Unterschiedenes”, gr. ‚hetero‘. Aber das Heterosexuelle wird dabei eben auch als das Anormale, das Abweichende verstanden. Dies zeigt sich auch in zentralen genderistisch-feministischen Begriffen wie “Zwangsheterosexualität” (Butler) und “Heteronormopathie” (Sigusch). Das ist eine Auffassung von Geschlecht, in welcher sich die Dimension der Möglichkeit der Fortpflanzung vollständig entzieht, wie solle es auch anders sein? Fortpflanzung erscheint in diesem Selbstbild Geschlecht als von der “eigentlichen, einen und wahren Homosexualität abweichend” und Fortpflanzung als unnormal anzeigen möchte. Irgendwie klingt das dann so: Kinder kriegen ist pervers. Und es sieht ganz so aus, als wollten die Genderisten-Feministen die Menschheit mit einer “neuen” Struktur und Wirklichkeit von Sexualität”, nämlich der Homosexualität als “Normalform” beglücken und uns alle in einen, von der Möglichkeit der Fortpflanzung “befreiten” (Butler) oder “geheilten” (Sigusch), neuen “Reichtum” polymorpher,(gr. poly, viel, förmiger, gr. morphe), also “vielförmiger, fortpflanzungsfreier, diversifizierter und infertiler Sexualitäten” geleiten, um schließlich in ewiger Glückseligkeit sexueller “Diversity” wirklich zu werden.

Das hat offenbar die Gestalt eines Heilsgeschehens. Das ist im Sinne Jean-Francois Lyotards (Das postmoderne Wissen. Ein Bericht, zuerst 1979, deutsch, Wien 1999) geradezu vormodern.  Das ist eine utopische Vor-Stellung, etwas, wovon man vor jeder einzelnen Beobachtung, jeder Überprüfung und Erfahrung schon ein Bild a priori hat und haben muss. Aus „Weltbild“ heraus in die Welt gebracht, tatsächlich oder performativ verwirklicht.  Die Welt wird dann nach diesem Bild mo­del­liert werden: mittels “revolutionärer Praxis” oder mittels “sozialer Konstruktion” oder „performativer Praktiken“ oder auch mittels Skinners “operative conditioning“ in einer „Skinner-Box“.

Das Ergebnis wird “Geschlechtliche Gleichstellung” sein, allet eens! Allet eene Soße! Wie wir Berliner manchmal sagen. Oder das ist eine gigantische „kulturrevolutionäre Umerziehung“, wie Hans Sachs das richtig nennt.

Da geht es nicht mehr um Wissenschaft, schon gar nicht um Wahrheit. Wissenschaftliche Widerlegungen sind hier müßig und wirkungslos. Da geht es eher zu, wie in dem Song von Benny Benassy aus dem Jahre 2002, den Hans Sachs treffend zitiert:

„No matter, what they tell us,

No matter what they do,

No matter, what they teach us,

What we believe is true.”

Gender – ein  „kulturrevolutionäres Umerziehungsprogramm“

Und dieses Programm wird mittels weltweiter Propaganda verbreitet. Mit viel Geld und mit massiver Unterstützung des großen supranationalen Kapitals und seiner großen Stiftungen und durch selbsternannte souveräne globale Eliten professionell vorangetrie­ben, wie die Rockefeller-Stiftung, der Club of Rome, die verschiedenen Soros-Stiftungen, Oetker-Stiftung, die Bilderberger und was es sonst noch gibt,.

Und hier gibt uns Hans Sachs einen außerordentlich wichtigen Hinweis, dem wir, kurz recherchierend, nachgehen müssen, weil er ein neues Licht wirft auf jene weltweite Kampagne für das „Gender-Mainstreaming“, aber nicht nur darauf. Diese gesamte Strategie der US-Außenpolitik, die ja eine Art Counter Insurgency Politics ist, verdankt sich Edward Bernay (1891 – 1995), eines Neffen Sigmund Freuds.

Der hatte die modernen Werbestrategien erfunden, das Konzept der Produktplazierung, das große Arsenal der psychologischen Tricks zur Manipulation und des klammheimlichen Überrumpelns der Menschen, ihres Hinstubsens, des ‘nudging‘, in die „richtige Richtung“ oder der Beeinflussung der Öffentliche Meinung‘, den „Zeitgeist“, den „öffentlichen Diskurs“ zu machen. Kurz, Bernay hatte in seinem langen Leben das ganze Arsenal der „Geheimen Verführer“ entwickelt, die in Herbert Marcuses „Der Eindimensionale Mensch“ von 1964 eine zentrale Rolle in dessen Kritik der kapitalistischen Konsumgesellschaft spielen. „Geheime Verführer“, psychologische Techniken, welche die Menschen dazu bringen sollen, bei der Produktwahl oder auch der politischen Wahl nicht ihrem Verstand, sondern ihrem Gefühl zu folgen, und zwar ohne dass sie dessen gewahr werden. Edward Bernay ist die Strategie zu verdanken, politische Ziele so zu vermarkten wie auch gewöhnliche Produkte vermarktet werden: Politik wie Seife zu verkaufen oder wie einen neuen Stil in der Herrenmode – das trägt man jetzt. Und das geht weit in die Politik hinein, bis hin zur Destabilisierung missliebiger Regie­run­gen, etwa bei dem Sturz des Präsidenten von Guatemala, Jakobo Árbenz Guzman und dessen Konflikt mit United Fruit, der Gesellschaft der er 1954 bessere Arbeitsbedingungen für die guatemaltekischen Arbeiter abhandeln wollte, wie Herman Ploppa, Politologe und Publizist, ein genauer Kenner und Biograf von Edward Bernay schildert.

„Propaganda“, sagt Bernay bereits 1928 in seinem Hauptwerk mit demselben Titel, „Propaganda“ ist „der exekutive Arm der unsichtbaren Regierung“, mit dem sie ihre Ziele in und mit den Massen unter ihrer Beteiligung und Zustimmung durchsetzen. „Sie ziehen die Fäden, die das öffentliche Bewusstseins steuern und die althergebrachten gesellschaftlichen Kräfte für sich dienstbar machen.“

So beschreibt der Publik-Relations-Manager Edward Bernays die politische Propaganda. Und von dem verstorbenen David Rockefeller erzählt man die folgende Auffassung, die er auf einer Konferenz der supranationalen „Trilateralen Kommission“ vertrat, die einst von David Rockefeller und Zbigniew Brzezinski gegründet worden war.

Rockefeller: „Die supranationale Souveränität von einer intellektuellen Elite und von Weltbankern ist sicherlich der nationalen Selbstbestimmung, die in den vergangenen Jahrhunderten praktiziert wurde, vorzuziehen.“

Das ist wohl heute tatsächlich der Fall. Heute geschieht das vermittels jener, von finanziell hochpotenten Kreisen finanzierten und geförderten „Thinktanks“, wie etwa das von der Rockefeller-Stiftung, aber auch von anderen Organisationen, z.B. dem „Council for Foreign Affairs“ (CFR), die klare Vorstellungen davon haben, wie die Welt nach ihren Wünschen und ihrem Willen modelliert werden soll. Vor allem geschieht das mit Hilfe von gut gesponserten NGOs, also von Non Governmental Oganisations und durch sie stimulierten Bürgerbe­weg­­ungen. AVAAZ heißt heute ein EDV- und Internetgestütztes weltweites Kampagnen-Netzwerk, das, von Rockefeller bis Soros gesponsert, mit Bürgerstimmen politische Entscheidungen beeinflusst, mit dessen Hilfe alle jene Gutmenschen-Stiftungen ihre supranationalen despotischen Kampagnen führen und ihre eignen Interessen dabei verwirklichen und die Freiheit im Interesse der Gleichheit zerstören. Heute heißt das nicht mehr Propaganda, sondern ‚public relations‘ und „Kommunikationstechnologie“ „Wir bemühen uns ständig darum, Aspekte des Modells des Technologie befeuerten Sich-Organisierens zu erneuern, identifizieren neue Strategien, um unsere Zielgruppen zum Engagement zu bringen mit dem Schwerpunkt auf technologischen Hilfsmitteln.“ (Vgl. MoveOn.org)

Ben Brandzel, der Gründer von AVVAZ, fasst die gemeinsamen Strategien von Avaaz, MoveOn.org und GetUp! im „Ecampaigning Forum“ stichwortartig folgendermaßen zusammen:

  • Dringlich und schnell, manchmal aus sich heraus klar, aber auch durch „Wir halten es nicht mehr aus”, eine anstehende Parlamentsabstimmung, kann ein Gefühl sein, immer über den Eindruck von Dringlichkeit nachdenken.
  • „Bauchgefühl“ – klare „Bauchgefühl“-Bilder, z. B. Hans Blix, wie er im Irak umhergeht, David Hicks in Guantanamo, Mönche die geschlagen werden.
  • Klare Wirkung. Wie verbindet man Leidenschaft, Bauchgefühl und Dringlichkeit mit dem wichtigsten letzten Schritt: Wie wird das eine Entscheidung, auch aus dem Bauch heraus, beeinflussen?
  • Hohe Energie/hohes Informationsniveau. Verhältnis von Energie/Leidenschaft und der Information, die eure Unterstützer darüber haben. Die besten Kampagnen kombinieren hohe Energie mit hohem Informationsniveau,– oft von den Medien – es ist in den Nachrichten, sie wissen davon. Man braucht zumindest ein Element. Wenn man keine Informationen hat, muss man eurer Klientel signalisieren, „der Augenblick ist jetzt da“. „Große Leidenschaft“ bedeutet „hohe schon vorhandene Leidenschaft – sich schon Gedanken darüber gemacht zu haben.
  • Alles Teil einer nachhaltigen Kampagne. Eine Vielzahl von Emails, eine Vielzahl von Versuchen, sorgfältiges Timing“. (Ebemda)

Gender-Mainstreaming ist genau eine solche Kampagne, ein “kulturrevolutionäres Umerziehungsprogramm“ (Hans Sachs) „Judith Butler ist der Darling großer Stiftungen wie Guggenheim und Rockefeller, deren Fellowships sie angehört. 2004 erhielt sie den Brudner Prize der Yale University für besondere Verdienste für ‚lesbian and gay studies‘, 2008 wurde sie mit dem Andrew W. Mellon Award ausgezeichnet, dotiert mit 1,5 Millionen Dollar, welcher den Empfängern ermöglichen soll, unter besonders günstigen Bedingungen zu lehren und zu forschen.

Seit 2012 ist sie Gastprofessorin an der Columbia University, welche den exilierten Professoren Adorno und Horkheimer mit ihrem Institut für Sozialforschung in den dreißiger Jahren Asyl gewährte. Die Schlussfolgerung ist unvermeidlich: “Die Macht- und Geldeliten wollen die ‚Subversion der Identität‘.“ Bemerkt Gabriele Kuby in der Tagespost vom 11.09.2011.

Judith Butler ist offenbar eine der Galionsfiguren solcher Kampagnen, sie gehört auch zu der Führungsspitze, von IGLHR, International Gay and Lesbian Human Rights Commission. Diese Organisation ist bei der UN als NGO akkreditiert, die, wie andere NGOs auch, der fachlichen Beratung der aus aller Welt zusammen kommenden Teilnehmerinnen und Teilnehmern dienen soll. Die IGLHR gehörte zur Gruppe der NGOs, die mit Unterstützung des World Trade Organisation bei der Vorbereitung der 4.Internationalen Frauenkonferenz 1995 in Peking eine wichtige Rolle spielte. Auch Sulamith Firestone gehörte dazu bis zu ihrem Tode 1992.

Die gesamte Kampagne zum Gender Mainstreaming ist daher wohl auch nicht allein der klugen Einsicht einiger intellektueller Feministinnen entsprungen, sondern scheint eingebettet zu sein in eine offenbar globale Strategie zur “Neumodellierung” der Welt nach den Vorstellungen der neuen supranationalen „unsichtbaren Regierung“ (Bernay), der neuen souveränen “Herren der Welt”. Und Frauenbewegung und Genderbewegung werden von dieser „unsichtbaren Regierung“ für diese Ziele skrupellos instrumentalisiert.

Gender-Mainstreaming wird bleiben, solange der supranationale intellektuelle und finanzielle Support nicht ausbleibt. Und Gender-Mainstreaming wird bleiben, solange Frauen glauben, dass der Genderismus-Feminismus ihre Emanzipation fördert.

Aufklärung bewirkt da nichts, zumal Aufklärung nur Selbstaufklärung sein kann, nämlich den Mut zu haben, sich seines Verstandes ohne fremde Hilfe zu bedienen. Das war vom französisch-revolutionä­ren Kant gegen das Heer der Pfaffen seiner Zeit gerichtet. Heute muss man das gegen das moderne Pfaffentum, gegen die neuen säkularen Priester des Gutmenschentums, die gewissenlosen Selbstge­wissen richten, also gegen einen großen Teil der derzeitigen politischen Akteure innerhalb und außerhalb der etablierten Parteien und „Bewegungen“. Und deswegen redet der Rezensent nicht so gern von Genderideologie, sondern von der Gender-Doxa.

Die Wiederbelebung von „Pansexualität“

Aber es ist schon dennoch wichtig, dass Hans Sachs einen Beitrag zur Kritik der Gender-Doxa auch wissenschaftskritisch beisteuert. Die „Genderideologie“ Ende der achtziger und in den neunziger Jahren, meint Hans Sachs, wiederbelebe mit dem Rückgriff auf den “Frankfurter Freudomarxismus“ die Freudsche Vorstellung von „Pansexualität“.

Das ist die Vorstellung einer polymorph perversen frühkindlichen Sexualität, die es scheinbar ermöglicht, eine einheitliche Auffassung von sich ineinander verwandelnder und umwandeln­der „Sexualitäten“ in eine Vielfalt sexueller Orientierungen zu begründen und gesellschaftlich zu etablieren. Und der endgültige Stoß gegen diese Auffassung, meint Hans Sachs, sei im Kern der letzte Schlag gegen die „Genderide­ologie“, die  genau ein solches Konzept zu verfolgen scheint. Das klingt erst einmal plausibel.

Wie führt er diesen Schlag?

Hans Sachs referiert zunächst Freuds Sexualtheorie: Der Sexualtrieb des Kindes ist für Freud eine „primäre“ Eigenschaft, sie sei von Anfang an bei den Menschen da, sie sei ein Drang, der müsse befriedigt werden. Er befriedige sich aber zunächst in „erogenen Zonen“ und zunächst nicht genital oder gar in der genitalen Fortpflanzung. So entwickelt Freud diese Überlegung in den „drei Abhandlungen zur Sexualtheorie“ von 1905. Die Haut sei Lustorgan, und der Sexualtrieb existiere substanziell von Anfang an im Kleinkind und wandele sich durch die verschiedenen Formen frühkindlicher Sexualität von oraler, analer über ödipaler Sexualität, um sich schließlich in genitaler Sexualität zu vollenden. Nebenbei: Diese Auffassung ist freudianisch. Sie hat mit der Sexualitäts­vor­stellung Wilhelm Reichs nicht zu tun.

Diese Auffassung, und das versteht Hans Sachs nicht recht, folgt einer Ontologie, welche die vorliegenden Dinge der Welt in der Gestalt eines ‚Dings und seiner Eigenschaften‘ denkt, als Materie und Form. (Aristoteles) Diese Ontologie heißt Substanzontologie. So haben die Dinge als solche Masse, Ausdehnung und Dauer, Eigenschaften, die ihnen „primär“ zukommen.

Oder: Einige Organismenarten haben Sexualität, eine Eigenschaft, die ihnen eigen ist und ihnen unmittelbar, „primär“, z.B. als Sexualtrieb zukommen. So denkt Freud Sexualität. Oder, Organismen haben Eigenschaften, die für das Funktionieren des ganzen Organismus vollständig nötig sind, die aber beschädigt werden können. Dann werden die Organismen krank. Die eine kranke „primäre“ Eigenschaft verursacht die Krankheit des ganzen Organismus. Das wird als Ursache und Wirkung, als Grund und Folge, als Kausalität gedacht.

John Bowlby aber hatte bereits Ende der fünfziger Jahre tatsächlich eine Theorie der frühkindlichen psychischen Entwicklung entworfen, die radikal mit der Freudschen Theorie der frühkindlichen Sexualität gebrochen hatte. Der Titel seiner, meines Wissens, ersten Darstellung, lautet: „The Nature of the Childs Tie to his Mother“ und erschien im International Journal of Psycho Analysis, 1958, pp 350 – 373.

Bowlby verlässt die Triebtheorie Freuds und betritt einen völlig neuen Kontinent, den der Ethologie oder Verhaltens­theorie. In der geht es nicht mehr um „primäre“, also den Dingen als solchen unmit­telbar zugehörigen Eigenschaften, wie noch Freud den „Sexualtrieb“ verstand. Sondern es geht um Verhalten, Verhältnisse und Relationen, bei Bowlby insbesondere um das Mutter-Kind-Verhältnis. Das wird als wechselseitige Bindung beschrieben, vermittelt durch instinktive Impulse und ihre Erwiderung. „They serve the function of binding the child to mother and contribute to the reciprocal dynamic of binding the Mother to child. Those which I believe we can identify at present are sucking, clinging and following.” (S. 351) Keine Sexualität, nirgends.

Diese Auffassung, und das versteht Hans Sachs ebenso wenig, folgt einer völlig anderen Ontologie, nämlich einer, die „Systemontologie“ genannt wird. Beide Begriffe, Substanzontologe und Systemontologie, sind von dem Würzburger Philosophen Heinrich Rombach eingeführt worden. (Substanz System Struktur, 2 Bde. 2. Aufl., München 1982) In der Systemontologie geht es um die „Einheit des In-sich-Unterschiedenen“. Sie umfasst Relationen, die zwischen wenigstens zwei Relata wirken und sie zum Beispiel in Gravi­ta­tion zweier Massen zusammenbinden. Es entsteht hier eine Einheit, in der die Dinge in einer Art „Innigkeit“ in Eins ‚monadisch‘ zusammengeschlossen sind und eine „reciprocal dynamic of binding“ (Bowlby) entfalten und nur darin ihre Wirklichkeit, ihre Wirkung finden und entfalten.

Dinge haben Schwere, sie haben Schwere nicht „primär“ an sich, wie sie Masse haben, sie sind nur gegeneinander schwer. Organismen haben Sexualität nicht an sich selber, sondern nur gegeneinander, konkret im Vollzug der Paarung. Alle physikalischen Wechselwirkungen, alle chemischen Bindungen können in einer solchen Ontologie gedacht und dann verstanden werden, aber auch die Innigkeit eines Koitus, die Innigkeit einer Mutter-Kind-Bindung, die Innigkeit einer starken Paarbeziehung, egal ob in gegengeschlechtlicher oder gleichgeschlechtlicher Bindung. Oder auch die Innigkeit gelingender Kommunikation, also dem Sozialen. Das kann so gedacht und verstanden werden. Und diese Innigkeit existiert und besteht nur konkret in ihrem Vollzug der sich vereinigenden Dinge, in einer „Einheit mit Unterschied in der Einheit“ (Hegel). Das ist gleichsam die hegelsche Formulierung dessen, was Leibniz Monade nennt.

Ontologie ist die philosophische Lehre vom Sein, genauer vom Sein des Seienden. Das Sein des Seienden als solchem im Ganzen. Das Seiende als solches im Ganzen ist alles Vorliegende, das ist alles Einzelne, „alles was der Fall“ ist, wie der Philosoph Ludwig Wittgenstein anschaulich sagt. Aber das „alles Seiende“ ist der menschlichen Wahrnehmung niemals als Ganzes zugänglich. Das kann der Mensch sich irgendwie nur in einer Gestalt, einem Bild in seinem „Geiste“ vorstellen. Oder er kann sich davon einen Begriff machen, wie „alles Seiende in seinem Sein“ gedacht und verstanden werden kann und welchen Sinn es hat. Ontologische Forschung ist philosophische Grundlagenforschung im Denken.

Hans Sachs ahnt diesen Unterschied der verschiedenen Ontologien irgendwie, aber seine philosophischen Reflexionen des Entstehens der Systemontologie als physikalische Auflösung der Materie (Substanz mit Eigenschaften) in Energie, und Energie in Geist, sind einfach Unsinn (S. 28 f.). Das muss er als Arzt philosophisch auch nicht verstehen. Es reicht, den Unterschied im Erkenntnisweg zu erkennen, und das gelingt schon den meisten nicht: Die substanzontologische Deutung der Sexualität bei Freud, meint er, ist „vielmehr Freuds naturwissenschaftlicher Ausbildung und Prägung im Labor seines Lehrers Brücke, einem Helmholzschüler, geschuldet. Seelisches kann aber nicht kausalpathogene­tisch verstanden werden, sondern nur mit der Methodik bzw. der Kategorie der Hermeneutik“. (S. 15) Das aber ist ein systemontologischer Begriff.

Die Gefährdung der Mutter-Kind-Bindung

Und dies, nämlich hermeneutisch, so Sachs weiter, sei genau die Theorie der Mutter-Kind-Bindung, die eine Reihe von psychischen Phänomenen erkennbar und verstehbar mache, die bislang „kausalpathogenetisch“ als Krankheit missverstanden und kausal als Wirkung einer Ursache verstanden und erklärt worden waren, so wie Hysterie und auch Homosexualität. Das ist richtig.

Und das ist Hans Sachs entscheidend wichtig: Entweder gelingt diese „frühkindliche Bindung in den ersten Lebenswochen und in den ersten vorsprachlichen Lebensjahren, jeweils an die Mutter oder die gleichwertige Pflegeperson“ (S. 16) oder sie misslingt. Und seine große Sorge gilt der außerordentlichen Gefährdung dieser Mutter-Kind-Bindung durch Gender Mainstreaming und damit die Gefährdung der frühkindlichen Entwicklung überhaupt. Diese Sorge kann man teilen.

Für den Fall, dass die frühkindliche Entwicklung misslingt, sagt Hans Sachs, kommt es zu frühkindlichen Verlustangst-Traumatisierungen oder zu traumatisierten Erfahrungen von Misshandlungen, Demütigungen und seelischen Verletzungen. „Lass das!“, hört man da. „Du kannst nichts!“ Du taugst nichts! „Aus Dir wird nie was!“ solches wird einem Kind beständig gesagt, und das Kind hört es, ängstigt sich, verdrängt die Angst und sagt es zu sich selber sein Leben lang, weiß nicht und wundert sich, woher es wohl kommt. Solche frühkindlichen Erlebnisse füh­ren zu Traumatisierungen. Es kommt zu Verdrängungen, Übertragungen und zu zwanghaften Wiederho­lungen des Verdrängten. Wenn also die frühkindliche Mutterbindung gestört wird und nicht zustande kommt, kommt es zu „Vernachlässigung und Demütigung, die in den ersten Jahren zwar erlebt, aber sprachlich nicht benannt werden können, sind sie gleichwohl emotional als Wut, Angst, Aggression und Hass im Unterbewussten gespeichert und hier demagogisch abrufbar“ (S. 16) „Das Frühkindlich-Erlebte wird im späteren Leben der Betroffenen reinszeniert, womit das Erlebte mitgeteilt wird: Seht, das hat man (z.B. meine Eltern) mit mir gemacht, meine Identität zerstört, wenn ich das (unbewusst) mit Euch mache, versteht ihr dann, was mir widerfahren ist? (S. 153) Die Kinder, auch noch als Erwachsene stehen unter Wiederholungszwang: „Das heißt, geschlagene Kinder werden wieder schlagen, gedemütigte Kinder wieder demütigen, bedrohte Kinder weiter bedrohen und in der Seele getötete Kinder weiter töten oder sich leicht dazu verführen lassen.“ (S. 165). Und genau dies, die Übertragungstheorie, sei das, was von Freuds psychologischer Theorie übrig bliebe. Das aber sei der Schatz, den es in Freuds Theorie zu bergen gebe: Es käme in prekärer Mutter-Kind-Bindung zu Misshandlungen, zu Vernachlässigungen und Demütigungen, zu Traumatisie­rung, zu Verdrängung, zu Übertragung und zu zwanghaften Wiederholungen. Dies erkläre vieles, aber, so Sachs, allein mittels der Bindungstheorie, die das Konzept „Trieb“ verworfen hat.

Hierin muss Sachs unbedingt Recht geben werden. Wie diese frühkindlichen Traumatisierungen sich vollziehen, wie sie sich später im Leben der Erwachsenen in Wiederholungszwängen erneut realisieren und zu Gewalt und sexuellem Missbrauch führen, hat Rosa von Praunheim in seinem Dokumentarfilm von 2015 mit dem Titel „HÄRTE“ vorzüglich gezeigt. „HÄRTE“ ist die wahre Geschichte des Spitzensportlers Andreas Marquardt, der zum brutalen Zuhälter wurde und der das  Verbrechen acht Jahre im Gefängnis verbüßte. Durch eine Psychotherapie arbeitete er seinen jahre­langen sexuellen Missbrauch als Kind durch seine Mutter und seine frühkindlichen Gewalterfahrungen durch seinen Vater auf und macht jetzt Charities für missbrauchte Kinder. Unbedingt ansehen!

Die Rebellion gegen die „autoritäre Persönlichkeit“

Und nun kommt es zu einer seltsamen Begegnung des Rezensenten mit Hans Sachs, dem Autor dieses Buches. Darüber müssen ein paar Worte gesagt werden. Beim Lesen des Buches von Hans Sachs hat sich der Rezensent irgendwie, zwar nicht in seine Kindheit zurückversetzt gefühlt, aber doch in die Zeit Mitte bis Ende der Sechziger in Berlin, wo er, was wir die „antiautoritäre Revolte“ nannten, aktiv lebte. Die Diskussion, die Hans Sachs hier in seinem Text führt, kannte ich bereits, denn wir hatten sie damals auch schon geführt. Es war nämlich so: Genau diesen „Wiederholungszwang verdrängten traumatisierten und übertragenen Verhaltens“ wollten wir durchbrechen, wenigstens außer Kraft setzen.

Wir, das sind die „Achtundsechziger“.

Es wurde in den Jahren seit Ende der sechziger Jahre systematisch über Erziehung, auch über sexuelle Erziehung kleiner Kinder nachgedacht, nämlich in der antiautoritären Erziehung und in der Kinderladenbewegung. Das „Antiautoritäre“ – was für ein missverstandener Begriff das ist! Als würde die antiautoritäre Erziehung gegen die „Autoritäten“, die „Herrschenden“, aufwiegeln und zum allgemeinen Umsturz erziehen. Das mag der Eine oder die Andere wohl gehofft haben. Aber dieser Begriff hat eine ganz und gar andere Entstehung: Wir hatten die berühmte Studie über die „Autoritäre Persönlichkeit“, die vom Frankfurter Institut für Sozialforschung in den dreißiger Jahren mit amerikanischen Studenten in Amerika durchgeführt worden war, gründlich gelesen. Darin wurde deutlich, dass unterdrückendes Verhalten aus Unterdrückung erwächst, untertäniges Verhalten ebenso, und dass diese zwanghaften Wiederholungen und Übertragungen leicht für Verführungen durch Demagogen bereit sind. Dieses Verhalten war im Begriff der „Autoritären Persönlichkeit“ gefasst, die eben nicht „Totalitäre Persönlichkeit“ heißt­ – was für ein absurdes, ja kenntnisloses Missverständnis!

Das Phänomen und der Begriff der autoritären Persönlichkeit war Thema und ein Ergebnis der Frankfurter Studie: Der unterwürfige, eingeschüchterte, submissive, verführbare Charakter – der Untertan. Unsere Übertragung und Interpretation der Ergebnisse auf die vergangenen Verhältnisse im nationalsozialistischen Deutsch­land und nach dem Kriege war naheliegend. Diese Art Persönlichkeit mag eine „günstige“ Möglichkeit für NS-Demagogen und Propaganda abgegeben haben, die damals schon dem Konzept von Bernay folgten, mehr aber auch nicht. Schlimm genug, was da geschehen war. Dieses, genau dieses autoritäre, unterwürfige Verhalten durfte, sagten wir uns, durfte in Zukunft nicht mehr möglich sein. Vielmehr antiautoritär musste es sein. Gegen die „autoritäre Persönlichkeit“ setzten wir klar und distinkt die „antiautoritäre Persönlichkeit.“ Dies schließt natürlich nicht die Anerkennung von Personen aus, die in ihrem Verhalten bewirken können, das sich andere Menschen an ihrem Denken und Handeln beispielhaft orientieren können – im Gegenteil.

Die neunzehnhundertsechziger Jahre, das war die Zeit, in der wir unsere Kinder bekamen. Wir, das sind die in den vierziger Jahren Geborenen. Das ist die letzte Alterskohorte der Kriegsgeneration. Zum Teil traumatisiert in Bombennächten in den Großstädten, zum Teil traumatisiert durch die im Krieg verrohten Väter oder traumatisiert durch Verlust und Vaterlosigkeit, unfähig, zu trauern, jedenfalls in irgendwie zerrütteten Familien lebend, mit Müttern, die keine Männer mehr hatten, aber „Onkel“, die arbeiten gingen, um die „Familie“ zu ernähren. Eine heile, gar heilige Familie gab es da nicht und nirgends – und bis heute nicht mehr! Wir alle besaßen daher ein sehr hohes Potential für jene psychischen Wiederholungszwänge und Übertragungen verdrängten Leids, verdrängter Demütigungen und Missachtungen auch auf unsere Kinder. Das erkannten wir. Dem mussten wir entgegentreten. Wir mussten am besten selber zu antiautoritären Persönlichkeiten werden, (was sicherlich nicht im allen Fällen unter uns Männern gelang), und wir mussten das antiautoritäre Potential unserer Kinder wecken und stärken. Das war uns allen klar! Insofern geht die heute übliche und auch von Hans Sachs geteilte Schelte und Verurteilung der „Achtundsechziger“ satt ins Leere! Der Historiker Götz Aly hatte in einem umstrittenen Buch, „Unser Kampf 1968“ (Ffm. 2008), jedoch eine gewisse Spezifik des Verhaltens der „Achtundsechzi­ger“ auf genau solche psychischen Vorgänge und Wiederholungen bezogen und auf eine sehr viel größere Ähnlichkeit mit dem Verhalten unserer Väter geschlossen, als wir selber wahr haben wollten. Jedenfalls wollten wir etwas „ganz Anderes“:

Sicherheit des Daseins wollten wir unseren Kindern geben und ihnen auch die Möglichkeit eröffnen, solche Sicherheit schließlich aus ihrem eigenen Vermögen selbst für sich zu schaffen:

die ganz einfache Sicherheit der körper­lichen und seelischen Unversehrtheit, damit fing es an gewaltfrei wollten wir sie erziehen und in einem Gefühl sicherer Geborgenheit und Selbstgeborgenheit. In einer gewissen selbstregulierten, selbstorganisierten und selbstbestimmten, selbstbewussten, sich ihres eigenen Verstandes mutig und ohne fremde Hilfe bedienenden freien Daseinsweise, aber nicht sich selbst überlassen und vernachlässigt, (das gab es leider auch) sollten sie sich entwickeln und persönlich entfalten können. Und vor allem: Anders als ihre Eltern, frei von „Wiederholungszwängen“ und „Übertragungen“ frühkindlicher Traumata. Das ist nicht immer, aber in sehr vielen Fällen sehr gut gelungen. Antiautoritär erzogene Kinder sind gut erzogene Kinder.

Und wir waren offen, neugierig und experimentell. Selbstverständlich beobachteten wir unsere Kinder, ob sie stolz, mit Lust und Produzentenfreude mit ihren Exkrementen spielten und so ihre Freudsche frühkindliche anale Sexualität befriedigten. Nichts da! Das war nicht und nirgends zu beobachten. Wir bezweifelten zunächst unsere eigenen Beobachtungen, aber sie waren zu häufig,  bei allen Eltern. So verwarfen wir die eigentümliche Sexualitätstheorie Freuds. Wir verwarfen sie vollständig. Frühkindliche Sexualität existierte fortan nicht mehr. Geschlecht begann nun mit Geschlechtsreife, und die stellte sich von selbst ein, nicht vorher.

Auch machte damals die Neuigkeit die Runde, dass der amerikanische Psychiater John Money durch genitale Operation und Konditionierungstraining einen Jungen in ein Mädchen verwandelt hatte. Musste also doch was dran sein, an der „polymorph perversen“ Geschlechter­umwandlung. Natürlich probierten wir auch das im Rahmen – neugierig, wie wir waren. Wir ließen Mädchen mit Autos spielen, ermutigten sie zu jungenhaftem Verhalten. Aber eines Tages kam meine Tochter, die ich im Alter von sechs Monaten bekommen hatte und die ich fortan bevatern durfte, strahlend – sie hatte nämlich alles verstanden – kam sie strahlend mit einem Kinderwagen samt Puppe darin aus ihrem Kinderladen nach Hause. Experimentum crucis! Exitus für die Moneysche sexuelle Transmutations­theorie! Glatter Schwindel war das und ein Verbrechen zumal, stellte sich später heraus. Nur Alice Schwarzer machte noch einen kleinen Unterschied. Sie feierte 1973 in ihrem berühmten Buch John Money als modernen, ja fortschrittlichen Sexualwissenschaftler. Sie hatte ja selber wohl keine Kinder.

Und wir suchten neue Theorien frühkindlicher Entwicklung, lasen Neil, lasen Erikson, lasen Winnicott, lasen Spitz und was wir noch alles finden konnten. Und wir suchten neue Weisen der Kinderbetreuung in den kleinen ehemaligen „Tante-Emma-Läden“, die von den Lebensmittel­konzernen in einer ersten großen Welle enteignet worden waren: in den „Kinderläden“. Erst sollten die Eltern im täglichen Wechsel die Kinder betreuen, die Mütter ebenso wie die Väter. Aber das erschien uns nicht recht wünschenswert wegen der häufig wechselnden Bezugspersonen, die eine „Mutter-Kind-Bindung“ unmöglich machten. Ja wir hatten das damals von John Bowlby schon gelernt. Es war uns gerade wichtig, eine wirkliche „mothering“ Person zu haben, die aber nicht immer für alle Kinder verfügbar sein konnte. Immerhin wurden deswegen feste „Bezugspersonen“, nicht aber Kindererziehe­­rinnen angestellt, die durch einen „Elterndienst“ unterstützt wurden. So ist das meines Wissens bis heute in Kinderläden.

Wir hatten es schon verstanden, dass ein Kind nicht ein Ding mit Eigenschaften ist, das man sich irgendwie „schnitzen“ kann, wie man es sich wünscht und vorstellt, sondern ein Kind ist aktiver Teil, Moment einer mindestens zweistelligen Relation, systemisch in der Innigkeit einer Mutter-Kind-Bindung, einer Vater-Kind-Bindung, in einer starken Paarbindung beider, einer Geschwister-Bindung, und was es da noch alles, für dann auch mehrstellige Relationen und systemische Strukturen, ja, tatsächlich, „Strukturen“ (Levy-Strauss, Foucault), gibt.

Die sexuelle Transmutation

Aber wer weiß? Vielleicht löst sich ja diese geschichtliche Gestalt des Geschlechts, wel­ches die Form des “strong pairbonding” besitzt, heute nach und nach wieder auf. Dieses Geschlecht hat seit dem Ende des Mittelalters in einigen Regionen der Erde, nämlich von Nordwesteuropa ausgehend, die Gestalt der freien kognatischen Kern-Familie, in welcher beide Partner gleichrangig waren und privat über die Produktionsmittel des eigenen Lebens verfügen. Vielleicht löst sich diese Gestalt des Geschlechts, in welcher die Produktion des eigenen Lebens in der Arbeit mit der Produktion des eignen Nachwuchses erfolgreich strukturell gekoppelt war, nun wieder auf und wird zerstört werden. Zerstreut die Menschen in unverbundene Mengen vereinzelter Einzelner, die sich eher zufällig und vorüberge­hend zu unvorhersehbaren Gruppen und Zusammenschlüssen assoziieren, welche sich ebenso schnell wieder dissoziieren, welche entstehen und wieder vergehen und jede produktive Gemeinsamkeit zerstören – dafür aber in eine grund- und bodenlose menschliche Vielzahl sich wandelnd, wer weiß?

Aber, so will Hans Sachs, und das ist auch seine These auch heute, wie er sagt, in seinem Text zeigen, „wie Freud und seine Psychoanalyse und die Hauptpropagandistin des Gender Mainstream­ing in ihrer Weltanschauung vorzugsweise dann verstanden werden können, wenn ihre Theorien und ihr Charakter als Ergebnis ihrer Kindheitserleb­nisse gewertet werden können“ (S. 42).

Das macht Hans Sachs für Freud recht ausführlich und nennt Freuds schwer gestörte Mutter-Kind-Beziehung sogar den „Dynamo seines (Freuds) Oeuvres“ (S. 44). Für Butler bezieht er sich nur auf ein Interview in der ARD und mit arte vom September 2012, in dem sie über die Schrecken und Traumata ihrer Kindheit berichtete, vor allem als sie mit vierzehn ihr Lesbisch sein entdeckte. Das mag Plausibilität haben, aber wirklich überzeugen kann es nicht.

Ausführlich und überzeugend befasst er sich mit der frühkindlichen Entstehung von Homosexualität, die er nicht mehr als Krankheit, sondern als, wie er es nennt, „psychische Störung“ analysiert, die aber nicht reversibel sei: „Homosexualität ist eine natürliche Folge der erzieherischen Einflüsse, denen ich als Kind ausgesetzt war. Mit Hilfe der Forschungser­gebnisse, der Bindungsforschung und der Selbstpsychologie hat die Tiefenpsychologie dies unwiderlegbar offen gelegt“ (S. 84).

Da mag er optimistischer sein, als die Forschung vielleicht zulässt. Was die Homosexualität angeht:  es bleiben offene Fragen. Wie Homosexualität entsteht, scheint keineswegs endgültig geklärt. Immerhin wird sie, wie Sachs richtig bemerkt, nicht mehr als eine Krankheit verstanden. Wie sieht es mit dem statistischen Anteil in komparativer Perspektive aus? Lassen sich etwa anteilige 5% Homosexuelle aus gestörten Mutter-Kind-Bindungen erklären? Und: Können biologische Ursachen ausgeschlossen werden? Z. B. genetischer oder pränatal-hormoneller Art?

Und selbstverständlich liegt Sachs die frühkindliche Kindererziehung in ihren drei ersten Lebensjahren sehr am Herzen. Die sieht er durch Gender Mainstreaming systematisch gefährdet: „Bei der Propaganda für die Kitas wird statt des Wortes Bindung das Wort Bildung benutzt. Eine propagandistische Irreführung der Eltern“, sagt er, „denn so ein kleines Kind braucht Bindung, nicht Bildung“ (S. 11). Dies ist ihm deshalb besonders wichtig, weil die Bindung nicht nur selbständige, liebevolle und zugewandte Personen entwickeln lässt, auch die Gehirnforschung hat zeigen können, dass in dieser Zeit und durch Bindung gestützt, gesichert und gefördert, das kindliche Gehirn sich entwickelt und in seiner Entwicklung vollendet. Dies sieht er durch die „frühsex­uelle Erziehung“ in den Kitas gefährdet. Aber vielleicht hat die frühkindliche Sexualerziehung für die Gender-Pädagogen einen ganz anderen Sinn? Vielleicht geht es ihnen ja dabei eher um Früherkennung von Genderorientierungen bei den Kleinen und um die Vorsorge für ein frühzeitiges und gelingendes Coming Out Sorge zu tragen?

Aber es ist sicher nicht angemessen, solche Orientierungen wie freie Möglichkeiten des Verhaltens zu behandeln, als seien sie wie in einem Beate-Uhse- Supermarkt des Begehrens und seiner Erfüllungen im Angebot und wählbar wie vielleicht eine persönliche Ernährungsweise, fleischlich und pflanzlich gemischt, vegetarisch oder vegan, nun aber als persönliche sexuelle Lebensweise, lesbisch, schwul, pädophil, zoophil, nekrophil oder fetischistisch zu sein, um nur einige der mehr als sechzig sexuellen Orientierungen zu nennen, die eine berühmtes  Dokument bei Facebook auflistet. (Wolle: Bitte einen Hyperlink einfügen)  Denn wie Hans Sachs überzeugend für die gleichgeschlechtliche Liebe zeigt, ist jede Lust und die Glückseligkeit zugleich begleitet von der Angst und der Gewalt, welche Sexualität immer auch ist.

Gleichwohl, und da mag ihm der Rezensent aus vollem Herzen in beiden Forderungen beipflichten: „Wir brauchen in den Schulen bei den Kindern natürlich fächerübergreifende Unterrichtseinheiten zur Toleranz vielfältiger sexueller Verhaltensweisen und eine Orientierung über gleichwertige andere Erscheinungsformen menschlicher Sexualität. Aber genauso brauchen wir die Unterweisung unserer Kinder darin, wie Familie gelingt, im Guten und bei Konflikten und worauf es in der Kleinkindererzie­hung ankommt.“ (S. 142) (Hervorhebung vom Autor)

Und Gender-Mainstreaming soll dann, wie Hans Sachs mit vielen anderen gemeinsam auch fürchtet, vielleicht nicht heißen, die gleichgeschlechtlichen, die geschlechtsübergreifenden und die rund sechzig queeren Gender zum Hauptstrom von Geschlecht anstelle des gegengeschlechtlichen Geschlechts zu machen. Den Eindruck allerdings machen zurzeit die Gender-Propaganda und Gender-Propagandisten. Als stellten die Gender nicht drei bis fünf Prozent und in speziellen Ausprägungen weit weniger Exemplare in der Bevölkerung unserer Gesellschaft, sondern wenigstens dreißig Prozent. So tönen sie lauthals, die Schreihälse und SchreihälsInnen der Gender-Doxa!

Vielmehr, und dem wird Hans Sachs sicher auch beipflichten, könnte es im Gender-Mainstreaming vor allem darum gehen, Gender in den Hauptstrom von Geschlecht, nämlich den überwältigenden Hauptstrom der gegengeschlechtlich, wenn auch nicht ausschließlich, Nachwuchs produzierende Sexualität hinzu zu gesellen und ebenso akzeptiert und „geläufig“ zu machen wie diese gegengeschlechtliche Sexualität seit jeher selbst schon ist. „Geläufig“, engl. ‚intelligible‘, sagt Judith Butler.

Hans Sachs hat ein nicht in allem seiner Argumentation stichhaltiges, aber ein interessantes Buch geschrieben, das neue Sichtweisen auf das Phänomen Gender eröffnet und gerade in seinen Irrungen eine Fülle von Anregungen ermöglicht.

Fine!

4 Gedanken zu „Freud, Gender und die Massenpsychologie der Gleichheit“

  1. Meine „Meinung sagen?“ Na die steht doch in meinem Text.
    Aber Sie haben ja bereits darauf „verzichtet“, ihn zur Kenntnis zu nehmen. Was sollte ich Ihnen also mitteilen? Worüber sollten wir wohl reden?

    W.K.

  2. Na da fühlt man sich doch gleich richtig verstanden! Dank für die gründliche Lektüre und die scharfe Denke.
    Nebenbei: Die Worte sind Zitat des Hans-Sachs-Textes, nicht meine Meinung.
    Und selbst bei Hans Sachs sind die Worte „Referat“ der etwas antiquierten Theorie der Massenpsychologie, nicht seine Meinung.

    W.K.

  3. „Man muss den Menschen bestimmte Ziele vorgeben, nach denen sie streben sollen. Eine nicht geführte Masse ist unfähig, ihre eigenen Bedürfnisse durchzusetzen und zu leben. Sie braucht Leitbilder und Führungspersönlichkeiten, die diese Bedürfnisse formulieren.“ (S. 9)
    aha – eine Gegenpropaganda von einer „Führungspersönlichkeit“ – ich verzichte.

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