(Salzburger Festspiele) Romeo Castellucci: Wer zermalmte Salome und Richard Strauss?

von Gerhard Amendt

„Ich habe seinen Mund geküsst!“

Das mag die Salome in der Salzburger Festspielinszenierung noch so oft und ans Wahnhafte grenzend beteuern. Sie hat den Mund des Heiligen Johannes nicht geküsst. Weder des lebenden noch des toten. Beides hat man ihr verwehrt. Obwohl dessen Kopf vom wollüstigen Stiefvater Herodes ihr als Lohn für den Entschleierungstanz versprochen war.  Nach dem Fall des siebten Schleiers würde sie nackt vor seinen Füßen liegen. Als Lohn hätte der Kopf des Johannes  auf einem Silbertablett ihr dargebracht werden sollen.  Eine grausam mordende Salome, das hat viele Maler inspiriert und noch mehr Menschen abgeschreckt.

Aber warum wollte sie überhaupt den abgetrennten Kopf des charismatischen Propheten? Sie hat den heiligen Mann jenseits eines unschuldigen Kusses begehrt. Aber Johann wollte davon nichts wissen. Er hat sie abgewiesen, was sie ihm nicht verzeihen wollte. Daraus entsprang ihr mörderisches Motiv, das noch immer als verstörend erlebt wird.  Warum fand in Salzburg dieser Tanz als Teil des mörderisch-sexuellen Paktes zwischen einer begehrenswerten jungen Frau und dem mächtigen Stiefvater nicht statt? Salome hat mit leidenschaftlicher Entschiedenheit,  begleitete von den anfeuernden Rufen der Mutter, ihre Erotik eingesetzt, um einen Rachemord an dem Heiligen Mann zu vollstrecken, weil er sie verschmäht hat.

Weibliche Erotik wirft ständig Profit ab

Dabei hat Salome beherzigt, was heute die englische Soziologin, Catherine Hakim, allen Frauen als Tor zur Freiheit und zum Wohlstand empfiehlt. Macht  aus eurer Erotik ein nimmer sich erschöpfendes Kapital. Das nimmersatte sexuelle Begehren der Männer ist eine nie versiegende Quelle, die weiblichen Erfolg an jedem Ort und zu jeder Zeit verbürgt. Vorausgesetzt, die Erotik wird zielführend  eingesetzt.  Eben durch Marktkapitalisierung, die dann auch einengende Konkurrenz am Arbeitsmarkt vermindernd. Das erotische Kapital der Frauen, das ständig Profit abwirft und nie sich verausgabt. Soweit folge die Inszenierung angelehnt an das Skript von Oscar Wilde, dem vielleicht mutigsten Kritiker bürgerlicher Sexualmoral im ausgehenden 19. Jahrhundert.

Was dann allerdings passiert, ist ein undurchschaubares Skript, das Anlass zu widerstreitenden Deutungen bietet.

Salome darf ihren Teil des sexuell-erotischen Vertrags nicht erfüllen. Deshalb fällt der Tanz aus und das Haupt des Täufers wird ihr nicht serviert. Bereitgestellt wurde lediglich der geköpfte Johannes auf einem Stuhl drapiert. Der wiederum war durch einen abgetrennten  Pferdekopf zu seinen Füssen symbolisch vertreten.  Auch der Johannes wird als geiler Hengst – qua Zugehörigkeit zur Männerwelt – symbolisiert.

Der Kopf des Heiligen wäre zu viel des Blutes und des Schreckens vor einer Frau gewesen. Nicht nur für Religiöse, sondern auch viel andere war das schockierend wie  vor mehr als 100 Jahren anlässlich der Erstaufführungen vor bürgerlichem Publikum. Carravagio war um 1602 viel drastischer.

Salome als zeitgenössische Symbolfigur der Geschlechterbeziehungen

Aber davon allein zehrte die facettenreiche Inszenierung nicht. Sie schrammte ebenfalls an  brisanten Ideologien der Zeitgeschichte an. Etwas Unerwartetes wurde in Form eines Lehrstückes inszeniert; die Metamorphose der historischen Salome zu einer symbolischen Figur der zeitgenössischen Debatte über die Beziehung der Geschlechter. So etwas wie ein zeitloses Etikett für weibliches Schicksal? Deshalb durfte sie den erregenden Entkleidungstanz dem Herodes nicht tanzen. Sie sollte zur Symbolfigur von Weiblichkeit werden. Wirklichkeit durfte nicht werden, dass sie Herodes dazu treiben kann, durch sein sexuelles Verlangen von ihrer erotischen Macht abhängig zu werden.  Ihre erotische Macht sollte nicht auf die Ebene eines Tauschaktes gehoben werden. Kein schmutziger Deal auf dieser Ebene. Keine Verwandlung weiblicher Erotik in weibliches Kapital. Denn der nächste Schritt wäre dann, dass alle Frauen das könnten. Nicht um ebenfalls aus gekränkter Eitelkeit zu morden, sondern um Alltägliches sich anzueignen, das sie begehren und von Männern im Tausch fordern könnten. So hat Catherine Hakim das zur Frauenbefreiung empfohlen.

Mord aus gekränkter Eitelkeit

Ein Mord aus gekränkter Eitelkeit von Frauen ist auch heute noch schwer vorstellbar.

Warum aber? Das hat der Dirigent Welser-Möst vorab in einem Interview in  eine gängige Schablone gepresst. Man wisse ja nicht, was Salome früher schon alles erlebt habe und was sie zum Mörderischen trieb. Wahrscheinlich schwebte ihm Traumatisierendes durch Gewalt vor, was oft herangezogen wird, um Frauen Schuldfähigkeit abzusprechen. Nicht die Frau wird damit beschützt  – das anzunehmen ist ein Irrtum -, sondern alle, die es nicht ertragen, dass Frauen anders sind als sie gewünscht werden: unwillig zu selbstständigem Handeln. Salome wird von Oscar Wilde aber als Zeugin des exakten Gegenteils präsentiert. Eben große Autonomie, auch wenn sie sich ins Zerstörerische wendet.

Was also ist aus dem verführerischen Tanz der Entschleierung bei Romeo Castellucci geworden?

Statt verführerisch zu tanzen, liegt Salome in Salzburg fast nackt auf einer Hinrichtungsstätte mit Bändern zum knienden Kauern zusammengeschnürt. Unbeweglich. Ein quadratisch zugehauener Felsbrocken senkt sich von Oben an langer Kette unaufhaltsam auf sie herab. Er zerquetscht sie.  Sie wird zu einem Nichts zusammengedrückt.

 Eine solche Wende der Oper zu geben, ist die künstlerische Freiheit von Castellucci. Gerade in ihrer Widersinnigkeit scheinen aber eigentümliche Motive auf. Sein niederschmetterndes Bild vom goldenen Opferaltar lässt durchblicken, dass für ihn weibliche Erotik nicht in erotisches Kapital zu ihren Gunsten sich verwandeln lässt. Die Schicksalsmächtigkeit der Männer sei größer als die weibliche Erotik. Deshalb durfte Salome nicht tanzen, obwohl sie den Preis entrichten wollte. Das aber stutzt in irritierender Weise Ihren Willen zurück, frei zu entscheiden und zu handeln. Weder darf sie richtige, zweifelhafte noch falsche Entscheidungen treffen. Sie ist nicht Herr im eignen Hause mit allen Vorteilen, Risiken und Nachteilen. Am Ende wird sie – nach Castellucci`s Sicht – ein zweites Mal getötet. Eine zweifache Hinrichtung an ein und derselben Person zeugt von widersprüchlicher Botschaft.

Weibliche Machtlosigkeit: die heilige Kuh des Polit-Diskurses

Die Macht weiblicher Erotik ist verstörend, nicht nur weil sie die Fiktion männlicher Macht relativiert, sondern weil sie Angst – nicht nur unter Männern – vor weiblicher  Eigenständigkeit aufkommen lässt.  Das scheint heute so verstörend, wie anlässlich der  Erstaufführungen vor mehr als Hundert Jahren. Wie groß und begehrenswert, ja weltbewegend diese Erotik sein kann, das anerkennt Herodes uneingeschränkt. Sein halbes Reich und seine schönsten Pfauen bietet er als Lohn für ihren Tanz. Weibliche Erotik als Macht, nach der sich nicht nur der Regionalgouverneur des römischen Reiches sehnt, das darf nicht als überwältigend beschrieben werden. So bleibt die ideologisch getönte Fiktion von der weiblichen Machtlosigkeit auch weiterhin die heilige Kuh des politischen Diskurses. Auch bei den Salzburger Festspielen darf daran nicht gerüttelt werden.  Obwohl Richard Strauss und noch mehr Oscar Wilde das ganz anders sahen.

Das handverlesene Publikum hat sich in Salzburg darüber augenscheinlich gewundert, denn deren eigenen Machtspiele wurden von der Bühne verbannt.

Letztlich wird der Gottesmann kopf- und blutlos wie widerständiges Plastilin auf einen Stuhl gezwängt. Einen Mund zum Küssen gibt es nicht mehr. Die goldene Herrscherkrone hat Salome ihm auf den Rumpf gedrückt, die gerade noch den abgeschlagenen Kopf des schwarzen Hengstes zierte. Diese Gesten sind vielsagend. Und den Sattel, unter den sie sich zuvor umständlich gezwängt, sollte wohl zeigen, dass sie „geritten“ wurde. Deutlicher geht es nicht!

Eine überwältigende Aufführung unter einem herausragendes Dirigat, faszinierenden Sängerleistungen und den großartigen Wiener Symphonikern haben an dieser konfusen Inszenierung nichts zu ändern vermocht. Aus einer ganz anderen Perspektive lässt sich Salome auch als Symptomatik des De Cléreambeault Syndroms verstehen. Als eine Bindungspsychose, die sie an herausragende Personen unter Verkennung ihrer eigenen Motive fesselt und der Einfühlung in den anderen wie die Gegenseitigkeit der Gefühle nicht fähig ist.

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