Manipulation durch Sprache in den Medien

AGENS hat sich schon sehr früh mit der Sprachmanipulation befasst: hier oder hier.
Alexander Wichec berichtet über seine Wahrnehmungen beispielsweise beim Lesen eines Artikels in einer Tageszeitung:

Heute bin ich richtig niedergeschlagen – nachdem ich die Frankfurter Allgemeine gelesen habe (18. Mai 20). Denn ich befand, daß die Manipulation darin dermaßen gut und subtil sei, daß eine Aufklärung für den größten Teil der Bevölkerung praktisch unmöglich ist. Ein Gefühl der Resignation wollte sich regen.

Ich greife einen Artikel heraus, der in diese Richtung besonders hervorsticht. Zunächstmal aber ist auch die Erscheinung der Zeitung als Ganzes erwähnenswert. Sie gibt nach meinem Dafürhalten die gegenwärtige Situation im Land nicht richtig wieder. Die Themenauswahl und Präsentationsart wirkt, bewußt oder unbewußt, verharmlosend gegenüber der äußerst prekären, aufgeladenen, chaotischen Stimmung im Land, durch die anhaltenden Corona-Maßnahmen und was damit alles im Zusammenhang steht. Es entsteht kein wirklichkeitsgemäßes Bild.

Vielmehr wird ein Netz aus Süßlichem und Alltäglichem und ablenkenden Prioritäten gewoben. In dieses „Nest“ wird dann ein „Ei“ wie das folgende gelegt: „Selbst die Deutschen wollen jetzt digital bezahlen“. Was passiert bei so einer Überschrift? „Selbst die Deutschen“ – darin liegt die mit Spott versehene, den „Zeitgeist“ bedienende Behauptung, daß die Deutschen ja nun etwas hinterweltlerisch seien und nun endlich durch die Corona-Krise (auf die das „jetzt“ anspielt) zur Vernunft gekommen wären. Die Art der Manipulation, die in dieser Überschrift liegt, ist eine, die ich in letzter Zeit häufiger sehe.

Es wird da nicht mehr gesagt: das sollt ihr jetzt tun oder lassen, sondern das gewünschte Ergebnis der Beeinflussung wird bereits als selbstverständlich vorausgesetzt. „Die Deutschen wollen jetzt digital bezahlen.“ Ach so, empfindet man unwillkürlich als Leser, das wußte ich ja gar nicht. Aber wenn das so ist, dann will ich da natürlich auch dazugehören. Bin ja ein Deutscher, also bleibt mir ja gewissermaßen gar nichts anderes übrig. Wenn man sich da nicht „in den Finger kneift“ um wachzuwerden und zu bemerken, was einem wiederfährt, so übernimmt man diese Zuschreibung automatisch. Verstärkt wird das dadurch, daß durch die Formulierung die Deutschen, die das noch (immer) nicht wollen, als altbacken hingestellt werden und das will man ja auch nicht. Schon gar nicht als Deutscher. Deutsch und altmodisch zu sein, etwas Schlimmeres kann man sich ja kaum vorstellen. Da zieht man sich ja den Spott der Weltöffentlichkeit zu. Die Überschrift sagt es doch. Und nachher wird man am Ende noch als Dunkeldeutscher hingestellt, wenn man die neue Welle nicht mit reitet.

Also, die Überschrift ist derart raffiniert, daß der ganze Rest des Artikels gar nicht mehr nötig wäre. Das Ziel ist bereits erreicht. Aber nichts ist vollkommen, es läßt sich ja noch ausbauen. Die Unter-Überschrift steht der Überschrift an Raffinement in nichts nach. „Der Paypal-Chef glaubt, im Zuge der Corona-Krise werde sich der Niedergang von Bargeld beschleunigen – von Roland Lindner, New York“. Die Hauptüberschrift steht in Anführungszeichen. Trotzdem werden sie viele oder alle erstmal als das nehmen, was die Worte bewirken. Durch die, von vielen vielleicht schon nicht mehr gelesene Unter-Überschrift aber zieht sich der Redakteur des Artikels aus der Verantwortung. Er kann nun durch den Verweis auf jemand anderen sagen, wenn er etwa ob der manipulativen Wirkung der Überschrift angegriffen würde: Das war doch gar nicht so gemeint, ich zitiere ja nur! Wer sagt denn, daß das meine Meinung ist, das ist doch Dan Schulman, der das gesagt hat. Daß er es aber war, der den Satz zu einer Hauptüberschrift gemacht hat, kann man dann beflissentlich übergehen.

Nun beginnt der Artikel. Es wird beschrieben, daß in Deutschland „noch“ 70% der Bezahlungen in bar getätigt würden, daß aber „die Corona-Pandemie (..) die Ausgangslage verändert (hat)“, da die Menschen ja jetzt „aus Angst vor einer Infektion das Berühren von Dingen aller Art vermeiden.“ Vor acht Wochen hätte man das Szenario, das hier herausfbeschworen wird, noch als übelste Verschwörungstheorie bezeichnen, wenn einer gesagt hätte, die Corona-Krise würde wohl benutzt werden, um den Menschen die Abschaffung des Bargelds unterzujubeln, die sonst abgelehnt worden wäre. Nun steht es in der Zeitung.

Nicht erwähnt wird bei diesen Aussagen, daß die Menschen von alleine wahrscheinlich gar nicht auf die Idee gekommen wären, daß das Bezahlen mit Bargeld ein Infektionsrisiko darstellen könnte. Diese Vorstellung ist rein von außen, durch Plakate an der Kasse, Hinweise auf den Bildschirmen der Bank und anderswo eingespflanzt worden, und nachdem sie also künstlich eingepflanzt ist, zeigt man mit Unschuldsmiene auf die, in die es eingepflanzt worden ist und sagt: aber sie wollen es doch so! Es wird hinterher dann so dargestellt, als würde dieser neue „Trend“ frei von den Menschen ausgehen. Was für eine Heuchelei. Mir kommt da die Erinnerung, als ich mal einen Briefwechsel mit einigen Kaufhausketten hatte, bei denen ich mich über die verfrühte Weihnachtsware beschwert hatte, weil dadurch die Weihnachtsstimmung pervertiert und ausgehölt würde, wenn man Lebkuchen schon zu einer Zeit kaufen kann, zu der man noch in Badehose rumlaufen kann. Es wurde mir unter anderem geantwortet: Die Kunden wollten es so. Ich erwiderte darauf, das sei so ähnlich, wie wenn man einen Menschen drogenabhängig macht, um an dem Verkauf der Ware zu verdienen und hinterher voll Untschuld beteuert, er wolle es doch so und man tue ihm Gutes, indem man seine Wünsche befriedige. Darauf kam dann keine Antwort mehr.

Weiter im Text. Es ist genauso, wie man vor acht Wochen befürchtet hat. Der Autor schreibt, daß „von immer mehr Verbrauchern der Nutzen von kontaktlosem Bezahlen erkannt wird.“ Worauf gründet sich diese Aussage. Gibt es da wirklich Erhebungen? Oder ist es einfach so als Behauptung hingestellt. Die Wirkung ist ähnlich wie bei der Überschrift, wo man sich sagt: ach wenn das so ist, zu dieser (angesagten, progressiven) Bewegung möchte ich auch gern zählen.

Das ist so ähnlich, wie während der Corona-Krise berichtet wurde, daß „über 90% der Menschen im Land die Maßnahmen gutheißen“. War das so? Ich hatte von meinem näheren und weiteren Umfeld her nicht den Eindruck. Wie kam man zu dieser Zahl. Mich haben sie nicht gefragt. Auch sonst niemanden, den ich kenne. Ich habe den Verdacht, daß das, was sie da berichten eher das ist, was sie erreichen wollen, als das, was gegeben ist. Denn zu so einer überwältigenden Mehrheit, da möchte man doch gehören.

In dem Arktikel, der ja mein Ausgangspunkt ist, bleibt auch im weiteren Verlauf der Zitate-Stil prägend, durch den die Redaktion „ihre Hände in Unschuld wäscht“ bezüglich der Aussage und Wirkung. Es werden die Segnungen der Firma „Paypal“ ausgebreitet (ist sowas eigentlich die Aufgabe einer Tageszeitung? Es klingt mehr wie eine Werbe-Annonce.) Sie wird in den Rang einer caritativen Einrichtung erhoben, die „auch beim Verteilen von Corona-Finanzhilfen an Verbraucher und kleine Unternehmen geholfen hat.“

Mir kommen die Tränen bei so viel Nächstenliebe. Ich weiß manchmal nicht, soll ich lachen oder weinen bei der weiteren Lektüre. Wenn zum Beispiel der Chef, der den bezeichnenden Namen Schulman trägt, sagt: „Die Leute haben viel Vertrauen in unsere Marke.“ Ein religiöser Duktus schwingt mit. Auch über „Paypal“ hinaus wird Werbung gemacht für das Ersetzen von „physischen Läden“ durch die Internet-Bestellung. Die ersteren würden „sekundär“ werden, da sich „die Menschen in überfüllten Läden (nicht mehr wohl) fühlten.“ Und zwar so, daß dies „auch dann Bestand habe(n), wenn sich der Gesundheitszustand einmal entspannt (hätte).“ Daher weht also der Wind. Da wollen welche den ganzen Handel auf digital umstellen!

Die Aussage ist wieder manipulativ. Es wird eine prophetisch anmutende Behauptung aufgestellt, die suggestiv wirkt. Denn warum sollte sich nach einer infektionsmäßigen „Entwarnung“ nicht der vorherige Zustand wieder allmählich einstellen? Die jahrzehnelange Gewohnheit und die Natürlichkeit im Umgang miteinander, was Abstand und Nähe betrifft, werden ihre Dynamik wohl wieder entfalten gegenüber einem künstlich eingeführten Schema. Da wird etwas als plausibel hingestellt, was es nicht ist. Sowas sagt man nur, wenn man eine Absicht hat, etwas zu erreichen, was von allein nicht eintreffen würde. Dieser Artikel bestätigt die künsten Erwartungen der „verschwörungstheoretisch“ orientierten Gemeinde, die für ihre Aussagen, wie gesagt, vor kurzem noch angegriffen oder belächelt worden wären. Jedenfalls kann er so gelesen werden.

Sein grand finale ist eine geradezu in spirituelle Höhen sich aufschwingende Steigerung der caritativ-ethischen Eigenschaften des heroischen Unternehmens „Paypal“, dessen Menschheitslehrer Schulman uns sagt, wie gutes Menschsein und edle Unternehmensführung aussieht. „Wie müssen Unternehmen mit moralischer Verantwortung sein“ und „es müssen noch viel mehr Unternehmen klar demonstrieren, daß ihr Sinn nicht nur darin besteht, Geld zu verdienen.“ Ich bin abermals ergriffen ob so eines edelmütigen Menschen, (sehe aber eine kleine Diskrepanz zwischen seinem so bekundeten Edelmut und der beschriebenen Tatsache, daß er offenbar ganz gerne die von ihm so genannte „physischen Läden“ in den Konkurs treiben und das Internetgeschäft an ihre Stelle setzen will. Und ob die Menschen das wollen, interessiert ihn wohl auch nicht.) Generationen werden sich noch an die Segnungen eines Dan Schulman erinnern und der FAZ danken, daß sie seine Kunde verbreitet hat.

Ich will nicht unerwähnt lassen, daß in der gleichen Ausgabe einerseits noch andere manipulative Artikel zu finden waren, zum Beispiel über die derzeit stattfindenden Demonstrationen. Das wäre ein, sehr betrübliches, Kapitel für sich. Andererseits aber auch gute und seriöse Berichte, zum Beispiel eine ganze Seite über das Verhältnis des Karlsruher Verfassungsgerichts zum Europäischen Gerichtshof und die Entscheidung des ersteren am 5. Mai.

Doch dieser Artikel setzt allem, was ich in den „seriöseren“ Tageszeitungen bisher gelesen habe, die Krone auf. Virus coronat opus (zitiert nach K. Swassjan) Er steht als leuchtendes Beispiel für den Strahlenkranz der Sonne, die da zur Zeit die Menschheit beleuchtet – oder hinters Licht führt? Da sich an ihm manches Exemplarische zeigen läßt, habe ich ihn etwas ausführlicher behandelt.