(Von Kevin Fuchs, 1981 in Göppingen geboren. Er hat Physik und Informatik studiert und lebt in Konstanz.)
wer ist benachteiligt – Männer oder Frauen? Mal ganz ehrlich, was soll die Frage? Sie setzt bereits von Anbeginn voraus, dass es hier etwas auszufechten, zu verteidigen, zu rechtfertigen, zu verteilen gibt. Offensichtlich dreht sich die Frage um das Vorrecht, Opfer zu sein. „Du Opfer“ ist ein beliebtes Schimpfwort auf deutschen Schulhöfen. Wenn aber bereits Kinder eine solche Phrase in ihrem Repertoire führen, so spiegelt sich darin die Bedeutung wider, welche unsere Gesellschaft dem sogenannten „Opfer“ beimisst. Der Ausspruch „Du Opfer“ karikiert auf zynische Weise eine Opferkultur, in der das Opfer immer im Recht ist, und stets Vorrang hat. Es darf fordern und Bedingungen stellen. Dazu muss ihm zwangsläufig auch ein Peiniger, ein Täter gegenüberstehen, dieser ist es, der in die Pflicht genommen wird und Schuld abzutragen hat. Das Opfer darf sich über den Täter stellen. Somit ist der Opferstatus auch Machtfaktor, er bestimmt an welchen Adressaten Mitgefühl, Unterstützung und Respekt zu richten sind und wer im Gegenzug abzustrafen ist und die Rechnung zu begleichen hat.
In Hinblick auf die Frage, wer benachteiligt ist, scheint der Konsens eindeutig: Frauen, wer sonst. Männliche Problemlagen gibt es scheinbar nicht, wenn doch, erscheinen sie marginal. Sie sind jedoch alles andere als das. Männer verfügen im Schnitt über eine fünf bis sechs Jahre geringere Lebenserwartung. Sie sterben drei bis viermal häufiger durch Suizid, leiden deutlich häufiger an Berufskrankheiten und Suchterkrankungen, und stellen die Mehrheit unter den chronisch Kranken. Doppelt so viele Jungen wie Mädchen verlassen die Schule ohne Abschluss. Jungen bilden an den Haupt- und Sonderschulen die große Mehrheit, und nicht nur Kriminalität ist männlich, auch Obdachlose sind zu 90 Prozent Männer. Auch wenn Manager meist männlich sind, der Bodensatz ist es ebenso. An vielen Universitäten veranstalten die Gleichstellungsbüros im Sinne besserer Sicherheitskonzepte regelmäßig Sonderprogramme zur Gewaltprävention. Zielgruppe sind dabei vor allem Studentinnen und ihre Sicherheitsbedürfnisse. Hierzu gibt es Informationsabende, die altbekannten Frauenparkplätze, Frauentreffpunkte, an manchen Unis sogar einen abendlichen Begleitdienst und selbstverständlich vergünstigte Selbstverteidigungskurse ausschließlich für Frauen. An manchen Universitäten hat man es immerhin geschafft, in solche Programme auch den einen oder anderen Selbstverteidigungskurs für Männer unterzubringen. Im Unterschied zu den Frauenkursen sind dies oft keine reinen Selbstverteidigungskurse, vielmehr setzt man dort einen gewissen Schwerpunkt auf Konflikt- und Aggressionsbewältigung. Es handelt sich somit zumindest teilweise um Präventions- also potentielle Täterarbeit, auch wenn das unter der gutgemeinten und gut verpackten Oberfläche oft nicht so richtig durchscheinen mag.
Nur wenige stört das – wenn sie es überhaupt bemerken. Mich allerdings irritiert es angesichts der Tatsache, dass mehr als 70 % aller Gewaltopfer Männer sind. Die Wahrscheinlichkeit, dass einem Mann Gewalt widerfährt ist demgemäß mehr als doppelt so hoch. Überdies werden Männer häufiger als Frauen Opfer schwerer Gewalttaten. Dennoch rücken hier in der Wahrnehmung die Frau als das ausschließliche Opfer und der Mann als der potentielle Täter in den Vordergrund. Warum tut man sich so schwer daran, bei derlei Konzepten die Opferschaft von Männern und Frauen ungetrübt und gleichermaßen in den Blick zu nehmen? Warum dieser fahle Beigeschmack von potentieller Täterschaft, wenn auch mal für Männer etwas getan werden soll? In der Tat findet sich dieses Schema vielerorts in der Männer- und Jungenarbeit. Männer- und Jungenarbeit muss Täterarbeit sein, sofern sie finanziert und unterstützt werden soll.
Woher rührt diese zwanghafte Spaltung in rein-männliche Täter und rein-weibliche Opfer? Die Gewaltstatistik sagt uns, dass die meisten Gewalttäter Männer sind, nun gut – dennoch ist die überwiegende Mehrheit der Männer eben nicht gewalttätig. Die Antwort ist eine andere: es geht nicht um Sicherheit. Die Gewaltstatistik beziehungsweise die wirkliche Verteilung männlicher und weiblicher Opfer interessiert offensichtlich nur am Rande. Es geht in fernerem Sinne um eine Ordnung, eine Ästhetik, die hier gepflegt wird — so wie man gute Sitten und Traditionen pflegt. Im Mittelpunkt steht das Zelebrieren archaischer Rollenbilder. Der starke, überlegene Mann als Invasor, als allgegenwärtige Bedrohung. Hingegen das zarte, zerbrechliche, schutzbedürftige Weib – ein ästhetisiertes Bild, welches zu allerhand taugt: Filme Romane, Gemälde, Opern oder Theaterstücke. Nur mit der Wirklichkeit hat es leidlich wenig gemein. Dinge wie diese bilden ein wiederkehrendes Muster und sind symptomatisch für gegenwärtige Gleichstellungsarbeit. Entgegen aller Bekenntnisse und Beteuerungen werden hier Geschlechterstereotype kultiviert statt „dekonstruiert“. Ich bin ein Kritiker des modernen Feminismus, ich misstraue ihm, da ich ihn als die eigentliche, überspannende Antwort auf meine obige Frage erachte. Er ist es, der mit seiner spaltenden Doktrin von ausschließlich weiblichen Opfern und männlichen Tätern jedwede Verletzlichkeit von Männern und damit in letzter Konsequenz auch ihre Menschlichkeit leugnet.
Es bedarf einer Alternative zum Feminismus. Die nun aufkeimende, Feminismus-kritische Männerbewegung ist gewiss ein Teil einer solchen Alternative, sie kann es aber nicht zur Gänze sein. Eine Männerbewegung, die sich nur für die Belange von Jungen und Männern einsetzt, läuft früher oder später Gefahr, den selben Verfehlungen zu erliegen und sich selbst mit denselben Dogmen zu belegen, wie dies der Feminismus getan hat, nur eben unter umgekehrten Vorzeichen. Darum braucht es etwas Ganzheitliches, eine neue Perspektive unter der nicht das Geschlecht sondern die Bedürftigkeit des Einzelnen entscheidet, und genau hierfür steht AGENS.
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